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Hundertvierzehn | Essay
Weltliteratur aus Island

Die Isländersagas sind ein einzigartiges Beispiel für die zeitlose Macht der Literatur. Der deutsch-isländische Theater- und Romanautor Kristof Magnusson über den gewaltigen, zauberhaften und humorvollen Quell der isländischen Literatur.

 
Kristof Magnusson

Kristof Magnusson 1976 in Hamburg als Sohn deutsch-isländischer Eltern geboren. Ausbildung zum Kirchenmusiker bei der evangelischen Landeskirche Nordelbien. Zivildienst mit Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. in New York City in der Sozialarbeit mit Holocaustüberlebenden und Obdachlosen. Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und der Universität Reykjavík. Arbeitet als Autor und Übersetzer sowie gelegentlich als Hochschullehrer und engagiert sich durch Vorträge, Seminare und Lesungen für Literatur in Einfacher Sprache, u.a. im Rahmen des Projektes »Frankfurt, deine Geschichte« des Literaturhauses Frankfurt.

Die Isländersagas erzählen von den ersten, meist norwegischen Siedlerfamilien, die im neunten und zehnten Jahrhundert über den Atlantik segelten, um auf einer gänzlich unbewohnten, fast unbekannten Insel namens Island ein neues Leben anzufangen. Es war eine einzigartige Zeit. Viele der ersten Siedler mussten ihre alte Heimat nach erbitterten Kämpfen mit verfeindeten Familien oder Feudalherren verlassen und bauten in Island ein Gemeinwesen auf, das in der Geschichte seinesgleichen sucht. Es gab keinen König, keine zentrale Staatsmacht. Die einzige Institution des jungen isländischen Freistaats war das Allthing, eine Versammlung, zu der sich die Isländer einmal im Jahr trafen, um Gesetze zu erlassen und Recht zu sprechen. Dies führte zu brisanten Situationen: Wenn Siedler über ein Stück Land, die Familienehre oder einen gestrandeten Wal in Streit gerieten – was nicht selten mit Mord oder Totschlag endete – konnten sie auf dem Allthing einen Urteilsspruch erwirken. Um dieses Urteil jedoch zu vollstrecken, mussten sie selber eine Streitmacht von Freunden und Verwandten sammeln und zu ihren Widersachern reiten, wodurch es immer wieder zu komplizierten Allianzen zwischen Großfamilien kam, zu Intrigen, Kriegszügen und Vergeltungsschlägen, die sich immer wieder zu Generationen übergreifenden Fehden auswuchsen.

Aus literarischer Sicht ist diese friedlose Zeit ein großer Glücksfall gewesen, liefert sie doch die Grundlage für die Geschichten, die die Isländersagas erzählen, Geschichten von starken Männern und Frauen und ihren Kämpfen um Liebe, Einfluss, Wohlstand, Recht und Familienehre, die uns einen Eindruck davon vermitteln, wie die Isländer in ihrer Anfangszeit ihr Gemeinwesen organisiert haben.

Oder, besser gesagt, organisiert haben könnten, denn inwiefern die Sagas von wirklichen historischen Ereignissen berichten, ist heute kaum noch nachvollziehbar. Die ältesten erhaltenen Manuskripte der Isländersagas sind im dreizehnten Jahrhundert entstanden, über dreihundert Jahre nachdem die ersten Siedler Island erreichten. Wie hatten die Saga-Autoren von den längst vergangenen Ereignissen erfahren, über die sie schrieben? Wurden die Geschichten aus der Landnahmezeit über drei Jahrhunderte mündlich tradiert? Lagen den damaligen Autoren heute verlorene schriftliche Quellen vor oder haben sie sich größtenteils auf ihre Fantasie verlassen?

Sicher lässt sich vor allem eins sagen: Die Sagas sind Weltliteratur. Hier spielen nicht, wie man es aus der europäischen Literatur des Mittelalters kennt, Heilige, Ritter oder Könige die Hauptrolle, sondern einfache Bauern, und diese Bauern sind vielschichtige Charaktere! Auch bei heutiger Lektüre fällt sofort auf, wie wichtig den Saga-Autoren das Vergnügen ihrer Leser war. Wieder und wieder lockern humorvolle Episoden oder Lyrikpassagen die Handlung auf, und wann immer sich dadurch die Spannung erhöht, gibt es unheilvolle Weissagungen, retardierende Momente und Perspektivwechsel wie im modernen Roman. Hinzu kommen ironisch-nonchalante Gewaltdarstellungen, deren moderner Humor eher in Filme wie Pulp Fiction zu passen scheint als in das späte Mittelalter. Ein für die damalige Zeit unerhört realistisches, psychologisch einfühlsames Erzählen, das es auch heute möglich macht, die Isländersagas mit Spannung zu lesen.

Zu zeitgenössischen Texten werden die Isländersagas durch diese erzählerischen Mittel natürlich nicht. Dazu glauben zu viele Sagahelden an Geister, fürchten sich vor Schadzaubern, achten die Ehre der Familie mehr als ihr Leben oder nehmen wissentlich den Tod in Kauf, weil sie glauben, dem Schicksal nicht entrinnen zu können. So überraschend modern die Isländersagas teilweise erzählt sein mögen, entführen sie ihre heutigen Leserinnen und Leser doch in eine rätselhaft fremde Welt.

Kristof Magnusson, im Juni 2014

Isländersagas

Ungemein spannend und modern berichten die mittelalterlichen Texte vom Leben der ersten Siedler auf Island und von ihren Fahrten, die von Schottland und Grönland bis nach Amerika führten. Dashiell Hammett hat ihre Dialoge, Borges ihren zynischen Realismus bewundert, und ihre Gegenwärtigkeit verblüfft.

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