„Ich brauche kein Brot, ich brauche Istanbul.“
Metin Eloglu ist in Deutschland nahezu unbekannt. Aber welchen türkischen Dichter kennt man hier schon? Hikmet, Veli, Daglarca, und auch die nur in Insiderkreisen. Rifat, Necatigil, Külebi? Sind Großteils nicht mal übersetzt. Ein Jammer. Das deutsche Lyrikpublikum ahnt gar nicht, was es sich entgehen lässt. Für Eloglu gilt Dasselbe. Umso bedeutender, dass der Berliner Binooki Verlag nun dessen kurze Prosatexte in Angriff genommen hat. Aber warum die Prosa, wo Eloglu doch hauptsächlich Lyriker war? „Dass nun die deutschsprachigen Leser das Werk meines Vaters nicht durch seine Gedichte, sondern durch seine Erzählungen kennenlernen, ist dem schwindenden Interesse an Lyrik geschuldet, das heute im Land der Dichter und Denker vorherrscht“, schreibt seine Tochter, die Schauspielerin Siir Eloglu, im Vorwort. Siir bedeutet Gedicht.
Quelle: Binooki
Metin Eloglu wurde 1927 geboren und starb 1985. Sein erstes Gedicht veröffentlichte er mit sechzehn Jahren. Von der Kunsthochschule flog er, weil er zwei Jahre als politischer Häftling einsaß. Maler wurde er dennoch. Auch in der Türkei erschienen seine Prosatexte erst 2009, über dreißig Jahre nach seinem Tod, dort lautet der Titel nicht „Fast eine Geschichte“, sondern „Istanbullu“, „Der Istanbuler“, nach der stärksten der kurzen aber tiefgehenden und beeindruckend ausdrucksstarken Stories in dem schlanken Band. Es ist ein Brief eines Erzählers, der sich bis in den letzten Nerv nach seinem geliebten Istanbul sehnt, und der schließlich zurückehren darf: „Beyoglu haben sie neu erfunden. Jede Stunde fährt ein Schiff zu den Prinzeninseln ab. Ganz gleich, wo du klingelst, die Leute sind zu Hause.“ Sein Sehnen bringt er so auf den Punkt wie jeder, der einmal dieser Stadt verfallen ist, sich in sie verliebt hat: „Ich brauche kein Brot, ich brauche Istanbul.“ Ein kurzer Text, kaum fünf Seiten lang, aber eine immense Liebeserklärung an die Stadt auf zwei Kontinenten, das minimalistische Gegenstück zu Ahmet Hamdi Tanpinars überbordendem Roman „Seelenfrieden“, der zu Recht als türkischer „Zauberberg“ gilt, vor allem aber eine Ode an Istanbul ist.
Eloglus Texte sind „fast eine Geschichte“ – es geht ihm nicht um Abgeschlossenheit oder Pointen. Er setzt Akzente, zeichnet Momentaufnahmen, kleine sozialkritische und melancholische Einblicke und erweist sich mit autobiographisch gefärbten Anekdoten als sensibler Chronist der Stadt von den frühen Fünfzigern bis in die Mitte der Achtziger. Der letzte Text entstand in seinem Todesjahr, den ersten, über die Fischerjungen am Bosporus, schrieb er 1944.
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