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Therese Giehse • * 1898 München † 1975 München

Foto: Therese Giehse (unter Verwendung von Fotomaterial Ölbaum Verlag & Bertelsmann Verlag)

 

Ich hab nichts zum Sagen

»Frauen sind häufig für die Regie viel stärker begabt als Männer. Sie sehen besser, haben die frecheren Augen, gucken genauer hin. Es wäre sehr verdienstvoll, mehr Frauen für die Regie zu gewinnen. Was werden den Frauen stattdessen für Schwierigkeiten gemacht! Viele Regisseure sind entsetzlich schlecht und inszenieren trotzdem unbehindert weiter. Keiner hat was dagegen, wenn sie das Theater ruinieren. Doch wehe, wenn einer Frau etwas danebengeht, dann ist’s sofort aus. Und macht sie ihre Sache trotz aller Behinderungen gut, dann war’s halt für eine Frau ganz ordentlich.  Was hab ich mich rumärgern müssen mit der Technik bei der »Heirat wider Willen«. Wenn ich was wollt, haben alle mit den Schultern gezuckt und gesagt: es geht nicht. Natürlich ging’s, aber was waren oft für unnötige Anstrengungen nötig, um das durchzusetzen, was man wollt. Bei einer Frau als Regisseur arbeiten alle nur mit halbem Einsatz und lächerlich übersteigertem Unwillen. Da muss man schon sehr robust und standhaft sein, um so viel Borniertheit durchzustehen. … Es ist sehr beschämend, wie große Qualitäten von den Theaterintendanten missachtet werden. Zum Nutzen des Theaters geschieht das sicher nicht. Betrug am Publikum ist’s auch, aber das wird ja sowieso betrogen.«

Therese Giehse im Gespräch mit Monika Sperr. Die unnachgiebige Schauspielerin und spätere Brecht-Interpretin wurde am 6.3.1898 in München geboren, Mitte der 20er Jahre von den neu gegründeten Kammerspielen engagiert, bevor sie 1933 vor den Nationalsozialisten fliehen musste. Unvergessen ihre Rolle als »Dummheit« im politischen Kabarett »Pfeffermühle« von Erika und Klaus Mann, mit dem sie gemeinsam während des Zweiten Weltkriegs durch Prag, Zürich und später die Staaten tourten. Die frühe Bekanntschaft mit Brecht ließ Therese Giehse zu einer der wichtigsten Brecht-Schauspielerinnen werden, die Uraufführung der »Mutter Courage« fand 1941 inmitten der Kriegswirren in Zürich statt. Am 3.3.1975 stirbt die Schauspielerin in ihrer Heimatstadt München, ihre Gespräche mit Monika Sperr tragen den Titel »Ich hab nichts zum Sagen« (Bertelsmann Verlag, 1973)  

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