»Westlich des Sunset« von Stewart O´Nan. Das erzählerische Anliegen gefällt mir, den noch jungen, trotzdem alternden F. Scott Fitzgerald zu fassen, sein bereits auseinandergefallenes, weiter auseinanderfallendes Leben, dessen Fäden er mit Mühe auf letzter Strecke zusammenhält, dieser tote Punkt in der Biographie. Ein Mann hinter seinem Zenit, der nicht noch einmal fürs Leben ausholen darf: Zurück wird mit Wehmut und dem Schmerz des Verlierers geschaut, nach vorne geschwächt, ohne viel Hoffnung. Obwohl Fitzgerald einmal sehr nah an der Sonne war. Das klingt bitter, liest sich aber nicht so.
2. Papier oder E-Reader?
IMMER PAPIER.
3. Das letzte Buch, das Sie nicht bis zum Ende gelesen haben?
»Krieg und Frieden« von Tolstoi. Hat nichts mit dem Buch zu tun, nur mit meinem Leben. Es regt mich auf, dass mein Leben so ist, dass ich »Krieg und Frieden« nicht zu Ende lesen kann.
4. Das letzte Buch, das Sie zum Lachen gebracht hat?
Heute im Zug, »Westlich des Sunset«. Ein kurzes kleines Lachen, aber eben doch ein Lachen. Knapp, in wenigen Zügen wird klar beschrieben, wie wenig F. Scott Fitzgerald in der Familie seiner Ehefrau Platz hatte. Wie wenig er dort erwünscht war. Und wie verrückt diese Leute waren, auf eklige, schreckliche Art verrückt. Wie deren Abgedrehtheit auf den Punkt gebracht und entlarvt wird, hat mich zum Lachen gebracht.
5. Das letzte Buch, das Sie zum Weinen gebracht hat?
Immer die »Ilias«. Nichts greift mehr nach mir als Achills Klage am Anfang. Singe den Zorn, oh Göttin - darin sind alle 24 Gesänge schon angelegt. Achills Zorn, sein Schmerz, sein Untergang. Und: Klingt eitel und blöd, aber mein eigenes Buch. Beim Überarbeiten muss ich ja ständig weinen. Über die Verzweiflung der Figuren, über ihren Kampf und ihr Bemühen, sich aus dieser Verzweiflung zu lösen. Über ihre Zartheit miteinander, in jedem Satz klingt ihre Liebe mit. Dieser Ton klopft mich weich, dieser Johanna-Márta-Ton bringt mich zum Weinen.
6. Ihre liebste Romanfigur?
Eigentlich kein Roman, »Alice im Wunderland«. Ein Mädchen, das träumt, schläft, der Wirklichkeit entgleitet und Schule offenbar gähnend langweilig findet. Wegdöst über einem Buch »ohne Bilder und Unterhaltungen«. Und dann die irrsten Geschichten erlebt. Dabei unerschrocken bleibt, selbst wenn es plötzlich in die Höhe schießt, durch eine Bücherschlucht fällt, in einem Fluss davontreibt, alle entsetzlich gemein zu ihm sind und es sich furchtbar allein fühlen müsste. Unvorstellbar, wie unerschrocken Alice bleibt!
7. Ihr neues Buch »Schlafen werden wir später« spielt in Frankfurt und im Schwarzwald. Andere Schauplätze sind die Insel Fehmarn und der Bodensee. Welche Bücher empfehlen Sie für eine Reise an diese Orte?
Wenn man ans Meer fährt, Eduard von Keyserlings »Wellen« und Uwe Johnsons »Jahrestage«, die Märchen von Hans Christian Andersen – das ist Literatur für den Norden, Literatur des Nordens. Wenn man in den schwarzen Wald fährt, Wilhelm Hauffs Märchen.
