Berlin, deine Nullerjahre waren nur ein Bluff
Der Typ aus der Agentur ist ja fast schon ein literarisches Klischee und die Figur schlechthin in Romanen, die den Zeitgeist auffangen wollen. Es muss ihn geben, diesen verkrachten Typen, der was mit Medien, Werbung, Marketing macht, damit die Rechnung aufgeht, die man aufstellt, will man einen modernen Großstädter dazu nutzen dieser Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten.
Stefan Adrians Hauptfigur ist jetzt genau das, ein Typ aus einer Agentur, zwar eher zufällig da gelandet, aber am Ende halt doch ein Typ, der was mit Agenturen macht. Da kann Adrian seine Hauptfigur sich noch so lakonisch distanzieren lassen, er ist ein Typ aus einer Agentur.
Ein sympathischer Typ? Gute Frage, das ist schwer zu beantworten, weil dieser Typ aus der Agentur sich auch nicht unbedingt immer selbst mag. Er wechselt gerne Jobs, er wechselt gerne die Freundinnen und hat einen besten Freund, der ganz versoffen, ganz hängen geblieben, von Papas Geld gepampert in einer Wohnung in einem Kiez lebt, die am chronologischen Anfang des Romans noch in Ordnung ist, bevor eine höhere Ordnung Berlin in coole und nicht so coole Ecken einteilt.
Adrians Blick auf Berlin und auf die Biographie eines Zugezogenen ist spannend, weil er das alles in einer Zeit spielen lässt, die nicht mehr das Berlin von Herrn Lehmann ist, lange nicht mehr, aber auch noch nicht das Berlin in dem Migranten in ihrer höchsten Güteklasse gerne mal Expats genannt werden. Es ist ein Berlin, das sich seiner eigenen Armut, aber nicht seiner eigenen Sexyness bewusst ist - oder sein muss.
Kritsch und rasant ist Adrians Stil, lamentiert seine Hauptfigur von Weltschmerz und Sehnsucht nach einer besseren Welt. Es gelingt ihm ein poetischer Spagat, ein Fuß in der Werbewelt, der andere als Adbuster aktiv in der Street Art. Dazwischen klafft eine Lücke, die der Feierabend aufmacht, die auch der Erzähler manchmal nicht zu schließen weiß. Es ist die Street Art, die ihn am Leben hält, das Bewusstsein, etwas Kritisches zu tun, aber die Jobs, die ihn ernähren, sind viel neoliberaler. Man schmunzelt, wenn man liest, dass der Erzähler die Idee hat, Werbekampagnen so zu entwerfen, dass er sie am Ende selbst als Adbuster sabotieren kann. Die Sabotage ist die Rache am System, einem System, das immer mehr Entfremdung auffrisst und damit die Arbeit zum Lebensinhalt macht.
Der Erzähler seziert sich und seine Umwelt so genau, so schmerzhaft, dass nur Alkohol örtlich betäuben kann (doch mit Alkohol kennen sich Erzähler wie Autor gut aus, denn beide sind Barmänner). Drogen spielen eine erfreulich geringe Rolle, es gibt keine Versuche sich in einem Berlindiskurs zu verorten, der nach Authentizität giert. Adrians Berlinprosa eröffnet die Perspektive auf eine Stadt, die im Großteil der hier verlebten Zeit, der ab den späten 1970er geborenen und von außerhalb hergezogenen Protagonisten (wörtlich wie metaphorisch), eine historische Ausnahme bildete. Die durch die Trennung dieser Stadt geschlagenen Wunden verheilen langsam und die auf Dauer gestellte Interimsnutzung sedimentiert sich zum Status quo, den es gegen den kapitalistischen Ausverkauf zu verteidigen gilt. Gleichzeitig sind die Bewohner dieser Stadt auch Versuchskaninchen für neue Formen der Dienstleistung, schaufeln sich selbst ein prekäres Grab ohne es zu merken. Der Roman veranschaulicht, wie schwer es ist, ökonomische Prozesse und die Notwendigkeit eines Einkommens mit den eigenen politischen Ansprüchen zu verbinden. Wie Kritik an einem System üben, das einen selbst nährt? So gut nährt, dass man, wie der Erzähler, von der Agenturchefin einen Spa-Urlaub an der Ostsee geschenkt bekommt, um sich auszuspannen?
Der Erzähler findet diese Antwort in einer radikalen Geste, die er vielleicht als Fortsetzung, aber nicht als Konsequenz seiner Street Art- und Adbustingaktionen interpretiert haben will. Der Roman selbst beginnt mit dieser Idee, mit ihrer Umsetzung, bevor er uns in die Vergangenheit schickt und minutiös die Geschichte dieses Mannes freilegt, der ein Leben in Berlin lebt, das exemplarisch und gleichzeitig spannend ist. Der Erzähler ist so gestrickt, baut sich selbst so auf, dass man ihn als authentische und mehrdimensionale Figur wahrnehmen will, ohne aber die Möglichkeit der Identifizierung zu rauben. Will man sich noch mit ihm Identifizieren, als er eine Idee umsetzt, die so krass ist wie eine Entführung?
Die Entführung, ihre Vorbereitung, ihre Konsequenzen - sie sind in einem Erzählsprung angedeutet, der in den Text gewoben wird. Teleologisch läuft die ganze Erzählung auf diesen asynchron zur Erzählzeit definierten Endpunkt hin. Dieser Teil des Romans ist durchdrängt von Selbstzweifeln, durchsetzt von systemkritischen Überlegungen und durchdrungen vom der Psychologisierung eines Täters, der überzeugt ist, das richtige zu tun. Die Entführung selbst ist wie eine Meta-Inszenierung, die die bestehenden (medialen) Verhältnisse pervertiert. Mittels eines Teaser-Films, der auf dem Blog des Erzählers gepostet werden soll, will er sein Blog in den Blogcharts pushen und dabei gleichzeitig die Aufmerksam auf „ die Missstände" lenken. Was genau schief läuft, das bleibt der Roman uns schuldig, aber das können wir uns selbst ausmalen, nach der Lektüre und dem Leben überhaupt, das wir jeden Tag bluffen.
Wieder in einer Bar, jetzt Blogger und mit Gelegenheitsaufträgen sich über Wasser haltend, geht der Erzähler mit dem Zeitgeist. Er ist immer genau da, wo er sein soll, der Blaupausen-Berliner, und man folgt ihm gerne durch die Abenteuer hindurch. Auch den Entführer nimmt man ihm gerne ab. Leider endet „Bluffen" zu abrupt, als sei der Roman nur ein Bluff. Ein paar Seiten mehr hätten diesem Roman nicht geschadet, denn im Vergleich zu den sonst im Verlag mikrotext erscheinenden Texten ist er ohnehin länger, also schon kein mikrotext mehr. Trotzdem ein toller Text, für die Hosentasche, das iPhone und den eBook-Reader. Es muss halt nicht immer Print sein. Hoffentlich findet dieses Stück Prosa die entsprechende Beachtung. Ein mikrotext von großem Format.
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