Das Buch auf dem Regal ist jetzt Materie, es ist zu endgültig, als dass ich mich noch mit ihm in Beziehung bringen kann.
Vorbei. Es gehört mir nicht mehr.
Ein anderer hat es geschrieben, es muss mein Doppelgänger sein. Sein Foto hängt am Messestand, sein Name steht auf dem Cover. Mir fehlt der Bezug zu ihm.
Aber ich war er, natürlich. Solange ich den Roman geschrieben habe.
Wenn man sein Buch das erste Mal an einem Messestand sieht, kehrt man in die Realität zurück. Vorher stand man mit dem Text in einer konspirativen Verbindung, war mit ihm allein. Es gab ein Geheimnis, denn niemand auf der Welt, nicht einmal ich selbst, konnte mit völliger Gewissheit sagen, was es für ein Buch wird.
Und nun ist es fertig, der letzte Punkt gesetzt, die Endredaktion abgeschlossen – wie ein kleiner Tod.
Ein Tod – und eine Neugeburt.
Von nun an werden andere Augen den Text lesen, er wird Teil fremder Gedanken, vielleicht sogar fremder Träume, andere werden ihre Erfahrungen mit ihm machen.
Eine Vielzahl verschiedener Lesarten entsteht, und alle sind reicher als meine allein.
Man löst sich förmlich auf, lässt dem Buch den Vortritt, denn das Buch ist – zumindest in meinem Fall – größer als der Autor.
Und so stehe ich am Messestand und nehme Abschied von meinem Buch, und das ist so schwer als sei es eine Geliebte.
Ein Gefühl der Leere, wie ein Platz am frühen Morgen.
Aber im Nebel zeichnen sich neue Figuren, neue Gefühle ab.
Es ist der nächste Roman, ich kenne ihn noch nicht. Es sind seine ersten Anzeichen.
Aus dem Russischen von Franziska Zwerg

Russland im August 1991: ein Putsch bringt das Land zum Beben, Gorbatschow wird abgesetzt, Jelzin übernimmt die Macht und Putin kann kaum erwarten, der Nächste zu sein. Das Land zerfällt. Nichts ist mehr, wie es Jahrzehnte lang war. Die einen verscherbeln Bodenschätze und Panzer und werden Multimillionäre, die anderen versinken in bitterer Armut. In dieser Zeit des totalen Umbruchs entdeckt der Ich-Erzähler das Tagebuch seiner Großmutter und erkennt, dass das Schweigen über die Vergangenheit gebrochen werden muss, wenn Russland eine Zukunft haben will. Ein hochaktueller, ein spannender Roman über ein Land, das schon lange keine Weltmacht mehr ist.