Lesart
Erich Arendt* 1903† 1984

Trinklied

Die Machete schlug
dem Mond den blanken
den runden Schädel ab.
    Da lachten die Neger.

Wer gibt uns Reisschnaps
Zu trinken in dieser Nacht? –
Der Mond war nichts wert,
    lachten die Neger.

Warum ist dein Buschmesser
wie von Fischblut rot,
Reisschnitter Juan?
    lachten die Neger.

Ich schlug dem fetten
Mond über dem Reisfeld
den blanken Schädel ab.
    Da lachten die Neger.

Er schlug dem satten Mond
den Schädel ab, weil der
nicht an uns dachte,
    lachten die Neger.

 

(1948)

Seilschaft zum abgeschlagenen Mond

Im Hochsommer konnte man es kaum in den Weinbergen aushalten, das rote Gestein speicherte die Wärme und wenn wir halbnackt in kurzen Hosen und schweren Arbeitsschuhen durch die aufgezackerten Steinschollen die Rebzeilen hinauf stampften, um entlang der Pflanzlinie das Unkraut herauszuhauen, gab es kaum kühlende Winde. Wir klemmten uns feuchte Tücher unter die Strohhüte, damit sie uns durch unsere eigene Bewegung Luft zu fächelten und fühlten uns dennoch am Ende eines Arbeitstages wie trockenes Moos. Immer wieder hielten wir inne, um zu plauschen, gestützt auf die schwere Hacke, während seitlich ein anderes Team irgendeine Luft nutzte, um voranzustolpern in Richtung der Waldgrenze ganz oben am Hang. Jede Zeile wurde von links und rechts mit je einem Mann beackert, den Berg hoch, eine nächste Zeile den Berg runter, eine übernächste wieder hoch und so weiter, immer zwei Mann, die sich zueinander stellten und deren Hacken zadong! die steinreichen Erden einander versetzt rythmisch durchschepperten. Am Nachmittag waren die verbrannten Körper durch die steten Erschütterungen wie leergeschüttelt und hielten sich kaum mehr aufrecht. Dann noch diese Hitze – seit Tagen schon ein immerwährendes Blau.

Mein Gegenüber Michael, ein alter Schulfreund, war aus Mexiko hier, er lebte dort mit seiner Familie und machte in den Sommermonaten in Deutschland durch Checkerei und Tagelohn die Kohle, die er für die Wintermonate für seine Familie brauchte. Und er sparte. Er wolle sich eine Marihuana-Plantage aufbauen und dann mit seiner Familie ein unbesorgtes Auskommen haben in Mexiko, erzählte er mir und drehte Joints, die er alleine rauchte im Schattenspiel der großen Eichen, während der Mittagspause. Wenn wir zurückkehrten in die Steile des Hangs und die klirrenden Zadongs, wenn das Eisen aus den Steinen Funken heraushackte, fühlten wir uns wie auf einer Plantage in Mexiko, unter unseren Sonnenhüten, die den Blick beschnitten zu einem Breitwandfilm.

Der verantwortliche Weinbauingenieur aus Würzburg machte den Vorschlag den Juli über bereits um fünf Uhr morgens die Arbeit zu beginnen.  Bis wir alle ausgerüstet im Hang stünden, sei es dann bereits ausreichend hell und fiele manches leichter. Schließlich könnten wir dann schon um 14 Uhr Feierabend machen, gerade dann, wenn die Luft so unerträglich zu stehen begönne.
Wir machten das und hielten es den ganzen nächsten Monat so. Es erleichterte viel und war dennoch anstrengend genug. Als die Hackerei auf den neuen Feldern geschafft war, ging es an die Laubarbeiten in den Altbeständen, eine im Vergleich fast schon entspannende Arbeit, und eines Tages hatte jemand eine Kiste Starkbier in seinem Kofferraum und während des Morgengraus standen wir auf den mächtigen Weinbergsmauern und prosteten in die körnige Stille, die wie eine warme Umzäunung war. Der Alkohol wirkte sofort und ungewohnt stark und sprengte. Wir standen und lachten und Jean, der Auvergner, kippte ganz weg und krümmte sich im morgenfeuchten Gras, weil Michael eine ganz unglaubliche Geschichte aus Mexiko erzählte. Es ging um eine Wortverdrehung oder ein Mißverständnis. Jeans Lachen steckte uns alle an, schließlich hielten wir uns den Bauch, stammelten nur noch halbe Sätze, überschlugen uns aufs Stichwort mit neuem Lachen, bis die Muskeln weh taten. Der ganze Morgen blieb ein lächelnder Rausch.

Ich schrieb nichts in dieser Zeit und jahrelang danach auch nicht. Ich war zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, authentisch zu werden und nichts mehr an mir zuzulassen, was nicht dem entsprach, was ich wirklich dachte. Aber wie unterscheidet man das – das wirklich gewollte vom insgeheim strategisch gedachten, wie unterscheidet man das, was man ist, von dem, was man sein will?

