Es ist so: Alle erzählen von irgendwelchen Weihnachtsfeiern, und man selber war noch nie im Leben bei einer – und auch zu keiner eingeladen.
Man hat ja keine Firma, keinen Betrieb, keine Kollegen. Die Zeitschriften, für die man ab und zu einen Text verfasst, laden seit dem Krisenjahr 2010 keine freien Mitarbeiter mehr ein, selbst die Partner und Partnerinnen der Festangestellten müssen zu Hause bleiben. Rühmliche Ausnahme ist der österreichische Radiosender Fm4, der schickt der Kolumnistin jedes Jahr eine Einladung zur Weihnachtsfeier, aber die Anreise nach Wien ist dann doch zu weit.
Vom Verlag hört man erst wieder zum neuen Jahr was, da kommt eine Karte und ein Buch. Die Band hält keine Weihnachtsfeier ab, und überhaupt haben die Geselligkeiten des Musikantenlebens in den letzten Jahren schwer nachgelassen. Und das liegt ausnahmsweise mal nicht an den Bandmitgliedern fortgeschrittenen Alters, sondern an den Jüngeren! Sie sind furchtbar beschäftigt, müssen immerzu »was für die Uni tun« oder sind Opfer der Digitalisierung mit ihrem einhergehenden Gebot der ständigen Selbstvermarktung. Dauernd muss genetzwerkt werden, müssen irgendwelche Filme gedreht und für die Fans auf die Band-Seite gestellt, müssen Veranstaltungshinweise auf Facebook erstellt oder was am nächsten Cover gebastelt werden. Der Fluch des Do-it-yourself-Gebots. Der Musiker ist jetzt auch Videofilmer, Graphiker, Promoter, Product Designer, PR-Manager.
Dabei war doch das Nach-der-Probe-was-Trinken-gehen immer der schönste Teil der ganzen Proberei, und das nicht nur bei Rockbands. Wenn meine frühesten Kindheitserinnerungen mich nicht trügen, wachte ich manchmal in unserem badischen Dorf, Ende der sechziger Jahre, nachts auf, weil meine Eltern, von der Kirchenchorprobe leicht angeheitert, noch ewig mit den ebenfalls heimkehrenden Nachbarn vor unserem Haus auf der Straße standen, laut redeten, auflachten und sangen.
Aber jetzt in Berlin wird schnell und effizient geprobt – manchmal schon am Vormittag! –, und dann rennen alle zu ihren anderen Geschäften.
So sitzt man dieser Tage einsam und verlassen am Schreibtisch und stellt sich unter einer Weihnachtsfeier wunderwas Tolles vor. Die Zeitschriften sind voll von Ratschlägen für das richtige Verhalten dort: auf jeden Fall hingehen, aber nicht zu viel trinken, nicht lästern, nicht rumknutschen, das im Überschwang vom Chef angebotene »Du« am nächsten Tag nicht gleich anwenden, erst mal beim »Sie« bleiben.
Ach, es ist eine fremde, seltsame Welt, die einem da verschlossen bleibt.

Immer noch traumatisiert, berichtete eine Freundin von ihrer »Weihnachtsfeierdemütigung«: »Die letzte Weihnachtsfeier, auf der ich war, war arg schlimm. Wir waren in einer Art Verschlag, der nicht rechtzeitig fertig geworden war, und es war schweinekalt. Es war, glaub ich, nur so ein Bretterverschlag. Es gab auf dem Gelände auch ein Restaurant, aber das war ausgebucht. Wenn man aufs Klo wollte, musste man dorthin und sah sehnsüchtig die Angestellten anderer Firmen an ihren Tafeln im warmen Kerzenschein und molliger Wärme sitzen. Wir alle hatten uns weihnachtlich-festlich angezogen, mussten aber die Mäntel anbehalten. An den wenigen Stellen, wo in unserem Verschlag Heizpilze standen, war es wiederum viel zu heiß. Eng war es außerdem, man berührte die Schenkel der Kollegen, auch wenn man gar nicht wollte. Essen war knapp.«
Aber diese drastischen Berichte verstärkten meine Sehnsucht nach Teilhabe und dem Gemeinschaftsgefühl einer betrieblichen Weihnachtsfeier umso mehr.

Ich freute mich sehr über die Einladung, aber sofort kamen wieder Zweifel auf: »Happy Ending 2015« – ist das eine richtige Weihnachtsfeier, wenn man dann dort gar keinen kennt? Gilt das?

Christiane Rösinger, Liedermacherin und kritische Anhängerin des Eurovision Song Contest, fährt im Mai 2012 von Berlin nach Baku. Ohne Orientierungssinn und geographische Kenntnisse, aber mit einer seelenstarken Mitmusikerin und einem auf dem Gebrauchtwagenmarkt eilig erworbenen Fahrzeug. Sie begegnet bulgarischen Männern, die ihr Leben lang auf Ziegen starren, harrt aus im »einsamsten Frühstückssaal der Welt« und überschreitet in der Türkei die Cappuccinogrenze. Sie lernt, professionelle Auslandsdeutsche von Deutschen im Ausland zu unterscheiden, wird in Tiflis zum Bestandteil der Deutschen Woche und tritt endlich, nach 4800 staubigen Kilometern, auch in Aserbaidschan auf – weit weg vom offiziellen Sponsorenspektakel.