Walliser Vierzeiler
Neu in der Insel-Bücherei bei Suhrkamp:
Auf der Suche nach einem neuen Wohnsitz bereiste Rainer Maria Rilke im Sommer 1919 auch den Kanton Wallis, wo er sich nur wenige Jahre später dauerhaft niederließ. Von Anfang an, so bezeugen es zahlreiche Briefe, war Rilke eingenommen von dem breiten, von Hochgebirgsketten flankierten Tal. »Welches Land«, schrieb er 1921, »hat so viele Einzelheiten in so großem Zusammenhang; es ist wie der Schlußsatz einer Beethoven-Symphonie.« Und im selben Jahr heißt es in einem anderen Brief: »Dieses Wallis … ist eine unvergleichliche Landschaft.«
Im Spätsommer 1924 entstand in französischer Sprache der Zyklus der Quatrains Valaisans, der Walliser Vierzeiler. In ihrer Übertragung realisieren Gerhard Falkner und Nora Matocza den konsequenten Endreim des Originals erstmals auch in deutscher Sprache.
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Rose de lumière, un mur qui s’effrite –,
mais, sur la pente de la colline,
cette fleur qui, haute, hésite
dans son geste de Proserpine.
Beaucoup d’ombre entre sans doute
dans la sève de cette vigne;
et ce trop de clarté qui trépigne
au-dessus d’elle, trompe la route.
*
Rose aus Licht, eine Mauer, die zerfällt –
aber am Abhang des Hügels, là-bas!
die Blume, die hohe, die innehält
in der Pose der Proserpina.
Reichlich Schatten dringt bestimmt
in der Rebe Lebenskraft;
und dieser Überschuss an Helligkeit, der sich im Tanze schafft,
da oben und dem Weg die Richtung nimmt.
Rainer Maria Rilke: Die Walliser Vierzeiler/Les Quatrains Valaisans - Deutsch und französisch. Übertragen von Gerhard Falkner und Nora Matocza unter Mitarbeit von Christophe Mitlehner. Mit einem Nachwort von Gerhard Falkner. Insel-Bücherei N° 1475
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