u.a. Portraits der Entwurzelung
d'Ora, In einem Flüchtlingslager, 1948, Silbergelatine 17,2 x 19,6 cm, © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Dora Kallmus machte sich als d’Ora im Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts einen Namen. Im Atelier d’Oras traten die Größen der Kunst- und Modewelt, der Aristokratie und der Politik des 20. Jahrhunderts vor die Kamera. Der erste Künstler, den sie fotografierte, war 1908 Gustav Klimt, der letzte war 1956 Pablo Picasso. Kaiser Karl von Österreich fand sich ebenso ein wie die Familie Rothschild, Coco Chanel und Josephine Baker oder Marc Chagall und Maurice Chevalier. Im Jahr 1907 eröffnete Dora Kallmus’ als eine der ersten Frauen in Wien ein Fotostudio. Innerhalb weniger Monate galt das Atelier d’Ora als eleganteste und renommierteste Adresse für das künstlerische Porträt und ihre Aufnahmen fanden in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften im In- und Ausland weite Verbreitung. Im Jahr 1925 brachte ein Angebot des Modemagazins L’Officiel d’Ora nach Paris, das fortan ihr Lebens- und Arbeitsmittelpunkt sein sollte. Zahllosen Aufträge für Mode- und Lifestylezeitschriften folgten, die erst Mitte der 1930er-Jahre abebbten, als die politische Lage in Europa zunehmend prekärer wurde. Als entrechtete Jüdin verlor d’Ora 1940 ihr Atelier in Paris und musste sie sich jahrelang vor den deutschen Besatzungssoldaten in Frankreich versteckt halten. Gerade noch davongekommen, richtete die Gesellschaftsporträtistin nach 1945 ihren zugleich scharfen und einfühlsamen Blick auch auf die namenlosen Heimkehrer aus den Konzentrationslagern und auf das Schlachtvieh der Pariser abattoirs. D’Oras Werk spannt einen einzigartigen Bogen von der Repräsentation des letzten österreichischen Monarchen, über den Glamour der Pariser Modewelt der 1920er- und 1930er-Jahre bis hin zu einem gänzlich veränderten Europa nach dem Zweiten Weltkrieg.
Eine aktuelle Ausstellung im Leopold Museum - in Zusammenarbeit mit dem Photoinstitut Bonartes und dem Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Kuratiert von: Monika Faber und Magdalena Vukovic.
Im Photoinstitut Bonartes eröffnet gleichzeitig ein beachtlicher Ableger, aus dem auch unser Hinweisfoto stammt: Porträts der Entwurzelung. D’Oras Fotografien in österreichischen Flüchtlingslagern 1946–1949. Eröffnung: 04.09.2018 19:00h. Ausstellungsdauer: 05.09.2018 - 07.11.2018.
In Wien und Paris galt d’Ora einst als angesehene Porträtistin der Reichen und Mächtigen, der Schönen und Berühmten. Unter dem nationalsozialistischen Regime verlor die Fotografin Familie, Status und Besitz. Diese bittere Erfahrung der Entwurzelung lenkte d’Oras Blick nach 1945 auf Menschen am Rand der Gesellschaft. In österreichischen Flüchtlingslagern entstanden düstere Aufnahmen, die von Trostlosigkeit und Isolation erzählen. Zu diesem Zeitpunkt war das Leben der von ihr Fotografierten zum Spielball der nationalen und internationalen Politik geworden.
Zur Ausstellung erscheint eine Publikation:
Magdalena Vuković, Porträts der Entwurzelung. D’Oras Fotografien in österreichischen Flüchtlingslagern 1946–1949 (= Beiträge zur Geschichte der Fotografie in Österreich, Band 17), mit Beiträgen von Marion Krammer/Margarethe Szeless, Susanne Rolinek, Peter Schreiner und Magdalena Vuković, Salzburg: Fotohof edition, 2018.
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