Lesart
Din Mehmeti* 1932† 2010

Das Meer auf der Zunge

Über dem Meer flammen
Ruten der Liebe

die Sterne senken sich auf die Brust
die Herzen fliehen in den Himmel

Boote werden trunken auf Wellen
das Netz träumt Tiefen

der goldene Fisch wird bald gefangen

und kein Aufgang kein Untergang
kein Schmerz keine Freude

die Felsen schreien
die Flamme ruft uns

das Auge birgt aus dem Orkan
eine Möwe

Kein symbolischer Stein sondern das Meer auf Zunge

Der albanische Lyriker Din Mehmeti

Im April des Jahres 1999 wurden Din Mehmeti und einige andere kosova-albanische Intellektuelle von den Medien totgesagt. Die Nachricht von ihrer Ermordung erwies sich als Falschmeldung, wurde jedoch im Falle Mehmetis lange nicht dementiert. Nach bangen Wochen war von geflohenen Schriftstellerkollegen Mehmetis zu hören, er sei am Leben und in Tirana. Dann stellten sich Zweifel ein, ob Mehmeti nicht doch Opfer des Mordens geworden sei, da er in Tirana unauffindbar war. Erst im Juli tauchte er wieder unter den Lebenden auf, in desolatem und schwer traumatisiertem Zustand. Din Mehmeti, der große alte Mann der kosova-albanischen Dichtung, hatte drei Monate irgendwo in Nordalbanien als einer von vielen tausend Namenlosen im Flüchtlingselend verbracht, nachdem er nur knapp dem Tod entgangen war. Nach dem Krieg in Kosova ist die Ohnmacht der Literatur oft beschworen worden - Din Mehmeti hat sie das Leben gerettet. Als ihm der Lauf einer Maschinenpistole an den Hals gesetzt wurde, sagte er: »Ne pucajte u pesnika« (»Schießt nicht auf den Dichter«). Darauf der Serbe: »Du lügst«. Der Dichter zeigte ihm zwei seiner Bücher, die ins Serbische übersetzt waren, und kam mit dem Leben davon.

So rätselhaft das Schicksal Din Mehmetis in den letzten Monaten war - sein literarisches Œuvre ist von einer Klarheit geprägt, die in der zumeist erdhaft schweren, oft dunklen Lyrik Kosovas eine Ausnahme bildet. Mehmeti wurde 1932 in Gjocaj bei Junik nahe der albanischen Grenze am Fuß der Gjeravica geboren. Ab 1949 publizierte er seine Gedichte in Zeitschriften. Erst 1961 erschien sein erstes Buch, »Në krahët e shkrepave« (»In den Armen der Felsen«). In das gleiche Jahr fällt das Buchdebüt dreier weiterer bedeutender kosova-albanischer Lyriker, Adem Gajtani (1935-1982), Fahredin Gunga (1936-1997) und Ali Podrimja (*1942). Davor waren nur insgesamt vier Lyrikbände kosovarischer Autoren erschienen. Mehmeti und andere Autoren, besonders auch Azem Shkreli (1938-1997), die in den fünfziger und sechziger Jahren unseres Jahrhunderts die kosova-albanische Literatur begründeten und vor allem in den siebziger Jahren einen Höhepunkt erreichen liessen, siedelten ihre Lyrik im Ambient des Kerngebiets der traditionellen albanischen Kultur, dem bergigen Dukagjin-Hochland an. Zugleich griffen sie, wie vor ihnen bereits der große serbische Lyriker rumänischer Abstammung, Vasko Popa, auf orale Traditionen zurück, den an Kürzeln und elliptischen Formen und Formeln reichen Bestand mündlich tradierter Lieder, Märchen, Legenden, Rätsel, Sprichwörter, Zaubersprüche usw.

Während die oft bis zur buchstäblichen Einsilbigkeit verknappte Lapidarität in den Texten von Mehmetis Dichterkollegen in Kosova dazu tendierte, wie paraphrasiertes Schweigen anzumuten, in ihrer extremen Verdichtung zu versteinern und sich in ihrem Inventar von Formeln, Symbolen und Allegorien hermetisch zu verschließen, war Mehmeti von Anfang an ein Dichter vergleichsweise spontanen poetischen Sprechens. Seine Lyrik, frei von der Artifizialität formelhaft lakonischer Verschlüsselung, lebte, atmete und sang trotz der Konzentration der dichterischen Mittel und auch, wenn sie Bedrohungen, Gefährdungen und Schrecknisse spiegelte. Metaphern und Bilder schienen ihm zuzufallen wie Mozart die melodischen Eingebungen. Gehörte zum ungeschriebenen Kanon der kosova-albanischen Lyrik die überaus reichliche Verwendung rhetorischer Figuren der traditionellen Oralität wie Parallelismus, Chiasmus, Klimax, rhetorische Frage, Antithese und Oxymoron, so setzte Din Mehmeti diese Mittel eher sparsam ein, hatte es wohl auch nicht nötig, seine Poesie hinter einem Arsenal rhetorischer Figuren zu verstecken.

Der Verzicht auf Manierismen starrer Lakonik brachte ihm mitunter den Vorwurf von Neidern ein, »pathetisch« zu sein. Da er, ein Stiller im Lande, in Gjakovë weitab von den Cliquen, Claquen und Clans der arrivierten Autoren in der Hauptstadt Prishtinë lebte und schrieb, stand er in der Gunst der Gemeinde seiner Leser, die ihn verehren, höher als in derjenigen der Kritik. Hierbei ist es hilfreich, zu wissen, daß in der kosova-albanischen Literatur in Tito-Jugoslawien und dessen Nachfolgegebilden bis hin zu Ibrahim Rugovas »Republik« die meisten Schriftsteller wie im übrigen Jugoslawien ihr Brot in aller Regel in einer festen Anstellung im Zeitungs- und Verlagswesen verdienten, also einander gegenseitig rezensierten und verlegten.

Din Mehmeti hat nicht an dem Mythos des Widerstehens (gegen slawische Herrschaft) mitgebastelt, den die kosova-albanische Literatur hauptsächlich im Symbol des Steins wieder und wieder thematisiert hat. Seine Poesie beugt sich nicht im Erdulden, sondern begehrt auf.

In noch einem Punkt hat sich Din Mehmeti dem Sog des Gängigen entzogen. Er ist aus der Stereotypie der Topoi Berg, Fels, Stein und Fluß ausgeschert und hat der Literatur Kosovas die meisten und schönsten Meer-Gedichte geschenkt.

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