Vom Suchen und Erinnern
Eine Frau mittleren Alters sucht ihren Geliebten, nachdem sie ihm deswegen schon kreuz und quer über den Globus gefolgt ist. Mit diesem Satz ließe sich die Handlung des Buches von Helen Weinzweig leicht zusammenfassen. Und doch würde man die gesamte Geschichte auslassen.
Shirley Kaszenbowski hat schon vor einiger Zeit ihren kontrollsüchtigen Mann verlassen. Sie lebt von Hotel zu Hotel und wartet dabei auf Nachrichten ihres Geliebten Coenraad, damit sie weiß, wo sie sich das nächste Mal treffen. Allerdings sind die Botschaften immer Rätsel und die Orte auch nicht diskutabel, schließlich arbeitet Coenraad bei der „Agency“ und muss höchste Vorsicht walten lasssen. Nun soll Shirley ausgerechnet nach Toronto, die Stadt, in welcher sie früher lebte.
Widerwillig setzt sie sich ins Flugzeug und meint, bereits dort die ersten Indizien für ihren Treffpunkt zu finden.
„Ich blätterte die Zeitschrift durch, bis ich zwischen den Seiten 25 und 26 ein loses Faltblatt entdeckte. Da wir den 25. November hatten, stieg die Hoffnung: Schließlich hatte Coenraad mich noch nie im Stich gelassen.“
Ähnlich mysteriös sind alle von nun an auftauchenden Hinweise. Shirley sucht sich ein Hotel aus, welches zum erhofften Code gehören könnte und wartet. Sie sitzt allerdings nicht einfach nur untätig herum, sondern erkundet, wie sonst immer, die Stadt. Dieses Mal jedoch ist sie weder beschwingt, noch abenteuerlustig. Mit jedem Schritt durch Toronto erwachen Erinnerungen, an ihre Kindheit, ihre Jugend, ihr Eheleben.
Sie findet sich gedankenversunken vor dem Haus wieder, aus dem sie und ihre Mutter einst rausgeschmissen wurden, schaut sich wehmütig ihre alten Arbeitsstellen an und verliert sich in einem Tagtraum nach dem Anderen. Dabei hält sie jedoch konstant Ausschau nach Zeichen, die Coenraad ihr hinterlassen haben könnte. Sei es in einer Bäckerei, deren Verkäuferin ihr aus der Zeitung vorliest, in einem Museum mit Bildern, die sie aufsaugen oder ein angsteinflößendes dunkles Haus, in welchem sie zur Reporterin für eine Oper wird.
Der gesamte Roman liest sich wie der Traum einer Sehnsüchtigen, einer Suchenden. Shirley stolpert von einer Absurdität in die Nächste. Und obwohl sie selbst so viel zu erzählen hätte (und es durch Rückblenden hier nun tut), sucht sie immer wieder nach Verbindungen zu Coenraad. Sie braucht ihn als Anker, als Bestätigung ihrer Existenz.
Mit der Zeit des Wartens allerdings entfernt sie sich immer weiter von ihrem Geliebten und entdeckt eine Shirley, die vielleicht auch ohne Coenraad sein kann.
„Nach einem ereignislosen Tag mit viel sinnlos verbrachter Zeit und unerfüllten Hoffnungen legte ich mich ins Bett. Mit der Verzweiflung einer Süchtigen blätterte ich die Postkarten durch.“
Helen Weinzweig schreibt vollkommen unaufgeregt, die Zeit scheint sich beim Lesen geradezu zu verlangsamen. Solange wie Shirley wartet, warten auch die Lesenden. Verliert sie sich in einem Traum, einer Erinnerung, verliert man sich mit ihr und taucht plötzlich am anderen Ende benommen wieder auf. Man versteht nicht jede Abzweigung, die Shirley nimmt, ihre Gedankensprünge und Handlungen sind teilweise vollkommen abstrus. Aber man muss sich auf sie einlassen, etwas Anderes bleibt einem auch gar nicht übrig. Helen Weinzweigs Sprache übt einen so starken Sog aus, lässt einen nahezu süchtig werden. "Schwarzes Kleid mit Perlen" ist kein Buch, das sich schnell liest. Und doch möchte man ans Ende gelangen, nicht, um Coenraad zu finden (er wird im Laufe der Geschichte immer unsympathischer), sondern, um zu erfahren, ob Shirley das findet, was sie sucht. Da sie es selbst nicht weiß, bleibt man am Ende ein wenig erschöpft zurück, spürt die Leere, die sie füllen will und die wir alle kennen, noch nach und hofft inständig, dass sie sich selbst nicht mehr vergisst.
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