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Hundertvierzehn | Extra
Das historische Sachbuch für das breite Publikum

»Das historische Sachbuch ist in Deutschland immer noch zu wenig präsent«, findet Tanja Hommen, Lektorin für den Programmbereich Geschichte bei S. Fischer. Aus Anlass eines Besuchs am Historischen Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen Ende Juli hatte sie sich deshalb einige Kriterien formuliert, welche ein gutes historisches Sachbuch, das über die Grenzen der Historikerzunft hinaus wahrgenommen werden soll, ihrer Meinung nach erfüllen muss. Im Seminar entspann sich daraus eine lebhafte Debatte. Wir haben deshalb zwei Historiker und eine Historikerin der Gießener Universität eingeladen, ihre durchaus kontroverse Sicht auf die von Tanja Hommen formulierten Kriterien darzustellen.

 
Lesen Sie hier die Beiträge von Dirk van Laak, Hubertus Büschel und Ulrike Weckel
Tanja Hommen: Spannung, Gefühl und Gegenwartsbezug – drei Thesen

Historikerinnen und Historiker schreiben viel. Wunderbare Studien über eine riesige Vielfalt an Themen – über Rituale an den europäischen Höfen des 17. oder auch des 19. Jahrhunderts, über die Frage, warum so viele Deutsche während des Nationalsozialismus zu Tätern wurden, oder über die Entwicklung der Technik in den letzten 200 Jahren und wie sie die Welt und das Leben der Menschen verändert hat.

Dirk van Laak: Geschichte und Geschichten

Literatur und Geschichtsschreibung haben meine Bildungsbiographie nahezu gleichwertig geprägt. Sucht man nach Erkenntnissen über den Menschen und das Leben als solches, dann ergänzen sich beide, wie ich finde, ganz wunderbar. Mir leuchtet bis heute nicht ein, weshalb »Erklären« und »Erzählen« grundsätzlich verschiedene Erkenntniswege darstellen sollen.

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In diesen Studien verbergen sich zahllose, spannende Geschichten, aus denen wir noch heute etwas lernen können – oder die uns einfach nur zu unterhalten vermögen, wenn sie denn auf unterhaltsame Weise erzählt werden. Das ist der Grund, warum ich so viel Freude an meiner Arbeit habe: Es gibt viel zu entdecken in den Büchern, die unsere Autorinnen und Autoren schreiben, und viel daraus zu lernen. Aber wie muss so ein historisches Buch eigentlich beschaffen sein, damit es von möglichst vielen Menschen gelesen wird?

Genau um dieses Thema ging es, als ich im Juli, in der letzten Woche des Sommersemesters, in ein Oberseminar der Gießener Geschichtswissenschaftler eingeladen war: Schreiben für ein breites Publikum. Denn viele der oben erwähnten Studien werden außerhalb der Geschichtswissenschaft nur selten wahrgenommen. Wer will auch schon so ganz genau wissen, wie die Aufgaben eines preußischen Landrats im 19. Jahrhundert im Einzelnen ausgesehen haben. Oder wie im 17. Jahrhundert in einer Stadt wie Frankfurt mit Mördern, Dieben und randalierenden Trunkenbolden verfahren wurde. Natürlich, das sind Spezialstudien. Und doch: Im Film ›Das weiße Band‹ etwa gelingt es Michael Haneke, die rigide Gesellschaft und die Schwarze Pädagogik des Kaiserreichs in beklemmendem Schwarz-Weiß einzufangen. Historisch vielleicht nicht immer ganz korrekt – doch der Film berührt, wirft Fragen auf, lädt zum Nachdenken und zur Debatte ein. Was im Film funktioniert – Spannung erzeugen und Emotionen, Fragen aufwerfen –, das klappt auch im Buch. Aber ein Film hat mehr Freiheiten – oder besser: Haneke mischt Fakten und Fiktion, das ist aber in einem wissenschaftlich fundierten historischen Buch nicht erlaubt, oder allenfalls sehr begrenzt.

Hubertus Büschel: Differenzierte Thesen und die Kunst des Erzählens

Es war ein heißer Sommerabend. Man konnte den Lack des Parketts riechen, der bei dieser Hitze ein wenig weich wurde – im alten Biologiehörsaal des Gießener Uni-Hauptgebäudes. Ab und an strich ein sanfter Wind durch die hohen Fenster. Es lag ein wenig Spannung in der Luft. Der ›Markt‹ würde mit uns sprechen – die Geschichtslektorin eines der in Deutschland renommiertesten Verlagshäuser war gekommen, um uns ihre Sicht der Dinge darzulegen, was einen historischen Bestseller ausmachen könne. Ich kann wohl sagen, dass wir uns alle sehr freuten, aber auch ein wenig in ›Habacht-Stellung‹ waren, bereit zu Widerspruch, Kritik und Verteidigung.