Die schwere körperliche Arbeit half mir mich zu verändern. Ich lernte zu unterscheiden, was im Tag bestehen konnte und was nur törichtes Wunschdenken war. Mein Vokabular veränderte sich. Meine Sprache fand zu Begriffen, die ich lebte und in denen ein Leben mehr als nur möglich war. Was sich anfühlte wie verstummen, war bedeutungsreicher als zuvor. Stille konnte spannend und reich wie Regen sein und das Gesprochene eine falsche Fährte oder eine Sackgasse. Regen konnte Luft sein, die man atmet.

Ich trennte mich – mal wieder – von fast all meinem Besitz (was ohnehin sehr wenig war, eine Obstkiste mit Cassetten und Büchern, ein paar Platten und ein kleiner Stapel Musikzeitschriften). Eines Abends saß ich vor den Büchern und sortierte, was bei mir bleiben konnte, und was weg mußte.  Ein Dutzend erinnere ich, das blieb, darunter ein Heft von und über Rimbaud, Meckels wunderbares Licht, Arthur Schurigs Godefroi, der Gascogner, Bernhard Keimels Metastasen & Schlaglöcher und ein Band Gedichte von Erich Arendt.

Erich Arendts Gedichte (DDR-Taschenbuch, 1976 bei Reclam erschienen) erreichten mich Jahre zuvor per Zufall. Ich weiß nicht wirklich wie, ich fand sie wohl Ende der Siebziger in einer Flohmarktkiste und habe das Buch wahrscheinlich gekauft, weil es billig war und es in meine “Lyrik-Bibliothek” passte. Erst zuhause las ich mich darin fest und manche Sätze (“Die Erde kreist …. wenn deine Menschen essen”) inspirierten mich sofort zu eigenen Gedichten. Schließlich fand ich das Trinklied. Ich fasste es ganz unpolitisch auf und schrieb wenige Tage später eine Art Pastiche, ein eigenes Trinklied. Darin gab es Arbeiter, die ein ganzes reifes Maisfeld in Flammen aufgehen lassen, weil sie kichernd vor Lachen Schnaps brennen wollen daraus. Eine Zeit lang kicherte ich über diese Idee, aber später verwarf ich den Text, weil er immer wieder gegen die irdische Tiefe des Originals belangslos wurde. Arendts Gedicht hatte Dimensionen, das meine war flach. Wie verlassen vom üblichen Trost der Welt man sein mußte, um den Mond vom Himmel zu schneiden und auf eine Weise zu lachen, wie es die Reisschnitter in Arendts Gedicht tun, konnte ich damals nur ahnen und ahnte es.

Arendt hatte sein Gedicht 1948 geschrieben (es gehörte zu den ersten Gedichten, die von ihm in der DDR erschienen – Peter Huchel sorgte 1950 für einen ersten Viererpack in Sinn und Form) . Er hatte in Spanien gekämpft, war vor den Nazis geflohen und im Exil durch Kolumbien und die Karibik gerirrt, hatte dort hausgemachte Pralinen und Marzipan verkauft, um zu überleben. Er verkehrte mit südamerikanischen Dichtern, schloß Freundschaften, hat einige von ihnen übersetzt, darunter auch Pablo Neruda und seinen großen Gesang (der bereits 1953 in Ostberlin und spät erst – 1986 - ebenfalls in Arendts Übersetzung, im Westen bei Luchterhand erschien). Mit ihm zeigt sich Arendt verwandt, wenn er über die Rolle des Menschen nachdenkt, der zum entscheidenden Erosionsfaktor der Erde geworden ist: „Zerstörend ist / und segnend, Erde, / Erderschütternder / dein Mensch.“

Das passte, während ich blätterte und Bücher sortierte und mich trennen wollte:  erderschütternd und mehr – der Mensch, der ja auch Erde ist, dachte ich. Das gehört auch zu meinen Themen:  der Mensch, der seine Seile kappt, um sie nach dem Mond zu werfen, ist selbst ein Seil. Während ich blätterte und nach Stimmen hörte, die mich weiterhin begleiten könnten, zeigte sich, daß ich das Buch behalten wollte. Ich hatte zwar nichts mehr mit Literatur am Hut, aber es gab noch ein Ich, das verstand, was da vor sich ging. Es gab ein Ich in mir, daß daran glaubte, daß Literatur wahr ist, selbst wenn man sie als Kunst betrieb. Das Kunstvolle schloß das Wahrhaftige nicht aus, sondern lud es ein, eine Party zu sein.

Arendt war also prinzipiell ok. - Man konnte etwas damit anfangen. Es gab Momente darin, in denen es ein authentisches Ich gab. “… an wen es sich … wendet? An alle, an keinen, an diesen gewissen Unbekannt, an den Niemand. Einer genügte wohl schon, wenn es ihn trifft, sein Ich erreicht, man das gleiche Glas erhebt und sich zutrinkt, im Bitteren, im Hellen. So steht das Ich, beredt, für den Anderen, für alle.” Erich Arendt in einem Interview mit Gregor Laschen (gefragt nach dem ICH im Gedicht). Er erreichte mich nicht zuverlässig tief. Aber ich ließ ihn in meiner Nähe das sein, was eine Berührung ist. Das Trinklied blieb mir unvergessen.

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