Ich bin eine andere Welt
Mit der historischen Avantgarde der 1910er und 1920er Jahre wird die traditionell unangefochtene Position des Autors/der Autorin erstmals als Ausdruck eines modernen selbstreflexiven und selbstkritischen Kunstverständnisses in Frage gestellt. Das wohl bekannteste Beispiel ist Rrose Sélavy, ein Pseudonym, das Marcel Duchamp verwendete um gängige Auffassungen von Geschlechterrollen und künstlerischer Kreativität zu subvertieren. In den 1960er und 70er Jahren stellen Künstler_innen erneut vor dem Hintergrund subjekt-kritischer Diskurse wie sie Roland Barthes und Michel Foucault führen, verstärkt den_die Autor_in, das künstlerische Subjekt, damit verbundene Produktionsweisen und deren institutionelle Rahmenbedingungen zur Disposition.
Strategien wie die Verwendung von Pseudonymen, Alter Egos oder die Kreierung fiktiver Personen als Ausdruck künstlerischer Souveränität haben auch heute nichts an Aktualität eingebüßt. Vor allem neue Medien haben die Möglichkeiten für einen bewussten Identitätstransfer oder -wechsel, eine selbst gewählte »positive Desubjektivierung«, (Claire Fontaine) erweitert. Kollektive Autor_innenschaft selbst befindet sich heute an den Bruchlinien eines dekonstruierten, postmodernen Subjektbegriffs und anarcho-aktivistischer Formen von Widerstand und Kapitalismuskritik, die nicht anders als gemeinschaftlich organisiert werden können (und müssen). Gleichzeitig verweisen diese Formationen auch auf Problemkreise von virtueller Identität und regulativen Phantasmen einer diesbezüglichen Sicherheitspolitik. In diesem Sinne verhandelt ICH BIN EINE ANDERE WELT die Motive, die Künstler_innen veranlassen, als fiktive Personen oder anonym in Kollektiven aufzutreten und/oder zwischen Fiktion und Realität angelegte Narrative zu kreieren anhand dreier thematischer Blöcke.
Bilder von Kollektivität und deren gesellschaftspolitische Implikationen sind für Künstler_innen eine Strategie, um Kritik an Strukturen von Autor_innenschaft und Urheberrechtssystemen und am Individualisierungsdruck des Post-Fordismus zu üben … Eine weitere zentrale künstlerische Strategie in der Ausstellung stellt die Konstruktion und Einbettung fiktiver Figuren in reale (historische) Ereignisse dar, die von vielen erlebt und bezeugt werden können. … Im dritten Block geht es um Entwürfe persönlicher Kosmologien: dabei sind fiktive Charaktere darin eher Alter-Egos, Doppel- und Wiedergänger_innen … Eine Sammlung von Texten und Künstler_innenbüchern knüpft an die Wurzeln dieser Taktiken in einer literarischen Tradition an und ist integraler Bestandteil der Ausstellung.
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