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Die Fiktion braucht man nicht, um mit historischen Texten die Leser in den Bann zu ziehen, aber man braucht Elemente, die in fiktionalen Stoffen ganz selbstverständlich verwendet, in wissenschaftlichen Sachbüchern aber oft gemieden werden. Wie schade, sage ich da als Lektorin. Und als Leserin, denn nichts anderes bin ich ja als Lektorin. Ich lese, und der Text gefällt mir, zieht mich in den Bann – oder eben nicht. Aber die Geschmäcker sind, wir wissen es, verschieden; was ich persönlich spannend finde, das finden andere vielleicht kreuzlangweilig. Dennoch gibt es Kriterien, die ein gutes historisches Sachbuch, das über die historische Zunft hinaus wahrgenommen und gelesen werden soll, erfüllen muss. Drei Punkte scheinen mir dabei besonders wichtig:

1.    Das Buch braucht eine starke, gut zu vermittelnde These. Das weckt nicht nur Aufmerksamkeit, sondern hilft, in das Buch hineinzufinden. Als Leserin muss ich ja zunächst verstehen, worum es dem Autor geht; wenn mich diese These neugierig macht, dann beginne ich zu lesen. Das ist der erste Schritt – das Thema, die These muss mich motivieren, interessieren. Der Autor oder die Autorin braucht also den Mut zur Synthese, zur Zusammenfassung und Zuspitzung.

2.    Das Buch muss mich bei der Stange halten – durch Spannung. Spannung zeigt sich darin, dass der Leser wissen will, wie es weitergeht; er braucht also eine Geschichte, und in diese Geschichte muss er emotional hineingezogen werden. Ein Sachbuch muss natürlich auch die intellektuelle Ebene bedienen, aber die emotionale Ebene – und das wird von Wissenschaftlern oft unterschätzt – ist ebenso wichtig, vielleicht sogar noch wichtiger. Emotional wird die Geschichte, wenn ich mich als Lesern identifizieren kann mit den Personen, die dort handeln, den historischen Akteuren. Wenn ich ihre Motivationen nachvollziehen kann, wenn es etwas gibt, das ich mit ihnen gemeinsam habe – oder auch genau das Gegenteil der Fall ist. Wenn ich also – wie bei manchem Krimi – in eine Welt abtauche, die mir völlig fremd ist, die archaisch ist, die das Gegenteil von dem repräsentiert, was ich in unserer Gesellschaft akzeptiere. Am Ende aber muss alles gut werden, meine Werte müssen siegen, überdauern – so will es zumindest eine häufig genannte Regel für Kriminalromane. Aber kann das denn für ein seriöses historisches Sachbuch ebenso gelten? Viele Historiker würden das verneinen, denn diese Form des Erzählens hat etwas Manipulatives oder zumindest Suggestives und erscheint daher als unseriös. Das muss es aber nicht zwangsläufig sein. Spannung und Emotion können als Stilmittel verwendet werden, ohne deshalb gleich historische Methoden, faktische Absicherung und seriöse Interpretation der Quellen aufzugeben.

Ulrike Weckel: Wie entstehen Bestseller?

Natürlich würde auch ich mich freuen, wenn meine Bücher von mehr Menschen gelesen würden. Aber nie käme ich auf die Idee, einen Bestseller schreiben zu wollen. Auch bei der Wahl meiner Lektüre habe ich seit meiner Pubertät eher gemieden, was gerade lauthals angepriesen wurde und ein breites Publikum fand. Ich bin also gleich in doppelter Hinsicht eine denkbar ungeeignete Beiträgerin zu dieser Debatte. Dennoch habe ich Tanja Hommens Einladung, meine Argumente schriftlich zu fixieren, gerne angenommen, schon um meinen intuitiven Animositäten gegen Bestseller einmal auf den Grund zu gehen. Kann ich sie eigentlich gut begründen oder verstecken sich hinter meinen Rationalisierungen bloß Dünkel und Neid?

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3.    Emotionen gibt es freilich nicht nur beim Leser oder der Leserin. Auch der Autor oder die Autorin hat Gefühle. Schon die Wahl des Themas ist etwas sehr Persönliches. Das heißt nicht, dass – was ja in der Literatur gern unterstellt wird – immer ein Stück der eigenen Biographie verarbeitet bzw. dargestellt wird. Gut, Michel Foucault war schwul, und er hat über Sexualität und die altgriechische Knabenliebe geschrieben. Aber selbstverständlich lässt sich sein Werk nicht auf dieses biographische Detail reduzieren und auch nicht daraus erklären. Doch gerade die Autorin, die für ein breites Publikum schreibt, tut dies, weil sie etwas mitzuteilen hat. Sie hat eine Motivation. Mehr noch: Im Prozess des Schreibens, und bereits während der Recherche, während des Erforschens der Vergangenheit, durchläuft sie eine Entwicklung, emotional wie intellektuell. Wer versucht, diese persönliche Seite außen vor zu lassen, läuft Gefahr, einen leblosen, langweiligen Text zu produzieren. Die Texte, die mich als Leserin berühren, sind immer solche, in denen ich die Stimme des Autors vernehmen kann, zwischen den Zeilen und mitunter auch ungeschminkt und direkt.

Diese drei Punkte sind es, die ein Buch zu einem Bestseller machen können. Zu einem qualitativ hochwertigen und langlebigen Bestseller, nicht zu einer Eintagsfliege, die nach vier Wochen auf den Bestsellerlisten wieder verschwunden ist. Es kommen noch viele andere Faktoren hinzu: ein bekannter Verlag mit gutem Vertriebsnetz und hervorragenden Kontakten zu den Medien ist sicher hilfreich, auch die Gestaltung des Covers und die Formulierung des Titels tragen einen nicht unerheblichen Teil zum Erfolg bei, und manchmal kann ein gutes Timing den Ausschlag geben. Das lässt sich ein Stück weit steuern, aber es gibt auch Bestseller, die niemand vorhergesehen hat.

Doch es bleibt – auf jeden Fall im anspruchsvollen Sachbuch – eine Grundvoraussetzung, und das ist die Qualität, die sich aus den drei genannten (und natürlich noch weiteren) Punkten ergibt. Denn es versteht sich von selbst, dass der Schreibstil elegant, witzig, klar, farbig usw. sein muss, die Argumentation schlüssig, das Thema relevant sein muss, und dass alle Fakten abgesichert sind. Wenn dann noch eine originelle Struktur gefunden wurde, ein innovativer Zugang, neue, aufregende Ideen – dann entstehen Meisterwerke oder Meilensteine. Aber die braucht es nicht immer – ein unterhaltsames, erhellendes, den Horizont erweiterndes und zum Nachdenken anregendes Buch ist bereits ein großes Glück für jede Leserin und jeden Leser. Und für jeden Verlag.

In der Diskussion an jenem Abend in Gießen zeigte sich, dass wir über manche Punkte durchaus unterschiedlicher Ansicht waren. Bücher, die ich als gute Bücher präsentierte, hielten nicht unbedingt stand, waren jedenfalls angreifbar, was ihre Thesen oder auch die wissenschaftliche Absicherung betrifft. Zugegeben, ich hatte meinen Vortrag bewusst zugespitzt, um Widerspruch herauszufordern, aber auch, um für ein Umdenken zu plädieren, für den Mut, neue Wege zu gehen, neue Formen des historischen Erzählens auszuprobieren. Denn Historikerinnen und Historiker haben viel zu sagen, und es wäre ein Jammer, würden sie damit nicht zumindest das interessierte Feuilleton-Publikum erreichen.

Ich habe daher die Teilnehmer an der Podiumsdiskussion gebeten, Ihre Sicht der Dinge in kurzen Texten darzustellen. Um einen Dialog zwischen Verlag bzw. Lesern und den Fachleuten anzustoßen, die in der Lage sind, solche wunderbaren und wichtigen Bücher zu schreiben. Ihre Texte finden Sie nun hier auf Hundertvierzehn.de: herzlichen Dank an Dirk van Laak, Hubertus Büschel und Ulrike Weckel!


Tanja Hommen, Jahrgang 1962, studierte Geschichte in Lyon und Bielefeld, wo sie auch promovierte. Nach einem Volontariat im S. Fischer Verlag war sie freie Mitarbeiterin der von Walter Pehle ins Leben gerufenen Reihe ›Europäische Geschichte‹, bevor sie 2001 als Lektorin zum Campus-Verlag wechselte. Anfang 2013 kehrte sie als verantwortliche Lektorin für den Programmbereich Geschichte zu S. Fischer zurück und betreut dort u.a. die Reihe ›Neue Fischer Weltgeschichte‹.

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Frankfurt am Main 2020
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