Spielarten der Liebe.
Nicht alle Erzählungen spielen in Italien - einige in Finnland, Norwegen, Hamburg und Straßburg. Aber alle erzählen von der Liebe, fast alle von weiblicher Liebe, von heutiger und längst vergangener.
Einige erzählen von der Liebe in Ausführlichkeit und lebhaft, mit all den Farben, Stimmen und Bewegungen, aus denen sich Erinnerungen zusammensetzen. Andere sind kurze Texte, beschreiben nur Augenblicke, aber wenn man die Landschaften und die Gesichter mitliest, wenn man selbst in Italien alte von Arbeit und Sonne gegerbte Gesichter gesehen hat und auch barfüßige Kinder, die einen zu mehreren in einer Reihe anschauen, und wenn man den einfachen Wein selbst geschmeckt hat, dann wird aus einem kurzen Text, der abrupt aufhört, eine lange Geschichte, die im eigenen Kopf nicht aufhört, wenn die Texte zu Ende sind, und sie bekommen im eigenen Kopf Vorgeschichten und Fortsetzungen, die so lang sind, wie man dem eigenen Nachsinnen eben Zeit gibt.
Und dieses Nachsinnen lohnt sich. Man atmet und sieht mit diesen dichterischen, diesen verdichteten Texten, denn Charlotte Ueckert ist Lyrikerin, auch wenn sie Prosa schreibt – und das ist ein Glück für den Leser.
Aber die Spielarten der Liebe sind es, die das Lyrische – nein, nicht durchbrechen, sondern ausweiten. Das Lyrische in Charlotte Ueckerts Erzählungen wird dissonant, verstörend, abweisend, aber auch wieder flimmernd erotisch und zärtlich. Normen verschwinden - wie in der Liebe einer Lehrerin zu ihrem schönen Schüler. Das knorrige Gehabe eines alten Deutschen in einem italienischen Dorf würde im Norden nicht weiter bemerkenswert sein, aber so wird es eine lyrisch.-dramatische Momentaufnahme. Und Michelangelo, der unseren Begriff von Schönheit mitgeprägt hat, kämpft mit den Widrigkeiten des Alltags, bevor er Schönheit erschaffen darf. Damit gibt Charlotte Ueckert nicht nur durch fiktiv-historische Erzählweise dem großen Michelangelo Leben, sondern der gestaltete Marmor wird auch plötzlich lebendiger.
Ein wunderbarer Erzählband, der es verdient, wenn er mit Atem und Sensibilität gelesen wird. Denn so ist er auch geschrieben.
Fixpoetry 2012
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