Der Tod ist ein Meister in Transnistrien
Die Zeit der Shoah ist längst vergangen, doch etwas darin reißt nicht ab – bis heute nötigt sie uns den Imperativ auf, nichts zu unterlassen, um eine Wiederkehr solcher Pervertierung dessen, was Kultur zu sein schien, zu verhindern. Das gilt umso dringlicher, als die Indienstnahme der Geschichte auch noch in jenen Ritualen fühlbar ist, die das Gedenken so abstrakt gestalten, daß Feierlichkeit bleibt: problematisch genug, wenn darin das noch erwähnt würde, was zu paradoxem Pathos Anlaß sei.
Antidot sind die Zeugnisse. Gerade der von Grilj edierte Band mit zurückgehaltenen Briefen, die unmittelbar Gegebenheiten und Perspektiven bewahren und in ihrer Reflexion durch die Umstände eingeschränkt sind, ist ein solches Gegengift, führt wieder ins Epizentrum des kulturell verbrämten und pseudo-kultiviert vollzogenen Verbrechens, dessen schlimmste Täter das in Transnistrien vor sich gehende „Töten ohne Umsicht” (im vorliegenden Band von Andrei Corbea-Hoisie aus Dokumenten zitiert) irritierte. Man wolle doch diszipliniert und vom Gesetz gedeckt morden...
Dieser zynische Glaube an ein Gesetz, das man sich wie dessen Objekt, den Juden, erfunden hatte, hat sein Komplement im Gesetzesglauben jener, die das, was geschieht nicht fassen können, etwa juristische Einsprüche erwägen, als wäre nicht längst jeder Gesetzesgrundsatz – berühmt die Verdrehung des suum cuique – verloren, und vielleicht nicht einmal das: Die Illusionen, daß es zu einem Völkermord nicht kommen könne, selbst „Avocaten [sic!] [...] überflüssig” seien, wie es in einem der Briefe heißt, da man ja dem Rechtsstaat vertrauen könne, erscheinen heute so absurd, wie damals absurd erschien, was dann geschehen würde.
Beides zu lesen, einerseits in der höchst lesenswerten Kommentierung und Einbegleitung, wofür man mit Corbea-Hoisie einen der besten Philologen unserer Tage gewinnen konnte, und andererseits in den faksimilierten und viersprachig gebotenen Briefen, dies ist mitunter schmerzvoll – aber wichtig. Eine verdienstvolle Edition, die anzuempfehlen ist.
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