Das Herz der Zivilisation
Nach POOLS legt Matthias Göritz, der 1969 in Hamburg geboren wurde und heute in Frankfurt am Main lebt, den Band TOOLS vor. Entsprechend zeigt der Einband auch die Benutzeroberfläche eines Computers, auf der gerade eine wunderschöne Blume bearbeitet wurde oder noch wird, so dass man nicht weiß, ob ihre Schönheit Ausgangspunkt oder Resultat der Bearbeitung ist. Mit solcherart Ungewissheit spielen auch Göritz' Gedichte.
Im Klappentext heißt es, sie stellten die Grenzen des Vorstellbaren in Frage, ich meine aber eher, dass sie zeigen und aufzeigen, wie die Vorstellung selbst, das Vorstellbare und Vorgestellte generiert. Sie entwerfen zum Teil dramatische Bilder und sie eröffnen das Spiel in eigener Kulisse, die sich der Überlieferung als Fundus bedient. So tauchen gleichberechtigt neben Dichterkolleginnen und Kollegen auch historische Ereignisse und Alltagsgegenstände auf. Die Welt und ihre Geschichte ist das, was wir daraus machen. Die Sprache wird dabei zum Souverän, der Zeitläufe und Räume aufheben kann und neu strukturieren. Das Jahr 44 bleibt das Jahr 44, des Jahrhunderts enthoben und immer noch das, in dem Heines Wintermärchen erscheint.
„Doch wovon sprechen wir? Ohne
dass du es merkst bist du ins Gehäuse
der Syntax getaucht, kleines
...“
So heißt es im Text Spiegelschlaf, in dem einiges zur Sprache kommt was die Gedichte des Bandes grundiert, jenes Spiel mit Gewissheiten in einer manipulierten Welt. Allerdings fehlt Göritz Texten jene Larmoyanz, die sich an anderer Stelle in solchen Situationen Bahn bricht. Göritz Texte bleiben bei aller Dramatik auf eine gewisse Art heiter, denn er weiß nämlich, dass das Spiel eröffnet ist und schon immer eröffnet war, dass wir nicht Opfer der Manipulationen sind, sondern selbst an ihnen teilnehmen.
Morgen fass ich/ was du sagtest,// vielleicht, genau. (Kernschmelze, manchmal)
Respekt!
Im Zentrum des Bandes, meines Göritzbandes, denn so sehe ich das, befindet sich ein Sonettenkranz, in dem sich alles um Autos dreht. Zwar hebt er ab auf das alte Vorurteil, es sei nur unter uns Deutschen so, dass das Auto im Zentrum der Aufmerksamkeit des Mannes steht, wenn man aber die zärtlichen Berührungen zwischen Besitzer und Auto beobachtet, wie sie in Portugal, Griechenland oder Polen zustande kommen, weiß man: Göritz bewegt sich mit diesem Zyklus in das Herz unserer Zivilisation. Bewegung ist Fortschritt, und es sind ja auch nicht die Abgase, die von Männern geliebt werden, sondern die Produkte männlicher Ingenieurskunst. Wir werden die Elektroautos genau so lieben, wie wir die mit Verbrennungsmotor geliebt haben.
Der Trick, den Göritz benutzt, führt uns aber gleichfalls ins Zentrum westlicher Schizophrenie. Wir lieben Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie hassen sollten. Und so beschreiben Göritz' Sonette Fahrzeuge, die stehen und als Titel dient ihnen Wagentyp und Situation, in der sie zum Stehen gebracht wurden. Allein die Überschriften sind die Lektüre wert, muten sie doch wie Texte der neuen Sachlichkeit an. Viel ist von Liebe und von Kindheit die Rede, wie es sich gehört in Sonetten, aber im Zentrum steht die Topografie eines Lebens, angesichts mannigfacher Radwechsel.
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