Kein Thema zum Jahreswechsel
Pünktlich zum Jahresende geben Julietta Fix und Frank Milautzcki eine Anthologie heraus, die sich zwischen den Jahren wunderbar lesen lässt – schlank, aufs Wesentliche konzentriert, mit einem kenntnisreich gewählten kleinen Durchschnitt der heutigen Lyrikszene – und einem bezeichnenden Titel: KEIN THEMA.
Man kann den Titel sicher auf vielerlei Weise verstehen. Umgangssprachlich, flapsig. Oder auch: diese Anthologie hat kein Thema, keinen Aufhänger, keinen inhaltlich-thematischen Rahmen. Hat sie doch: Zwölf DichterInnen, eine(n) für jeden Monat des Jahres. Das war’s aber auch schon. „Just for fun“, wie Julietta Fix im Vorwort schreibt, und vielleicht ist das die beste aller möglichen Herangehensweisen an ein Anthologieprojekt. Ein weiteres Anliegen gibt es: Da Lyrik wenig gelesen wird in Deutschland, ist eine Anthologie immer eine gute Möglichkeit, Interesse zu wecken für einzelne Autoren, bekannte und unbekanntere. Ganz erfüllt sich das mit dem kleinen Band nicht: Denn die Namen dürften jedem in der „Szene“ bekannt sein, Unbekanntere finden sich eher nicht. Man kann höchstens noch unterscheiden zwischen „kennt jeder“ und „kennen zumindest einige“. Das ist ok. Während jeder in der „Szene“ Uljana Wolf und Volker Demuth kennt, dürfte das beim Durchschnittsleser schon wieder anders aussehen – aber liest der so eine kleine Anthologie? Was der Bauer nicht kennt/versteht, das frisst er nicht, und darunter leidet die Lyrik. Der Bauer kennt halt seine Spiegel-Bestsellerliste und gut ist.
Wann stand auf eben jener Liste zuletzt ein Lyrikband? Ich glaube, es war Grass. Nobelpreisträger (nochzumal solche, die Meisterwerke wie „Die Blechtrommel“ geschrieben haben) laufen halt. In die Gefilde kleinerer Verlage verirrt sich der Durchschnittsleser eher nicht, in die der kleinen Lyrikverlage erst recht nicht. Er hat allenfalls den Conrady im Regal, ob er ihn gelesen hat ist schon wieder eine ganz andere Problematik.
Autoren also mit einer Anthologie bekannt machen? Bleiben wir realistisch, so traurig es auch ist. Eines muss man Julietta Fix und Frank Milautzcki zugute halten: Sie nutzen ihre Möglichkeiten, machen Werbung, sorgen dafür, dass die kleinen Auflagen auch laufen. Es gibt Kleinverlage, die haben Bücher marketingtechnisch in den Sand gesetzt und kaum im zweistelligen Bereich verkauft – statt ihre Taktik zu ändern stecken sie mit ihren Autoren die Köpfe zusammen um sich gegenseitig zu bemitleiden. Kein Thema, kommt vor.
Zum Thema, zur Sache, zum Buch: „Kein Thema“ ist einer der raren Glücksfälle in der Anthologienlandschaft, wo jeder Autor lesenswert ist, wo man sich nicht hier und da beim Überblättern einiger Seiten ertappt. Man findet die Schwergewichte, die „üblichen Verdächtigen“ wie Uljana Wolf, Hellmuth Opitz, Ulrike Draesner, Jürgen Nendza, die zumeist über jeden Zweifel erhaben und auch hier mit einer jeweils sehr lesenswerten Auswahl vertreten sind. Man findet auch einen wirklich brillanten Dichter wie Marius Hulpe, der endlich mal im Spotlight der Szene ankommen sollte, denn er gehört momentan zu den Besten der ganz jungen. Man findet die 1939 geborene Elisabeth Wandeler-Deck, die eine ebenso junge und ähnlich faszinierende Wortspiellyrik betreibt wie Friederike Mayröcker. Man findet Bess Dreyer und Jörg Bernig aus dem gehobenen Mittelfeld, man findet wunderbar emotionale und sprachlich wie kompositorisch beeindruckende Gedichte von Michael Wildenhain.
Und dann findet man doch so etwas wie ein Thema, das vielleicht der gute alte Freud im Hinterkopf der Herausgeber während ihrer Arbeit lokalisiert hätte: Ende und Neubeginn. In vielfältigen Bildern und Stilen (gerade die Stilvielfalt ist ein Grund, dieses Buch zu lesen!) wird beendet: Zeitabschnitte, Beziehungen, Gedanken, Lebensentwürfe. Es entsteht ein Gefühl des In Der Schwebe Seins, ein Gefühl von Zwischen Den Jahren, und auch das Jahresende und der Schnee, an dem sich die einen erfreuen, die anderen verzweifeln, und mit dem die Dritten ihre Auflagen füllen, taucht auf: filigran, detailliert, durchscheinend.
Also, nicht bis zum nächsten Jahr warten, sondern lesen. Jetzt!
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