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Kritik

Al-Andalus: Ein neuer Blick

Brian A. Catlos erforscht das islamische Spanien
Hamburg

Über Al-Andalus, das islamische Spanien, kursieren unterschiedliche Narrative, denen eines gemein ist: Sie vereinfachen, romantisieren oder dramatisieren. Die einen erzählen die Horrorstory von der brutalen Eroberung Europas durch islamische Horden, die sich das Abendland unterwarfen. Die anderen berichten von einer harmonischen Blütezeit, in der Juden, Christen und Muslime in Frieden miteinander lebten. Beides ist nah an Geschichtsverzerrung, verkürzend, entstellend und von der Unterkomplexität geprägt, die jenen eigen ist, die mit Hilfe von Halbwissen die Geschichte als Zeugen für ihre Weltsicht missbrauchen.

Das neue Buch des amerikanischen Religionswissenschaftlers und Historikers Brian A. Catlos,(übersetzt von Rita Seuß) der an der University of Boulder, Colorado, lehrt, will mit diesen Zerrbildern aufräumen, indem es die beiden Fachgebiete des Autors verbindet. „Al-Andalus. Die Geschichte des islamischen Spanien“ erzählt die Historie vom Jahr 700 bis zum Jahr 1614 – und dürfte die Erwartungen jener Leser, die ein leichtes, populärwissenschaftliches Werk erwarten, sprengen. Zwar erzählt Catlos immer wieder auch bemerkenswerte Alltagsepisoden, so sie aus verlässlichen Quellen überliefert sind, und demontiert die Märchen – wie das Rolandslied, dessen historische Faktizität vage ist und im Grunde keineswegs zum Nationalepos taugt. 'Verlässliche Quellen' aber ist ein wichtiges Stichwort: Catlos spannt den großen Bogen. Einerseits zeichnet er minutiös die chronologischen Entwicklungen nach, andererseits geht er aber auch immer wieder intensiv auf das ein, was wir nicht wissen oder nur anhand von Fragmenten erahnen können. Zum Beispiel die Geschichte der Juden von Al-Andalus. Was wissen wir über sie, abgesehen davon, dass viele von ihnen zum Islam konvertierten? Erstaunlich wenig. Die christlichen und islamischen Quellen sind ergiebiger.

Catlos vereinfacht nicht – oder nur selten und nur dann, wenn es angebracht ist. Er weist auf Widersprüche und offene Fragen hin und verdeutlicht damit die Komplexität der Arbeit des Historikers, die sich eindeutigen Antworten entziehen und stattdessen Fragen auch mal offen lassen muss. Und er verdeutlicht etwas, das gerne vergessen wird: Ein Großteil der zur Verfügung stehenden Quellen stammt von Herrschern und wohlhabenden Händlern. Es ist die Perspektive der Reichen, die unser Geschichtsbild prägt, weil die Armen oft kaum Schriftliches hinterlassen haben.

Als die Muslime spanischen Boden betraten, kamen sie keineswegs als kriegerische Gruppe mit gefestigtem religiös-ideologischen Weltbild. Der Islam befand sich noch ganz am Anfang, in der arabischen Welt tobten noch die ganz jungen innerislamischen Konflikte, viele der 'Eroberer' hatten keineswegs die Absicht, den Europäern ihren Glauben aufzuzwingen. Eher folgten sie ihrer Vorstellung von einem paradiesischen Land, das sie erkunden wollten (gemeinsam mit ihren Familien), während die Krieger unter ihnen auf Beute aus waren – übrigens ein Kernmerkmal der Feldzüge jener Zeit. Es ging darum, Gewinn zu machen, nicht darum, zu missionieren. Das kam erst viel später. Tatsächlich, so zeichnet Catlos nach, verliefen die härtesten Konfliktlinien über Jahrhunderte gar nicht zwischen den Religionen, sondern innerhalb von ihnen. Muslime stritten sich untereinander, Christen stritten sich untereinander, zugleich gab es Freundschaften und Geschäftsbeziehungen, bei denen Glaubensunterschiede keine Rolle spielten, und lange Zeit geschahen Glaubensübertritte nicht unter Zwang, sondern freiwillig, weil man sich dadurch persönliche Vorteile erhoffte (was bisweilen bitter enttäuscht wurde).

Al-Andalus wurde über die Jahrhunderte oft von blutigen Konflikten erschüttert, von innen wie von aßen bedroht; es gab besonnene ebenso wie brutale und gierige Machthaber. Nicht selten waren die Zerwürfnisse zwischen Cordoba und Bagdad heftiger als jene zwischen dem Emir von Al-Andalus und dem christlich geprägten Norden – was auch daran liegen mag, dass die Araber lange Zeit eine Minderheit unter christlich und jüdisch geprägten Europäern blieben und auch auf deren Goodwill angewiesen waren.

Brian A. Catlos fächert ein faszinierendes historisches Panorama auf, das dem Leser nicht nur die Geschichte des islamischen Spanien und der religiösen Strukturen jener Zeit näherbringt, was nicht zuletzt auch viel über das eigene Geschichtsbild der Europäer erzählt. Es gelingt ihm auch wie nur wenigen Autoren populärer wissenschaftlicher Literatur, stets die Untiefen im Blick zu behalten, die sich auftun, wenn man eine Zeit anhand überlieferter Dokumente und Erzählungen kennenlernen will.

 

Brain A. Catlos
al-Andalus / Geschichte des islamischen Spanien
Aus dem Englischen von Rita Seuß.
C.H. Beck
2019 · 491 Seiten · 29,95 Euro
ISBN:
978-3-406-74233-0

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