Lesart
T. S. Eliot* 1888† 1965

Die hohlen Männer

Mistah Kurtz -- he dead.
A penny for the Old Guy

I

Wir sind die hohlen Männer
Die Ausgestopften
Aufeinandergestützt
Stroh im Schädel. Ach,
Unsere dürren Stimmen,
Leis und sinnlos
Wispern sie miteinander
Wie Wind im trockenen Gras
Oder Rattenfüße über Scherben
In unserm trockenen Keller

Gestalt formlos, Schatten farblos,
Gelähmte Kraft, reglose Geste;

Die hinüber sind, sehenden Auges,
Ins andere Reich des Todes,
Wenn sie an uns denken, denken sie nicht
An gewalttätige verlorene Seelen,
sondern an hohle Männer,
An Ausgestopfte.

II

Augen, deren Blick ich fürchte,
Die nicht erscheinen
Im Traumreich des Todes:
Dort sind die Augen
Sonnenlicht auf Säulentrümmern
Dort, ein Baum der sich wiegt
Und Stimmen sind
Im Gesang des Winds
Ferner und feierlicher
Als verblassender Stern
So fern will auch ich sein
Im Traumreich des Todes
Ich will auch so
Vorsätzliche Masken wählen
Rattenfell, Krähenhaut, Vogelscheuche
Auf einem Feld,
Die tun, was der Wind will,
So fern -

Nicht die endgültige Begegnung
Im Reich des Zwielichts

III

Dies ist das tote Land
Dies ist das Kaktusland
Hier sind aufgerichtet
Die steinernen Bilder, zu denen
Betet die Hand eines Toten, darüber
Funkelt ein verblassender Stern.

Ob es so ist
In dem anderen Todesreich
Ob Lippen wachen, mit sich allein,
Zur Stunde da wir beben
Vor Zärtlichkeit,
Lippen die küssen möchten
Und beten zu zerbrochenem Stein.

IV

Die Augen sind nicht hier
Hier sind keine Augen mehr
In diesem Tal da Sterne sterben
In diesem Hohlweg
Dem Stück Kinnbacken zu unseren verlorenen Reichen

Auf diesem letzten Sammelplatz
Tasten wir nach dem andern
Sprachlos geschart
Am Ufer des reißenden Stroms
Blind, es erschienen denn
Die Augen wieder
Wie der lebendige Stern
Die vielblättrige Rose
Des zwielichtigen Totenreiches,
Niemandes Hoffnung,
Hoffnung der leeren Männer.

V

Wir tanzen um den Stachelbaum
Stachelbaum Stachelbaum
Wir tanzen um den Stachelbaum
Um fünf Uhr früh am Morgen.

Zwischen Idee
Und Wirklichkeit
Zwischen Regung
Und Tat
Fällt der Schatten

Denn Dein ist das Reich

Zwischen Empfängnis
Und Geburt
Zwischen Gefühl
Und Erwiderung
Fällt der Schatten

Das Leben ist lang

Zwischen Verlangen
Und Zuckung
Zwischen Vermögen
Und Leibhaftigkeit
Zwischen Wesen
Und Abstieg

Fällt der Schatten

Denn Dein ist das Reich

Denn Dein ist
Das Leben ist
Denn Dein ist das
Auf diese Art geht die Welt zugrund
Auf diese Art geht die Welt zugrund
Auf diese Art geht die Welt zugrund
Nicht mit einem Knall: mit Gewimmer.

(Deutsch von Hans Magnus Enzensberger)

Denn dein ist das Leben!

Metatext zu T. S. Eliots The Hollow Men

Ich fahre in das Gedicht hinein wie Joseph Conrads Erzähler Marlow in Herz der Finsternis. Ob ich den Kongo hinauf fahre oder den Mekong, das ist egal. In Apocalypse now bin ich Captain Willard. Ich will ins Herz der Finsternis, zu Mr. Kurtz, den Menschenverächter und Ausbeuter, der an sich selbst zerbrach. Ich sehe ihn, wenn ich in den Spiegel schaue und bin milde mit mir: „A penny for the Old Guy...“

I. Wir sind kaum besser als Mistah Kurtz, hohl, ausgestopft mit unseren Rollen, die wir spielen und spielen müssen, um zu überleben, haben Stroh im Kopf: „We are the hollow men...“ Unser Leben ist schon wie das der Toten, wir leben nur in einem anderen Totenreich. Ich bin blind, und doch hoffe ich auf Erkenntnis, die ich mir vorstelle aus der Perspektive derer, „who crossed over“.

II. Ich fürchte mich vor der Selbsterkenntnis, wenn ich unsere Welt in Trümmern sehe. Das ahne ich. Wenn ich mich und die Welt so sehe, wie ich befürchte, kann ich sie aus den Angeln heben wie Archimedes. Ich kann vielleicht jetzt schon durch die Maske der Poesie sagen, was ich im Nebel meiner Ahnungen erschaue. Du musst dein Leben ändern!

III. Das hier, wo ich lebe, ist das tote Land, das wüste Land, über das ich noch einmal schreiben will. Darüber ein verblassender Stern, die Hoffnung, meine Sehnsucht, mein Geburtsstern, aber ohne die drei Könige. Ich bin allein, wenn ich mich gebäre, und bleibe tot, wenn ich leben will, finde keine Lippen, die ich lieben will, nur mich, nur mich aus Stein. Das ist meine Strophe der Sehnsucht.

IV. Wenn ich lebe, sehe ich nicht, wie hohl ich bin. Ich habe nicht die Jenseitsperspektive. Ich kann die Perspektive nicht leben. Aber ich kann sie denken. Meine Ahnung ist wie ein Wissen. Unsere Sterne sterben im Schwarz dieses hohlen Jammertals, das so ein armseliger Sammelplatz ist. Wir suchen den anderen wie uns selbst. Nichts sehen wir. Unser Leben ist ein Hohlweg. Und die Sterne, unsere Hoffnungen, sind utopische Orte. Es gibt kein Paradies. Paradise lost. Wie kann es Hoffnung geben, wenn wir leer sind? Angesichts des Denkbaren verzweifle ich.

V. Unser Totentanz ist nicht so lustig wie in der Zeit der Pest. Da konnten wir noch hoffen. Jetzt sehen wir nur noch Schatten. „Between the idea / And the reality / Between the motion / And the act / Falls the Shadow. “ In uns hinein fällt der Große Schatten. Unsere Religion ist leerer Ritus, ein hohler Ritus der Verzweiflung... „For Thine is the Kingdom“. Dein? Wer bist du? Ich sehe dich nicht. Dich gibt es nicht. Es gibt keine solche Liebe. Mir fehlt ja die Liebe zu mir selbst. Ich bete ins Leere. Ich bin geboren, aber ich lebe nicht. Ich sehne mich nach dem anderen Totenreich, denn „Life is very long“: Immer siegt der Schatten, der meinen armen Tanz so dunkel einfärbt, dass nichts mehr strahlt. Ich habe keinen Funken, den ich noch aus mir heraus schlagen kann.

Wir sind Leichen von Ideen. Stotternde Lust. Fallendes Gestammel. Denn dein ist das Leben...? Hohlformeln helfen dir nicht! Drei Mal sage ich: So gehen wir unter! Sag endlich: Du! Sag endlich: Mein ist das Leben! Nimm es an!

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