Queerer Dandy auf Weltreise
„Im Verdacht habe ich natürlich seit Langem meine indulgierten Idiosynkrasien“, lässt Ann Cotten ihre Ich-Erzählerin als Erklärung dafür anführen, warum es bei ihr nicht so recht klappen will mit der Liebe. Diese abgehoben-blasierte und zugleich selbstironische Aussage könnte dem Erzählband „Der schaudernde Fächer“ gut und gerne als Motto voranstehen.
An Hingabefähigkeit mangelt es der Erzählerin ganz sicher nicht – in abstrakte Konzepte wie „Schönheit“ oder „Langeweile“ kann sie sich seitenlang vertiefen, ebenso rauschhaft in die Betrachtung eines Gullydeckels oder eines raupenumsponnenen Buschs hineinsteigern. Manifestieren sich Schönheit oder Liebe jedoch in einer konkreten Person, bleibt sie auf Abstand, oder besser gesagt: ihrem leicht erhöhten Beobachterposten.
„Fremdwörterbuchsonette“ – so der Titel ihres ersten Gedichtbands (2007) – sind Cottens neue Texte zwar nicht durchgängig, doch der weitgehende Verzicht auf Mehrsprachigkeit macht sie keineswegs leichter zugänglich. Stockend, manchmal quälend umschweifig, geht es voran in den 17 Erzählungen, die sich nicht wie klassische Prosa lesen, sondern eher wie eine Mischung aus Lyrik und philosophischem Traktat. Winzige Details rufen ekstatische Beschreibungen auf den Plan, minutiöse Gefühlsregungen münden in mehrseitigen Gedankenspiralen.
Ein derartiger Boykott gängiger Leseerwartungen wird nicht wenige abschrecken. Für all diejenigen jedoch, die genug haben von gefälligem Realismus und sympathischen Identifikationsfiguren, stellt „Der schaudernde Fächer“ eine beglückende Herausforderung dar. Cotten setzt mit voller Absicht – wahrscheinlich auch einer Spur Trotz – aufs Prätentiöse, Spröde.
Formal befinden wir uns in einem kleinen Dorf in der Ukraine, einem Café in Berlin-Schöneberg, auf einer Busreise durch die algerische Wüste oder einem Erlebnisbauernhof in Japan. Doch die Erzählerin könnte, wie im ersten Text, ebenso gut im Bett liegen und Lieder von Kurt Weill hören. Denn tatsächlich dienen sämtliche Schauplätze lediglich als Abflughafen für ihre exaltierten Gedankenreisen und obsessiven Selbstbeobachtungen.
Über die Gefühle anderer setzt sie sich mit konsequenter Arroganz hinweg. Die schwärmerische Zuneigung ihrer Reisebegleitung weist sie verächtlich von sich. Stattdessen ergeht sie sich, schönheitsberauscht und grenzautistisch, in allerlei feinsinnigen Betrachtungen: „Die beiden kommen mir vor wie zwei der süßen Zähne eines Maiskolbens in einem Bild von Neo Rauch.“
Während ihr Date Fritz vergeblich am Bahnsteig im Nieselregen wartet, lässt sie sich in besagtem Schöneberger Café von einem Frauenpaar aufreißen, in die Nacht ent- und schließlich zu einem Dreier verführen. All das geschieht nicht aus einer Laune, sondern vielmehr aus der Lebensentscheidung heraus, immer ja zu sagen zu Abenteuern. Über allem steht der unbedingte Wille, sich mit aller Kraft hineinzudrillen ins Leben. Und doch wirkt jegliches Geschehen letztendlich, als würde die Erzählerin auf der anderen Seite einer Glaswand stehen. „In letzter Zeit ist es oft so, dass ich mein eigenes Leben indolent betrachte wie durch einen Schirm von Wasser“ – noch so ein programmatischer Satz.
Eingesponnen in ihren Kokon des übersteigerten Ästhetizismus, inszeniert sie sich als weibliche – beziehungsweise geschlechtslose – Version des neurotischen Aristokraten in Joris-Karl Huysmans‘ Dandy-Roman „Gegen den Strich“ (1884). Doch natürlich ahmt Cotten nicht bloß einen bestimmten Stil oder eine Geisteshaltung nach. Immer wieder treibt die Erzählerin ihre eigene Distanziertheit ironisch auf die Spitze. Beispielsweise vermag sie sich selbst durch intensive Zungenküsse nicht mit einer Erkältung anzustecken, und zwar, „weil ich mich selbst verweigerte“.
Auch der Kehrseite dieser scheinbaren Unempfindlichkeit gibt die Autorin Raum. Eine Reise in die Ukraine mit dem jungen, elfenhaften Prätz macht der Erzählerin mehr als deutlich, dass auch sie unerfüllte Sehnsüchte kennt, Selbstzweifel und Ängste – allen voran die vor dem Älterwerden. Das Unbehagen, eine erwachsene Frau zu sein, beladen mit einer Fülle gesellschaftlicher Erwartungen, findet ein Ventil in ihrem verqueren Verlangen nach heranwachsenden Knaben.
In der Geschichte „Huligan“, wunderbar in der Schwebe gehalten zwischen erotischer Fantasie und verstörendem Gewaltakt, wird aus einer Schneeballschlacht mit ein paar Halbwüchsigen eine Prügelei, dann eine wilde Knutscherei und letztendlich eine Fast-Vergewaltigung. Man darf sich jedoch beinahe sicher sein, dass sich, was da geschildert wird, lediglich im Kopf der Erzählerin abspielt – wie überhaupt das allermeiste in „Der schaudernde Fächer“.
So bleibt auch der schöne Prätz eine flüchtige, kaum greifbare Wunschvorstellung: „Je mehr ich gezwungen war, mich abzuwenden, desto heftiger flammte die Idee von Prätz in mir auf.“ Ihren Höhepunkt findet diese Idee während eines (imaginierten?) Beischlafs in einem offenen Grab auf einem Friedhof irgendwo in den Karpaten. Dass Cotten solche Zuspitzungen des Eros-Thanatos-Konflikts nicht ganz ernst meint, versteht sich von selbst. Spätestens, als die beiden bei Tageslicht feststellen, dass sie auf einem halbverwesten Kaninchenkadaver lagen. Ein bisschen morbiden Trash gibt es also auch, bei aller Verkopftheit.
Cottens lyrisch-philosophische Prosa erfordert höchste Konzentration. Und das ist gut so – schließlich ist Literatur nicht (nur) zur Unterhaltung da, wie die Autorin bereits in ihrem online veröffentlichten „Geduldigen Manifest“ (2007) klar stellte. Zu gelegentlichen Ermüdungserscheinungen führt lediglich die Tatsache, dass ihre Figuren sich nach und nach als bloße Projektionen im Kopf der Erzählerin entlarven. Einzig die beiden Protagonisten in der herausstechenden Erzählung „Birkenhäuschen“ schaffen es, eine eigene Tiefe zu entwickeln. Die übrigen Texte sind schwer von der Person Ann Cotten zu lösen, diesem verschrobenen literarischen Wunderkind, das nun erste graue Haare an sich bemerkt. Und doch schafft es „Der schaudernde Fächer“, eine einzigartige, zitternde Spannung zu halten: die zwischen Leben und Kunst.
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