
Kommentare
Sofort voll da: innerhalb von zwei Zeilen mitten im fragilen Zustand einer Selbstbetrachtung, die ihre aktuelle Vorausrichtung befragt und irritiert ist von dem, was sich aus vergangenen Zuständen, Aufmerksamkeiten, Plänen und Perspektiven als gewordenes Ich verwirklicht hat, geronnen ist, die die Verwacklungen und Verwischungen als bezeugende Spuren einzufangen sucht. Sind wir und unsere Handlungen wirklich die Ursache eines zukünftig Einheitlichen, das unsere eigengeschichtlich festgestellte Person sein soll, oder nur das, was aus der Summe zufälliger Situationen als Habitualität neben abfällt: kein Ich in diesem Gedicht, zu Recht, aufgelöst in Infinitiven, Partizipien, "ein jeder". Die Sprache ist meditativ, zärtlich im Überreichen der Motive, gedanklich streng aber immer behutsam neu einatmend. Bis zum Schluss, Hölderlin anklingend, die Dativierung intransitiver Verben, die Dynamisierung dadurch, das Thema aufs Äußerste konzentriert, die Verkeilung des Anfangs in Lösung gesetzt: "Der Herkunft stirbt das Regende nie." Das Gedicht wird eines meiner Liebsten werden, ist es vielleicht jetzt schon.
Danke, Felix, Verneigung und das fehlende Ich ergab sich; zumal, wenn man die Absätze (ich sprech’ nicht von Gedicht, weil Texte dieser Form allesamt aus dem Prosamaterial gegriffen sind – mögen sie in sich halten) davor und dahinter mitnimmt. War mir aber so nicht aufgefallen.
Das Gedicht ist Reflexionspool. Insofern sind wir mit den »Absichten« tatsächlich in der Gattung, die sich hier auf diesen Seiten zeigen soll. Allerdings schlingere ich immer wieder aus dem Lauf des Textes, was so sein sollen mag, mich aber eher ins Zufällige bremst, ins Blinde auch. Mich stoppen die erhaben anromantisierten Fragen [»Sind wir uns wirklicher nun?« | »Wem sieht sich ein jeder voraus?« | »Wie konnte geworden sein, was schuf?«]. Und frage mich, was wohl »vereinter Alltag« ist, was »währende Notwendigkeit«? Wie können Gründe fliehen (in einen Strom, noch dazu einen weitergetriebenen)? Ist Unruhe nicht immer seelisch? Und gleich bei »Phasen des Umbruchs«: Stellt das nicht zu betont heraus, dass Autor (und Gedicht) sich des Status Quo souverän bewusst sind? Zudem kann ich mir keine Zeit vorstellen, die nicht Umbruch wäre. Im Raum der letzten zwei Dezennien. Es kommen einem ja schöne Quirlungen entgegen, aber auch zu lyrisch abgezirkelte Passagen. Mir stellen sich Bilder eher aus, als dass sie sich einstellen würden. Motive, die austreten ... Die Kenntnis, die gültige Änderung ins Allgemeine speist ... Ich habe weder Faden noch habe ich Knäuel in dem Erwägungenparcours.
Lieben Dank, Ron Winkler, für die Anmerkungen – ich bin nicht sicher, ob ich antworten kann. Auch, weil hier so furchtbar anonym alles angelegt ist. Unwissend zudem, ob Antworten möglich sind. Ich bin kein Freund von Erklärungen. Ich habe geschrieben (jetzt ist es raus), dann kommen die Fragen oder fehlenden Fäden; Irritationen – mögen sie leben dürfen. Ich bin selten dabei, sobald ich schreibe. Dann folgt das Hinterher. Ein Reflexionspool, sagst du, sei das Gedicht – wohl dem, der eine Badehose dabei hat. Schön, dass du reingesprungen bist. Ich bin nicht sicher, ob "das" Gedicht, ganz generell, ein solcher Pool sei und ob du "dieses" meintest? Re-flexion, statt Pro-flexion; zurückgewandt. Vielleicht, je nachdem, von wo die Sprache kam.
Unter "vereintem Alltag" verstehe ich einen solchen, der sich nicht zu entzweien entschied und vielleicht ist diese Dynamik des Auseinanderlebens zu dual gedacht, kann sein. Ich denke, ich kenne etwas, das ich als vereinte Alltage bezeichnen würde und sei’s mit dem Busfahrer. Plötzlich wechsle ich den Wohnort und die Linie ist passé; der vereinte Alltag ist einst. Während wir Tag für Tag die zwölf Stationen fuhren, man kannte sich, man grüßte. Ob er noch immer die Linie 17 fährt?
Eine "(immer-)währende Notwendigkeit" sei eine solche, meine ich, die nicht nur vorübergehend stimmt, sondern bleibend bleibt. Und damit erst Notwendigkeit wird, wirklich? Somit doppelt gemoppelt? Kann sein, bin aber der Meinung, dass es eine Notwendigkeit gibt, die dann doch wieder brüchig wird und sich als eben nicht immerwährend erweist.
Dass Unruh stets seelisch sein soll, kann ich nicht bestätigen – ich spiele Schlagzeug. Was mich hingegen zuweilen sehr beruhigt, ist, eben dieses zu spielen. Zu der Frage, nach dem Bewusstsein des Status Quo und zu der Anmerkung, du könnest dir keine Zeit, die nicht im Umbruch wäre, vorstellen, bin ich versucht zu sagen: Ja. Und? Das Gedicht behauptet kein Gegenteil, nicht eines? Und doch bin ich nicht sicher, vielleicht stimmt es. Es gibt dort doch eine Zeit, ganz ohne Umbruch, nämlich immer schon und deswegen muss sie nicht mehr brechen – sondern wir sind es?
Was die "erhaben anromantisierten" Fragen angeht, so schmecke ich mit, dass du das wertend sprichst – es ist ein Problem. Möge Mond in ihnen monden – ich stelle Fragen. Sind sie deshalb gestellt? Wenn Sprache eine Lösung bereitstellen würde, so wäre sie nicht mehr unter uns?
unruhe ist nicht immer seelisch, lieber ron
ich meine: sie ist doch gern auch hormonell oder "körperlich", aus zuckerüberschuss oder zuckermangel oder sportwahn etc. ja, du hast recht: wer wollte die seele da auschließen oder gar aus den hormonen verbannen (ich nicht, und doch überschneidet es sich nur - und wo: das wäre eine frage. oder ein anderes gedicht). was ich mag, hier: die absichten.
den irrsinn, der darin steckt, sich der eigenen absichten zu erinnen. sind sie nicht etwas, da sman einfach so "weiß"? etwas zwischen rational und merk- wie fühlbarem?
und ist eine erinnerte absicht eine, die immer schon (ein stück weit)aufgegeben war?
immer tiefer hinein, ganz rasch geht das, in den strudel: was kann DANN erinnern sein?
ich hatte die absicht, etwas zu essen.
wie konnte ich es vergesen?
und wenn ich mich nun daran erinnere: ist der hunger fort? wie erinnere ich mich, wenn er fort ist? wenn er noch da ist?
und in welcher form "erscheint" die absicht in meinem bewusstsein: als wort gar? als satz? oder instantener als bewegung der hand?
ja, immer wieder tragen die zeilen/fragen mich aus der kurve, ich verliere sofort halt - und muss gestehen: benutzte dieses gedicht sogleich als trampolin. sprich: komme nicht auf, berühre nur mit der fußspitze, und fliege ab in die eigenen kurven. der schulvorstellung von "guter" gedichtlektüre entspricht das nicht... aber schön ist dieser gebrauch. aus dem das wort, as old wittgenstone had it, doch bestehen will?
Der ganze Körper ist Unruhe. Immer — wir halten nur nicht immer ein Stethoskop drauf. Und die »Absichten« sind es auch. Unruh-Ruckedigu.
Sicht, sichten, bis ins Abseitige hinein (alter Alltag, einstige Geschichte), das Abseidene (»rumoren«, »Mythen«). Was mir ja gefällt. Gewahrwerdung findet hier statt.
Und ja: Trampolingua, so versehe ich mich auch gern — mit Gedichten.
"So nimmt der Charakter sich dessen aus, was einmal zu bedeuten er meinte": Pardon, für mich ist das gestelztes Deutsch. Auch kapiere ich nicht, was an diesem abstrakt-lamentierenden Text G e d i c h t sein soll.
Überhochgemetztes Wortgeklimper: "In den weitergetriebenen Strom fliehen die Gründe."/"Als müßten Verlassne, einer übrigen gelassenen Spannung überführt, zur Zelle verkommen, währender Notwendigkeit." Allein diese funktionslose Nachstellung! Usw.
Patriarchal konnotierter Intellektuellenkitsch, kein Blut, kein Sperma, keine Spucke, kein Rotz, kein Schweiß.
Grauslich.
Sehr geehrter Herr Herbst,
vielen Dank für ihr Laub, ich habe es weggekehrt. Das Blut eines Menschen zu sehen, den Sie nicht kennen, mag Ihnen hervorragend gelingen; ich habe darauf hin den Text nochmal befragt – er vermutet, dass Ihrem Kommentar die Sprache entglitten ist. Was nicht weiter schlimm sein muss, die Sprache gleitet ja gern. Soviel zur Vermittlung. Die Frage danach, ob irgendwelche Worte "Gedicht" seien, beschäftigt die Menschheit seit der Höhlenmalerei. Obige Worte meinten dazu, die Frage sei üblich. Auch sie seien zunächst verwirrt in die Form gefallen, hätten dann aber festgestellt, dass man nur mit Schlitten rodeln kann. Die Verantwortung für sämtliche Irritation übernehme ich gern – einen Absatz aus dem Kontext der je 200 Seitchen davor und dahinter rauszulösen, birgt die Gefahr der Nacktheit – soviel zum Thema Sperma. Hinzukommt, dass Inhalte, gern denjenigen den Blick vor Klang, Lautfolgen, Umgang mit Binnenreimen und harten Konsonanten Balken im Auge sind, die Worte noch in Werten denken. Was keine Vermutung ist, sondern ein Angebot.
Mit herzlichen Grüßen,
Mr. Grauslich
Ein schönes Gedicht, über das ich seit Tagen immer wieder nachdenke – und das mir aufgrund seines Tons folgt bis in den Traum. Ein mutiges, geradezu waghalsiges Unterfangen, dieser Versuch zu einem Anachronismus, einem eigenen, zeitlosen, nicht an Moden gebundenen Sound. Gedichtfeld. Die Gedanken werden mitverfolgbar Sätze, die Sätze nachvollziehbar Verse. Ich bin mir nicht sicher, ob der unsichtbare Zeilenbruch (der da ist, wie ein Zaun im Nebel) dem Ganzen zuträglich ist. Dem Ganzen? Ich lese hier ein Gedicht, das sich rettet vor der Unterhaltsamkeit, in die Suche, an den Rand. Den Gedichtfeldrand.