Weltenkommen und Gehen
Die Welten, um die es hier geht, kann man nicht sehen. Was nicht heißt, daß sie nicht da sind. Nun ist das Wunder unsichtbarer Welten nicht sehr neu, aber im Falle dieses Buches ist die Sichtbarkeit dieser unsichtbaren Welten das eigentliche Ereignis. Sie ist kein billiges Refugium spinnerter Illusionen, sondern ein hart erarbeitetes Nichtwissen. Es geht dabei nicht darum, etwas zu behaupten, sondern darum, das Behaupten zu verunmöglichen. Zumindest alle Behaupter zu zwingen, ihr Tun zu überdenken und zu relativieren. Dazu braucht es Transformationen, was a) das Thema von Michael Wagener ist, der einst Kartographiertes durch Prozesse schickt und b) das Resultat der Magerkeit, zu der Dirk Uwe Hansen aufruft, um irgendwelche Gültigkeit genau eingrenzen, abschätzen und letzten Endes leichter ad absurdum führen zu können. Zunächst beißt sich der Wagenersche Prozess mit dem Hansenschen, aber wenn man eine zeitliche Achse hinzudenkt, das Bild kam nach dem Text, dann wird klar, warum der eine vom anderen abweichen muß: das Einfalten und Zerrfalten kam nach dem Einhalten und Verhalten.
Es ist also ein Buch, das geschieht. Nicht einfach ein Gedichtband mit Grafik drumrum. Das ist sehr typisch für die Art, wie Bücher im gutleut verlag entstehen, sehr in unterirdischen poetischen Kanälen unterwegs, Verständigungsrouten, die neu angelegt werden, weil sie bis dato nicht existierten. Es sind Stadtpläne, die zu Organen werden, zu Hoden, Nieren, es sind fast Ultraschallbefunde. Es gibt Schlieren, Höcker, chaotische Systemzustände, wenn Flachheiten zu Rundem werden, Rundes, das sich in Kassetten sammelt, fast schon Welten als Kiesel oder Hasenköttel (was kein Nonsense ist!), es gibt diese ganzen Prozesse, wie Wissen erarbeitet und als was es dokumentiert wird, und diese stellt Michael Wagener gegen die fast immer weniger als zehnzeiligen, kleingeschriebenen und damit Understatement betreibenden Texte, die sehr genau ihre Beschränktheit kennen und aus diesem Wissen heraus eine eigene Beschränktheit wollen. Im Vorteil semantischer Freiheit, es gibt keine Satzzeichen, öffnen sich Beziehungen und Bezugsebenen, gerade wenn es um schwarz oder weiß geht, darf es nicht um ein wenn und aber gehen, es darf um etwas gehen (nicht umsonst titeln dies Gedichte jeweils „von“ - „von den fenstern“, „vom schatten“, „vom denken“ - niemals ein „über“ , niemals ein Labeln, das zuschreibt, sondern immer die Mitteilung darüber, was von etwas übersetzt, erkennbar ist, sich des Fixierens anbietet, obwohl „ … die große illusion ist / nähern …", DUH weiß, „vor jedem fluss / war etwas leer“, Dinge gehören irgendwohin, aber ihre Position ist nicht von Anfang an klar, und die Art unseres Näherns beinhaltet uns, und wir beinhalten andere Dinge, als das zu Betrachtende. Hier kommen Künstler und Dichter zusammen. Das ist der wichtigste Schnittpunkt, und entwickelt der eine daraus eine Serie, die dem Entwickeln des anderen nicht eins zu eins entspricht, dann heißt das nur, daß es hier ein Verstehen gibt, das über jede angestrengte Näherung hinauswill und hinauskann. Es wird durch die Übernahme in ein Eigenes konstellationsgenauer, weil es sich beschäftigt, sich hingibt, hinüberentwickelt. Es wird zur Erweiterung durch Korrespondenz.
Das ist der Eindruck, den ich vom Buch habe und es ist mir nicht möglich von diesem Buch zu sprechen, ohne beide Mitwirkende ineinander zu denken. Wenn DUH „vom schatten“ spricht, schreibt er „das andere ist all ist außen kein nichts / ist zuverlässige größe ist / ewig nur deswegen weil es nicht bleibt“ und MW beantwortet das, indem Erdrundes hart aufschlägt in einem graphitfarbenen All und zerplatzt wie ein Tropfen, ein Zeitlupenmoment, in dem sich das einst rund Existierende nun in Wandungen zerstiebt, auf denen sich die Kartenlandschaften noch zeigen, aber unkenntlich verzerrt und zerstaucht. Nur das unausweichliche Transformieren ist ewig, kein Material, keine Aufzeichnung von ihm als Karte oder Formel. Zuverlässig ist der kosmische Tanz, kosmisch ist das unüberwindbare Nichts der Schatten für alles, was der Fall ist, was im Fall ist, korrigiert DUH, und das absolute Dunkel vergraut, zeichnet MW, unter dem Geschehen der Welt. Solchermaßen korrespondieren Text und Artwork und das ist der Plan, bereits im Vorsatzpapier verwirklicht, wo schwarzweiße Bubbles der Erde ein Weltenmeer bilden. Was en detail Welt ist und in der Folge grafisch oder schriftlich beschrieben wird, entscheidet sich an Perspektive (aussichtsplattform) und Prozess (darsolarpolar). Dabei arbeitet DUH sehr effizient mit der Konfrontation der menschentypischen mit der anders gültigen, physikalisch philosophischen Anschauung (und gewinnt daraus die poetische), und MW nicht weniger konsequent mit Vinyl und Stellarium, setzt Grafiken wie elektronische Musik, die vom Equipment her Neues kann, die Differenz zwischen Welt und Mensch in das Geräusch und das Rauschen, das Kratzen mitunter, das Explodieren auch, übersetzen, es kann klickern, klackern, wie Kiesel vom Meer getrieben sein. Man hört Zerdehnen, Umwälzen, Verbiegen, Ordnen, Verschmieren.
Um zu einem Schluß zu finden: wieder ein wundervolles Buch aus dem Gutleut Verlag, das die Beschäftigung mit Poesie in einer Weise ermöglicht, wie sie ferner vom Wasserglaslesekrawehl nicht sein kann, also offener für Impuls und Tiefe, kreative Entzündung, wie sie derzeit in dieser Güte und maßgeblichen Qualität nirgendwo sonst verwirklicht wird, als in dieser Einmann-Werkstatt.
Fixpoetry 2020
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben