Kapitalismus im Konjunktiv
Etwas überfordert von der Vielzahl der inhaltsschweren Texte des Essay- und Theaterbandes „besser wäre: keine“ von Kathrin Röggla ziehe ich mich auf das „wacklige Ich“ zurück. Denn meine erste Begegnung mit Kathrin Röggla war ein Hörspiel: „Die Unvermeidlichen“. Radio hörend eigentlich schon am Einschlafen, wurde ich wieder sehr wach, denn die sechs Übersetzer, die simultan Politiker auf Konferenzen übersetzen, also per se für die Verständigung zuständig sind, machen sich Gedanken, wie leer das ist, was sie übersetzen. Wie sie schwitzen, um den 5 Sekunden-Rhythmus von Original und Übersetzung einzuhalten. Wie sie schwitzen, wenn sich „ihr“ Politiker mal wieder in seinen Gedankengängen verirrt hat und nicht wieder herausfindet. Schwitzen in ihren nicht klimatisierten, damit eh schweißtreibenden Kabinen, wenn sie beim Übersetzen auf Erfahrungswerte zurückgreifend, dann doch den falschen Satzanfang gewählt haben. Schwitzen, wenn der zu übersetzende Politiker in Ohnmacht fällt. Plötzlich arbeitslos sozusagen, fällt der Übersetzerin gerade noch ein, ob sie dem Politiker nicht zu den Notärzten folgen sollte, um dort zu helfen, doch sie darf ihren Arbeitsplatz nicht verlassen, auf dem sie ja nun nichts mehr zu tun hat. Wie in diesem Hörspiel die Sprache zur Hülse wird, wie das leere Gerede von Politikern bloßgestellt wird, das hat mich wachgerüttelt. Wie hochqualifizierte Menschen zu Vermittlern der Leere werden.
Weniger begeistert war ich, als ich las, dass „Die Unvermeidlichen“ – das Stück findet sich in dem Essay- und Theaterband – ein Theaterstück ist. Die Besprechungen der Aufführungen bestätigten meine Befürchtung, dass dieses intelligente Spiel mit der Sprache wenig bühnentauglich ist. Leider wird ähnliches über das neueste Stück von Kathrin Röggla „Lärmkrieg“ gesagt, das unlängst im Schauspiel Leipzig Premiere hatte: Muss denn so viel Text sein? Fragte die Rezensentin im LeipzigAlmanach etwas entnervt. Ein weiteres Stück, das sich im Buch findet, ist „fake reports“, das erste Theaterstück der Autorin, das man sich wieder gut auf der Bühne vorstellen kann. Es entstand unter dem Eindruck des Anschlags auf die Twin-Towers 2001 – die Autorin war zu der Zeit in New York. Ein Stück fast gänzlich im Konjunktiv!
1: warum sie das dauernd laufen habe?
2: man müsse doch erfahren, was da draußen los sei.
Das Ganze ist wieder ein intelligentes Spiel mit der Realität. „Man wisse ja gar nicht, was man jetzt denken solle“. Was ist wirklich, was ist lediglich ein Produkt der Medien. Die verwirrende Vielfalt der Medien lässt den Einzelnen an der Realität zweifeln, sie wird unwirklich, das setzt die Autorin sinnlich um, indem sie ihre namenlosen Figuren im Konjunktiv sprechen lässt. Kathrin Röggla geht der Gegenwart zu Leibe. Der Verunsicherung der Menschen. Sie stellt sie in durchaus reale Versuchsanordnungen, von denen man nicht denkt, dass sie theatertauglich sind.
In dem Essay „Besser wäre: keine“ thematisiert sie staatlich organisierte Hilfsmechanismen im Kapitalismus wie auch NGOs (non gouvernemental organisations). Und sie kritisiert, dass mit den verschiedenen Programmen die Eigenenergie der Betroffenen lahmgelegt würde, statt die kaputte Dorfstraße zu reparieren, wartet das betroffene Dorf auf das „Weltbankenstraßensanierungsprogramm“. Ein Großteil der Gelder fließt in die Helfer der verschiedenen Organisationen, internationale oder deutsche, eine neue Art des Kolonialismus, stellt Röggla fest, ein „sanfter Imperialismus“.
Das Theaterstück zum Essay heißt: „NICHT HIER oder die Kunst zurückzukehren“. Eine Sozialpädagogin leitet einen Workshop mit Rückkehrern aus internationalen Hilfsorganisationen, die Probleme haben, sich in den hiesigen Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Crux: man muss sich bewerben, wenn man noch im Ausland ist. Die Probleme treten aber erst auf, wenn man bereits zurückgekehrt ist. Die Sozialpädagogin zu diesem Unsinn: „die öffentliche Hand ist arm“. Gleichzeitig beklagt sie sich, dass ihre „Rückkehrgespenster“ nicht reden wollen. Nicht ihre Rollenspiele mitmachen wollen. Stattdessen antwortet sie auf spontane Erzählungen ihrer Rückkehrer: „irgendwann legt sich das“.
In dieser komplexen Gemengelage vermischt sich privates Leben mit dem gesellschaftlichen, die Rückkehrer finden eine andere private Situation vor, weil sich einiges geändert hat oder weil sie sich geändert haben, sie müssen damit leben, dass ihre ehrgeizigen Pläne zur Hilfe nicht aufgegangen sind, sie müssen mit Vorurteilen rechnen, wie – humanitäre Hilfe ist doch „reinste Abzocke“ (der Verdacht war bereits in ihnen selbst aufgestiegen) und vieles mehr. Kathrin Röggla gelingt es auf bemerkenswerte Weise im Mikrokosmus dieser fünf Personen das Verbrennen politischer Ideale und des eigenen Lebensentwurfs durch den Zündstoff humanitäre Hilfe darzustellen.
Das Besondere an allen Stücken ist, dass es keine „Beispielerzählungen“ sind, in denen an einem Helden eine beispielhafte Geschichte erzählt wird, sondern, dass die Autorin zwischen fünf oder sechs handelnden Personen ein Abbild der Gesellschaft herstellt. Die Figuren in ihren Stücken heißen 1 – 6 oder die Französin, die Chinesin, selbst wenn sie Namen haben, wird nicht klar, ob es sich nicht um Decknamen handelt. Die Stücke sind keine leichte Kost, Zuschauer, Radiohörer und besonders Leser werden sehr gefordert. Sie müssen sich in Sachverhalte und in Leben eindenken: in die Welt der Simultandolmetscher, in die Welt von Rückkehrern aus humanitären Hilfsorganisationen. Aber es lohnt sich. Kathrin Röggla recherchiert gründlich und legt uns ein genaues, kenntnisreiches und verdichtetes Abbild der jeweiligen Welt vor, die alle gemeinsam ein Thema haben: Die Welt. Und da die Welt nicht so heil ist, wie wir sie gerne hätten, sind diese Stücke Salz in unsere Wunden, die wir uns in dieser Welt zugezogen haben.
Und damit gehört Kathrin Röggla zu den wenigen Gegenwartsautoren, die sich engagiert mit der Gegenwart auseinandersetzen. Sie hilft, wie sie selbst sagt, Fragen zu stellen. Antworten hat sie nicht, aber sie bietet Material und Argumente an. Und das in auf sprachlich hohem Niveau. Meine Angst, das könnte unsinnlich sein, hat sich nach dem Lesen der Stücke nicht bestätigt. Bei den Essays ist das eher der Fall, da muss man schon sehr ausgeschlafen sein, die an sich heranzulassen. Rögglas Spiegel ist gnadenlos, das Ich wird zum „wackligen Ich“, ein „Aktualisierungsmoment des Diskurses“, wie sie es in „The Day After“ nennt, einem Essay über die Lust an filmischen Massenpaniken. Die Flucht vor den realen Katastrophen in die fiktiven…
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