Lesart
Konstantin Ames* 1979

[hintun]

"du wasserfilterverkäufliches
erzluder herz du tjreude
brei nichts als freibrei, hinta
meiner ohren augen nase mund

klopf mit dem kopf an / uuildu noh
poche den docht an / uuildu noh"

auszug aus dem gedicht "hintun" -

Unbekannte Trümpfe in der Hand

„du wasserflittchen du verkäufliches
herz du erz und teure
du brei bist frei und raus aus meiner
einer sinnen zinnen“

Zwei Minuten habe ich gebraucht, um in der Bastelstube von Konstantin Ames mitzumachen und einen Text zu erzeugen, der aus seinem hervorgeht und offensichtlich nicht den allerschlechtesten. Mit etwas poetologischem Basispomp kann man das, was mir hier ein paar Momente Spaß gemacht hat, auch zur großen Kunst erheben. Da sind Reime (die bei ihm versteckt sind – denn das Verstecken ist „die Kunst“), Assoziationen, die bei ihm da „hinta“ sind – all das kann man hervorholen, oder eben auch nicht.
Je nachdem, ob man mit dem Kopf anklopft und der Sesam öffnet sich. „uuildu noh“ schreibt er dann. Ich gestehe: Ich will nicht. Denn danach fragt der Satz: er stammt aus einem mittelalterlichen Gedicht-Bruchstück namens „Hirsch und Hinde“, es befindet sich in einer alten Handschrift in der Bibliotheque Royale in Brüssel – jedenfalls kann man das im Reallexikon der germanistischen Altertumskunde so nachlesen. Im Ernst: entlegenere Quellen kann man in einem Gedicht nicht zitieren. Unverstandener kann etwas nicht bleiben. Ames sammelt das, je rätselhafter, umso mehr Punkte für den Kandidaten bei der Überzeugungsarbeit ein echter Literat zu sein.

Aber von alleine ist er nicht drauf gekommen. Sein Gedicht datiert vom 11.07.2009 und genau einen Monat zuvor schickte Gregor Koall seine Lyrikmail Nr. 1996 (in der "Szene" von allen abonniert), nämlich exakt am 10.06.2009, durch die Lande, darin präsentierte  Dr. Martin Schuhmann von der Universität Frankfurt/Main aus seiner Reihe „Texte aus mittelhochdeutscher und althochdeutscher Zeit in Original und Übersetzung“ folgende althochdeutsche anonyme Randnotiz namens „Hirsch und Hinde“:

hirez runeta hintun in daz ora „uuildu noh hinta?“     
will heißen:
Der Hirsch raunte der Hinde [= Hirschkuh] in das Ohr: „Willst du noch, Hinde?“

In dem Lyrikmail erklärt uns Dr. Martin Schumann das tatsächlich Bemerkenswerte an diesem Text („seit etwas mehr als 1000 Jahren raunt der Hirsch der Hinde ins Ohr und lädt ein, das Spiel von Tanz und Liebe noch einmal zu beginnen. Das mag banal sein, aber auch notwendig.“) und offensichtlich hat das Ames so beeindruckt, daß er das Bruchstück im Sinn behält und für sein eigenes Gedicht mehrfach benutzt, einmal „hinta“ und dann wieder extra das „uuildu noh“ und insgesamt geht es um Brunft.

Zu der „Hinde“ und dem „hinta“ gehört noch "hintun". Der mehrdeutige Titel. Außerdem kann man den Docht auch noch hinten hintun. Zumindest im Kopf klopft das an. Denn spaßig ist das mit dem Docht. „Poche den Docht an!“ – vor dem Hintergrund, daß der Hirsch der Hinde ins Ohr raunt, ob sie vielleicht noch Lust habe, ist schnell der immer willige und schon steife Pimmel als eigentlicher Anfrager identifiziert, der das Erzluder bedrängt. „herz du trjeude“ – hier zitiert Ames google books, das die „Freude“, wenn sie in alten Werken in Fraktur gesetzt ist, oftmals als „Trjeude“ liest und so in den Ergebniszeilen liefert.

Das kann man dann in den Zusammenhang eines mittelalterlichen Gedichtes [hintun] – schon klar. Klonschar. Das Leben des Clochard ist aufm Klo wahr. So funktionierts. Wenn die Funken sprühen und die Nieren mitmachen. Man hält sich für intelligent und mit allem, was in einem so heraufzuckelt, spielt man Karten, bis der eine Trumpf gefunden ist, den keiner mehr aussticht. Schon gar nicht mit einem „a, bä oder sä“ drin. Hörz Öss. Hört ihr uns? Kunst is'!

Zum Schluß klappts dann doch nicht – und wird alles zur französischen Fäkalie. Olala! Was kann der Mann eigentlich nicht? Er spricht mittelalterhochdeutsch (oder wie das heißt), googlebookisch, und jetzt auch noch französisch! Irre. So ein Tausendsassa! Und das alles ausm Handgelenk. Aus dem „wolltest noch mehr“ wird ein „wolltest noch, merde!“ – ich bin sprachlos – was steht bloß auf dem Ames sein Herd. Ich falle auf die Knie und denke Ames – Deutschland deine Dichter! Grandioser geht's nichtmehr.

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