8. Manchmal schämt man sich dafür, ein bestimmtes Buch zu mögen – haben Sie eins?
Nein, gar nicht. Ich kann das immer gut begründen. Ich schäme mich auch nicht, als Mädchen ungefähr zwanzig Mal »Vom Winde verweht« und »Désirée« gelesen zu haben. Ich kann ja auch an einem Tag Abba hören und am nächsten »Der Ring des Nibelungen«.
9. Gibt es ein Buch, das alle Welt liebte, nur Sie fanden es doof?
»Der Herr der Ringe«. Nie gelesen, langweilt mich auf den ersten Seiten schon zu Tode. Ja, Anläufe gab es. Möglicherweise bringe ich mich um ein großes Lesevergnügen, aber es geht nicht. Die Vorstellung, ich hätte auf einer einsamen Insel nur »Der Herr der Ringe« dabei: Oh weh. Zudem bin ich Analphabet, was Science-Fiction-Romane angeht. Also »Fahrenheit 451«, »Solaris« oder auch »Per Anhalter durch die Galaxis«, die ganze Generationen offenbar erschüttert oder belustigt haben. Geht einfach nicht.
10. Welches Buch sollte Ihrer Meinung nach jede und jeder gelesen haben?
»Ilias« und »Odyssee«. Das größte Gefühlsmeer, die haarsträubendsten Wendungen – erzählt in einem für mich fast unerträglichen Spannungsbogen.
11. Welches Buch haben Sie nie gelesen und wünschten, Sie hätten es?
»Schuld und Sühne« in der Übersetzung von Svetlana Geier, also »Verbrechen und Strafe«.
12. Zu welchem Buch kehren Sie immer wieder zurück?
»Krieg und Frieden« von Tolstoi. Jetzt in der Übersetzung von Barbara Conrad. Ich lese es in Abschnitten, in Passagen, ich schaffe selten mehr als dreißig, vierzig Seiten, dann lasse ich es liegen, lese etwas anderes oder lange gar nichts, wenn ich selbst schreibe. Ein halbes oder ganzes Jahr später geht es so weiter, ich nehme es, lese wieder Teile der letzten Passage und dann zehn weitere, neue Seiten. Das macht aber rein gar nichts, es ist ein Buch, in das ich ohne weiteres immer wieder aufs Neue eintauchen kann, es wird nie langweilig, dieselben Sätze, dieselben Szenen und Gespräche noch einmal zu lesen. Nein, kein bisschen. So dauert das womöglich mein ganzes Menschenleben lang.

Die Schriftstellerin Márta lebt mit Mann und drei Kindern in einer deutschen Großstadt. Obwohl sie ihre Kinder über alles liebt, kämpft sie jeden Tag darum, in ihrem Leben nicht unterzugehen und ihre Arbeit gegen die Zumutungen des Alltags zu verteidigen.
Ihre Freundin Johanna hingegen, mit der sie seit früher Kindheit eine innige Freundschaft verbindet, ist Lehrerin im Schwarzwald und kinderlos. Statt mit ihrer Doktorarbeit über Annette von Droste-Hülshoff weiter zu kommen, kämpft sie mit den Gespenstern ihrer Vergangenheit: mit dem Mann, der sie verlassen hat, mit dem Krebs, den sie überwunden geglaubt hat, mit ihrem Vater, der so jung gestorben ist.
Jetzt, mit Anfang 40, liegt die Mitte des Lebens hinter ihnen, sind Lebensweichen gestellt, wichtige Entscheidungen getroffen, ist ein Richtungswechsel nicht mehr vorgesehen. Aber soll das alles gewesen sein? Márta und Johanna schreiben einander E-Mails von großer Tiefe, Offenheit und Emotionalität. Ihre Mails sind ergreifende Dokumente eines täglichen Ringens um Selbstbehauptung, Freiheit und Glück. Beide Frauen wissen, dass sie mehr wollen als noch nicht sterben. Aber was machen sie jetzt mit diesem Leben, dessen Weg sie zur Hälfte schon gegangen sind? Und was macht das Leben mit ihnen?