Lesart
Lorenzo Calogero* 1910† 1961

XXVII

… Vielleicht kann ich dir dies nur sagen,
wahnsinnig auf deinem Leib wie auf dem Herz eines Löwen
entweder ist dies ein Bild, das dich im Sturm erobert
oder es sind großartig vergebliche Stufen;

doch dann schlägt Trauer diese Zypresse,
einen Moment lang nur, und
von Hand zu Hand, in meiner Hand,
Milch in den Händen haltend,
dieses dein Heft.

Mag sein, dass im Herzen der Nacht
ein später Schwalbenschrei mit den Flügeln schlägt;

es ist aber nur ein Luxus
und das, was als Tränenschmiede erscheint,
wollte vielleicht nur das Ende des Abschieds
bedeuten, mit demselben Schrecken
in deinem und meinem Blick
am Ende des Tages.

Das Ende des Tages ist nur ein einfacher Luxus.

Eine Orchidee leuchtet nun in der Hand.

Aus dem Italienischen von Stefanie Golisch

Erinnerung an ein Ungeschehen

Mit einem Bild  schickt der Dichter sich an, die Geliebte zu erobern: wahnsinnig auf deinem Leib wie auf dem Herzen eines Löwen. Ein solches Bild versteht man auf Anhieb oder nie; wahrscheinlich wird die Frau blind für seine Unbändigkeit sein, doch was ist schon ihr Nicht-Begreifen gegen den erregenden Moment, in dem das Bild, eine Übertreibung, gefunden ward?
Im Zeichen extremer Spannungen vollzieht sich das Leben des italienischen Dichters und Arztes Lorenzo Calogero (1910-1961). Als es ihm im März 1961 nach schweren psychischen Krisen endlich gelingt, seinem Leben ein Ende zu setzen, haben sich seine Kräfte erschöpft. Zu übermächtig sind die körperlichen und seelischen Belastungen geworden, um ihnen noch länger stand zu halten. Er hat sich in seinem Lebenskampf, der um zwei große Themen, die Liebe und die Poesie kreist, verausgabt und hat am Ende verloren – oder sich in Selbstauslöschung vollendet.

Calogero stammt aus Meliccucà, einer kleinen Stadt in Kalabrien, seinerzeit eine der rückständigsten Regionen Italiens. Mittelalterlich feudale Strukturen und rigide Hierarchien prägten noch zu Beginn des vorigen Jahrhunderts das Gemeinwesen. Der überwiegende Teil der Bevölkerung bestand aus abhängigen Bauern, Tagelöhnern und Analphabeten. Armut und vollkommene Perspektivlosigkeit  trieben die Menschen zur massenhaften Auswanderung nach Amerika.

Von diesem Elend war die Familie Calogero, die der verschwindend kleinen Oberschicht angehörte, nicht betroffen, ja sie führte sogar ein relativ privilegiertes Leben. Lorenzo Calogero studierte Medizin, doch das Verhältnis zu seinem Beruf ist ambivalent. Mehr denn als Arzt wird er sich zeitlebens als Kranker begreifen, der sich selbst mit dem prüfenden Blick des Arztes wahrnimmt. Immer wieder einmal wird er für kurze Zeitspannen seinen Beruf ausüben, seine eigentliche Kraft  jedoch wird er ganz und gar in den Dienst seines Werkes stellen, das ihm Halt und Orientierung in einer Welt verleiht, in der er nicht heimisch werden kann.

In vollkommener Einsamkeit, ohne Kontakt zu den literarischen Zentren seiner Zeit, entwickelt Calogero seine poetischen Bilderwelten, die sich keiner Strömung zuordnen lassen und die aufgrund  ihrer Unvergleichlichkeit in seiner Heimat bisweilen mit denen Paul Celans verglichen werden.  Dichtung war für ihn Ausdruck innersten Seins, Theater  von Träumen, Obsessionen, Sehnsüchten, Spannungen und Widersprüchen. Blutiger Kriegsschauplatz, aber auch der Liebe einzig möglicher Ort. Heftig sind die Gefühle und Stimmungen, denen er in seinen Gedichten Ausdruck verleiht. Bizarr und auf den ersten Blick durchaus schief und sogar bisweilen unstimmig seine Bildersprache, die sich aus Träumen, Alpträumen und Tagträumen speist. Aufgepeitscht und zerrissen erscheint das lyrische Ich in seinem Ringen um höchste Intensivierung des Seins.

Sein größter Wunsch war es, als Dichter in der Öffentlichkeit anerkannt zu werden.
Mitte der 50er Jahre unternahm der kleine, frühzeitig gealterte Mann, seine abgegriffene Aktentasche unter dem Arm, eine Reise in die literarischen Zentren im Nordens Italiens, nach Mailand und Turin, um persönlich bei Verlagen vorstellig zu werden. Wie man sich als Dichter ins rechte Licht setzt, wie man in der Welt auftritt und sich behauptet, wusste er allerdings nicht, und so war es ein Leichtes, ihn abzuwimmeln und auf unbestimmte Zeit zu vertrösten. Unverrichteter Dinge musste er in seinen Heimatort zurückkehren, ein Gespött.

Nach seinem Tode findet man auf seinem Nachtisch einen Zettel, auf dem er seine letzte Bitte an die Nachwelt niedergeschrieben hat: Ich bitte euch, mich nicht lebendig zu begraben – L.C.

Eine Auswahl der Gedichte Lorenzo Calogeros in meiner Übersetzung  sind nachzulesen in : Kalliope. Zeitschrift für Kunst und Literatur, Heft IV/2008. (www.kalliope.bernstein-verlag.de)

 

 

 

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