Korrespondent der leisen Reisen
Oha, Reisegedichte?! Da fallen dem geübten Leser gleich jede Menge schlechter Beispiele ein. Gedichte, die sich ihre Bilder gleichsam mit touristischen Billy-Regalen möblieren, Eindrücken von der Stange, bei denen das Möwengekreisch , die Olivenbäume und das unvermeidliche Meer natürlich nicht fehlen dürfen. Nicht zu vergessen auch die Eingeborenen, die wahlweise Pablo, Fatma oder Bijoko heißen, um zu signalisieren, dass der betreffende Lyriker sich intensiv mit Land und Leuten beschäftigt hat. Nein, derlei Authentizitätsnachweise hat Thomas Beblo nicht nötig. „Orte, die du nicht kennst“ (Dr. Ziethen Verlag, Oschersleben, 82 S., 12,90 €) nennt der gebürtiger Hannoveraner seinen Gedichtband und als Leser merkt man recht schnell, dass man es hier nicht mit einem poetischen Abklappern profaner Urlaubsdias zu tun hat. Beblo beschreibt Reisen durch innere und äußere Landschaften und ihm gelingt es, mit ganz wenigen Sätzen eine Skizze zu zaubern, ein Setting, in dem sich der Lesende bewegen kann. Der Abstraktionskraft der Gedichte entspricht die Komposition des Bandes: „Unterwegs,“ „Ankunft,“ „Abschied“ heißen die Kapitel und das Ganze wiederholt sich sogar noch einmal wie ein Kreislauf aus Bewegung und Innehalten. Der Fotojournalist Martin Speckmann hat Bilder zum Cover und zu den Kapiteln beigesteuert, die den Band wohlweislich nicht illustrieren, sondern ein autonomes Gegengewicht setzen. Ihm geht es nicht um Atemberaubendes, sondern um Atmosphärisches, nicht um Sehenswürdigkeiten, sondern um Stimmungen und Schwingungen. Das Foto eines schlammverkrusteten Autorückspiegels zum Beispiel sagt mehr übers Unterwegssein als manche Reisereportage. Aber zurück zu den Gedichten. Wortkarg kommen sie daher:
Versprechen
Die Straße verspricht,
dass sich Erde
und Himmel berühren
am Horizont.Also fahre ich,
lasse Landschaften liegen
und Häuser,als glaubte ich ihr.
Dieses Auftaktgedicht des Bandes enthält keine neuen Bilder, im Gegenteil: Sie kommen einem sogar sehr bekannt vor. Aber Beblo gewinnt ihnen einen neuen Aspekt ab, nämlich die unterschwellige Aufforderung zum ziellosen Streunen, sich öffnen für Unvorhergesehenes, sich treiben zu lassen. Einfachheit ist der Schlüsselreiz für die Gedichte des 45jährigen Dichters. Keine lauten Metaphern, Wortneuschöpfungen oder grelle Bilder. Stattdessen dreht Beblo manchmal die Perspektive um und erzielt dabei erstaunliche Effekte:
Jahresende
Im Dezember
schreib’ ich Fragen
in den Schnee.Buchstabe für
Buchstabe hoch
wie ein Haus,wie das Haus meiner Eltern.
Wenn du da bist, Liebste,
erklärt mir dein Lesen
den Winter.
Mit simpelsten sprachlichen Mitteln erreicht Thomas Beblo hier eine gedanklich reizvolle Umkehrung und enthüllt damit den Charakter seiner Poesie, die ihre Stärken nicht aus sprachlicher Virtuosität, sondern aus gelassener Überlegung schöpft. Es sind Gedankengedichte im besten Wortsinne. Es gehört eine Menge Souveränität und Reife dazu, mittels ganz einfacher Sätze eine Saite anzureißen und dem Leser zu vertrauen, dessen aufmerksame Lektüre und feinfühliges Verständnis erst den Resonanzkörper bilden, der diese Gedichte zum Klingen bringt. Vorsicht und Behutsamkeit sind die Tast-Instrumente des Dichters auch gegenüber dem Leben an sich – aus gutem Grund:
Mit ausgestreckten Armen
halte ich das Leben:
Sein Fell ist nass.Ich rubbele,
stecke es unter den Fön:
Wo hast du dich wieder rumgetrieben?Einmal
habe ich es nachts
an mich gedrückt,da hat es gebissen.
Auch wenn es hier um ein ganz anderes Thema geht: Das Motiv des Streuners taucht in abgewandelter Form wieder auf. Und so entpuppt sich der Gedichtband „Orte, die du nicht kennst“ nicht etwa als Reiseführer für exotische Ziele, sondern als Einladung, sich mitnehmen zu lassen auf einen Weg mit neuen Einblicken und Erkenntnisgewinn. Einziges Manko: Kurze Gedichte wie diese verführen leider zum Schnelllesen und das birgt die Gefahr, dass man sie eher wie Kalendersprüche abhakt. Das haben diese Gedichte nicht verdient. Also ist eine fein dosierte Lektüre zu empfehlen, denn eine gute Einteilung macht diesen poetischen Reiseproviant umso wertvoller.
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