Anzeige
Komm! Ins Offene haus für poesie
x
Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Vaterfreuden

Wolf Wondratscheks Chuck wundert sich in „Das Geschenk“ darüber, dass er einen Sohn hat

Dass Vaterfreuden unverhofft sein können, ist ja einigermaßen bekannt. Der Kurzschluss zwischen Akt und Geburt eines Kindes ist nicht jedem zugänglich, was vor allem für selbstbezügliche und genussorientierte Leut ein Problem sein kann. Ein Herr namens Chuck, der immerhin vor langen Zeiten die Stimme von Wolf Wondratscheks Erfolgsgedichtbands „Chucks Zimmer“ war, gehört zu dieser Sorte Mensch. Er ist ein unablässlicher Poser, was manchmal amüsant sein kann, geht dabei mit sich und anderen nicht eben  pfleglich um, kennt sich in diversen Hilfsmitteln, die die Erlebnisfähigkeit und Wahrnehmung wahlweise erweitern oder reduzieren können, ganz gut aus, ist aber irgendwann auch froh, dass er das meiste davon hinter sich lassen kann. Das Alter! Chuck ist ein großer Fan des Boxens, aber einen hat jeder gut. Amerikanische Schlitten und Sonnenbrillen müssen sowieso sein. Er lässt nichts aus, selbstverständlich, und wenn es denn der Literaturproduktion dient, will man nichts sagen, auch wenn der Zusammenhang zwischen Drogenkonsum und Kunstproduktion altbekannt und weit überschätzt ist. Wohin das selbst bei harmlosen Drogen führen kann, zeigt nicht zuletzt das Beispiel Gerhart Hauptmann, dessen Spätwerk ohne Alkohol vielleicht anders ausgesehen hätte. Vielleicht wäre ihm dann auch ein Herr Peeperkorn erspart geblieben.

Chuck ist, wenn man so will, die moderne Variante des alten Modernisten Hauptmann, der auf seine alten Tage zum Staatsliteraten wurde. Dass Chuck nicht einmal seine Freunde sympathisch finden, geht ihm irgendwann auch im Laufe dieses Buches auf. Mit ihm befreundet zu sein, hat denn auch nur zwei Alternativen: trotz alledem (und das ohne irgendeinen nachvollziehbaren Grund) und man kennt sich eben (Literaten und andere unter sich).

Gäbe es keine literarische Gestalt, die so daherkommt, man müsste sie erfinden, so klischeehaft ist Chuck. Allerdings, es gibt viele und Chuck ist nur der deutscheste von ihnen. Und er ist in die Jahre gekommen. Ein Held der siebziger Jahre, der dem Drogen- oder Unfalltod und der Verarmung entgangen ist und sich nun im neuen Jahrhundert ein wenig verwundert die Augen reibt. Zum Beispiel, weil er bei einer geselligen Veranstaltung der Pharmaindustrie auftreten soll. Die Wirklichkeit ist selten originell, wie es im Text gelegentlich heißt.

Dieser Chuck nun trifft irgendwann in der Vergangenheit von „Das Geschenk“ auf eine Frau, die ihn ein wenig anstaunt, mit ihm schläft und dann ist alles auch schon vorbei. Aber dann ist sie schwanger. Das Kind kommt zur Welt und bindet die beiden aneinander, die mehr und mehr feststellen, dass sie wenig gemeinsam haben, oder doch eben sehr viel, diesen Sohn nämlich. Das heißt, die Frau beschimpft die folgenden Jahre den Kindsvater wegen des Kindes. Der Mann, der sein bengelhaftes Leben nicht wirklich hat lassen können, muss sich nun damit abfinden, dass es da einen jungen Menschen gibt, der mit ihm irgendwas zu tun hat, was zu einigen einigermaßen hübschen Rückblenden führt.

Und natürlich, es ist ein Sohn. Dieser Sohn ist nun halbwüchsig und schweigt. Er schweigt, während der Vater sich immer mehr in seine erinnernden Plappereien ergießt. Der Mann erinnert sich, mit vielen Worten und zahlreichen Abschweifungen, die am Ende vor allem eines zeigen: die Hilflosigkeit des Mannes im Angesicht seines Ebenbilds.

Denn der Junge zeigt sich so, wie sich junge Männer zeigen: Die Welt der Erwachsenen ist ihnen nicht minder fremd wie den Erwachsenen die ihre. Staunend steht Chuck vor diesem Alien, der in seinem Leben so unübersehbare Spuren hinterlässt, und kommt zu der Einsicht, dass es der Erwachsene ist, der unfertig ist, während das Kind abgeschlossen in seiner eigenen Welt lebt, in der ein Erwachsener definitiv nichts zu suchen hat.

Das ist umso reizvoller, als dem Mann in der unzugänglichen Person, die ihm gegenübersitzt, das halbgare Kind aufscheint, das er selber einmal war. Was naheliegend zu einer doppelten Reaktion führt, zur Identifikation mit dem Sohn und zu dem Wunsch, ihm zu vermitteln, worauf es wirklich ankommt. Nur, daran haben sich andere, Väter und Mütter, auch schon abgemüht, ohne dass es etwas gebracht hat.

Und bringen soll es wohl auch nichts. Zwar gibt es jenen kleinen Moment, in dem der Sohn auf den Vater zu reagieren und fast menschlich scheint. Aber auch das vergeht. Und so wird denn nach und nach klar, dass es in „Das Geschenk“ nicht um den Sohn, sondern – wie könnte es auch anders sein – um den Mann als Vater gehen, um den Hedonisten als ernsthaftes Mitglied einer Gesellschaft, um eine Vergangenheit, die in einer Gegenwart ankommen soll. Das darf. Aber der Text ist trotzdem nicht mehr als ein Spät- und Seitenwerk in der Werkbiografie eines der großen Repräsentanten der alten bundesdeutschen Literatur.

Wolf Wondratschek
Das Geschenk
Hanser
2011 · 176 Seiten · 17,90 Euro
ISBN:
978-3-446236790

Fixpoetry 2011
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge