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Hundertvierzehn | Extra
Seelennahrung

Lorine Niedecker (1903 – 1970) gilt heute als eine der großen Lyrikerinnen der amerikanischen Moderne, wurde aber zu ihren Lebzeiten nur von einem kleinen Publikum entdeckt. Der englische Komponist Harrison Birtwistle vertonte zwölf ihrer Gedichte und veröffentlichte die Aufnahmen dieses Jahr auf seinem Album ›Chamber Music‹.

 
Lorine Niedecker

Lorine Niedecker (1903–1970) wuchs zurückgezogen auf Blackhaek Island am Rock River im ländlichen Wisconsin auf. Nachdem sie in New York den Lyriker Louis Zukofsky getroffen hatte, schloss sie sich den Objektivisten an. Ihr Werk wurde erst in den 60ern bekannt, vor allem in England, wurde dann wieder vergessen und erst in den letzten Jahrzehnten im Zuge einer oft okölogisch geprägten Naturpoesie wiederentdeckt.

Lorine Niedecker (1903-1970) gilt heute als eine der großen Lyrikerinnen der amerikanischen Moderne, wurde aber zu ihren Lebzeiten nie richtig entdeckt. So kam sie – trotz dem Kontakt zu den Objektivisten um Zukowski – nie so recht aus Wisconsin heraus. Hier lebte sie in einer Welt, die von Armut und Erschöpfung wie gleichzeitig von großer Schönheit durchdrungen war und der sie ihr letztes großes Gedicht ›Paian auf einen Ort‹ gewidmet hat. Zwölf ihrer Gedichte vertonte der englische Komponist Harrison Birtwistle für Sopran und Cello, Manfred Eicher nahm sie in München mit Amy Freston (Sopran) und Adrian Brendel (Cello) auf. Von der CD ›Chamber Music‹ (ECM New Series 2253) stellte uns ECM das erste Lied der Folge ›Three Setting of Lorine Niedecker‹ zur Verfügung:

Die ganze CD können Sie hier hören!



Nördlich von ihm sehe ich
immer

er ist beinah
orange, eine Blüte

rosa Gefieder
sanfter Wind

so am Ende
mit mir.

Lorine Niedecker

Paian auf einen Ort

            Und der Ort
            war Wasser



Fisch
    Feder
        Flut
    Seerosen Morast
Mein Leben

unter Laub und auf dem Wasser
Meine Mutter und ich
            geboren
im Schlamm Sumpf verschworen
dem Nass

Mein Vater
ruderte durch Moor
    und Nebel
        vom Trocknen hierher
sah ihr Gesicht

an der Orgel
unter der Last von Seewasser
    und Kälte –
legte er Leinen, handelte mit Karpfen
damit die Tochter

höher an Land
kam
    zum Studium
Er sah seine Frau
taub werden
und abwesend
Sie
    kannte die Boote
        und Seile
und spielte nicht mehr



Sie half ihm Netze
auszulegen und zu teeren
    Sie hatte einen guten Schuss
        Er blieb gelassen
als ihm ein Mann nachts

Elritzen klaute
am nächsten Tag bot er an
    sie zurückzukaufen
        Brachte einen Sack
voll grünem Löwenzahn

ohne Flut
keine Orangen – und nichts in der Hand
    Keine Sumpfdotterblumen
        bei steigender Flut
hielt er uns über Wasser



Ich bedaure, dass sie die Tafelenten nicht hörte
die Explosion ihres Abhebens
    vom Wasser
        Nicht die Füße der Sora-
Ralle ihr süßes

Schöpfen Löffeln Platschen
absteigende Tonleiter
    Spritzen Tränen Tropfen
        Hat sie als Mädchen
gelacht?



Sein Kiel streifte
den Wassersellerie der
    verschwand
        wegen der Karpfen
Er wusste die Wasserlinse

verzog sich im Mud Lake gegen Herbst
auf den Grund
    Er wusste was unter
        verrottetem Laub lag
oder im Hechtkraut

bevor der Sommer summte
Frisches Laub
    frisches totes Laub
        damit war immer zu rechnen
Laub

Er konnte nicht – wie
    Bachläufer – über die
        Haut des Wassers gleiten
        Ihm ging Einsamkeit
ins Netz

Über sein funkelnagelneues Auto
meinte Mutter – ihr Haus
    stand neben seinem:
        Kein Kolibri
zieht das

Im Steigen und Sinken
des Lebens
    ankerte er hier –
        in mittleren Jahren
saß er nachts

neben seinen Schuhen
schaukelte auf dem Stuhl
    Gefangen, nicht »umschlungen
        von den Schlingen
ihres Haars«



Ich wuchs im grünen
Glitschen Rutschen Klatschen
    im Uferschatten auf
        Kinderzeit – ich watete
durchs Kraut

Unterm Ahorn schaukelt
Pipi-Glissando
    sublim    
        schmieriger
Gesang.

Auf dem Rücken des Flusses
wurde ich groß
Zuhaus am Steg
    die Bücher
        Shelley konnte den Kurs
halten und lesen



Ich war der einsame Regenpfeifer
ein Bleistift
    als Schwinge
Aus heimlichen Aufzeichnungen
musste ich dem

Druck mich entgegenstemmen
forcieren austarieren
    In uns der Rhythmus von Luft und Meer
»Wir leben von der heftigen Woge
der Verse«



Alle sieben Jahre Mauser
des einsamen Vogels
    noch so jung
sieben Jahre lang
ein Stadtkleid

einmal die Woche
Und eins für Zuhaus
    verwaschene blaue Streifen
als sie einen
Schrei pfiff



Tanzböden
kannten meine Leute keine
    die Waldschnepfen schon –
    ihr Hinterland
ihr Draußen

Trauerfeierlichkeiten wie
welche Blume
    dem Großvater
    aufs Grab
wenn nicht

Seerosen –
für ihn, der sich beim Mähen
    vor dem Gras verneigte
    wo nun die Iris steht
auf dem Damm

für sie beide
und für ihn
    wo sie nun liegen
    wie viel winziger als sie
bin im Dunkeln ich?



Vor aller Religion
war ein Drang in uns
    vom Grund des Sees
        strebt ALLES
zum Licht

außer die
die sich aus freiem Willen
    in schwarze Meerestiefen kämpfen
        In uns fordert ein Trieb
das Unbekannte heraus



Der Fluss steigt – Flut
Schmelze und raus aus dem Haus
    Wieder hinein – der Besen
        nasser als nass
Unter
dem vollgesogenen Teppich
brüten Asseln
    keine Schlangen im Haus
        wo sind die nur? –
sie

wusste, wie man nach
der Flut aufräumte
    er lenzte Boote und Häuser
    denen das Wasser
unebene Böden bescherte

Du mit Seewasser in den Adern
setz dich in den Fluss
    und erwarte wie der langstielige blaue
    Ehrenpreis sich
füllt



Oh, mein treibendes Leben
hänge deine Liebe nicht
    an Dinge
        Wirf sie
über Bord

wo sie in der Flut
verderben
    Lass das Neue im Laden –
        alles nimmt sich am Ende
das Wasser

Ich setzte
aufs trockene Wort:
    Der Junge mein Freund
        der in der Aula
Geige spielte



Auf diesem Strom
laviert meine von Mühsal
    umspülte Erinnerung
    mondlichternd Barken
durchs Delta

und in den Fluss
Sie fischten in Schönheit
    Das gelang nicht immer so
        mit Fischen
rot stieg

der Mars
trieb in meinem Kopf
    über Schleusen und Sümpfe
        über die Menschen
am Rand
    

Aus dem Amerikanischen
von Hans Jürgen Balmes

Neue Rundschau 2014/2 László Krasznahorkai

 Sie finden das Gedicht von Lorine Niedecker in gedruckter Form in: Neue Rundschau, Ausgabe 2014/2.

 

 

 

 

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