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Es sind nicht unbedingt die schlechtesten Gedichte, anhand derer man sich manchmal fragt: Wie hat es mit der Dichtung nur so weit kommen können? Dann fängt man an, die "Ontogenese" des Autors auf die Phylogenese der Gattung (Lyrik?) zurückprojizieren - und umgekehrt.
Etwas weniger umständlich gesagt: die Fragen, die hier verhandelt werden, betreffen symptomatisch das Ganze des Gedichteschreibens, asymptotisch aber, notwendige Anmaßung, das Ganze der Welt. Wenn also einer, der sich als Dichter begreift, links liegen läßt, was die Welt "zusammenhält" und vielmehr die Elemente aufzeichnet, in die sie ihm zerfällt: leuchtende und lausige, hochgiftige und leichtfüßige, bunte und plumpe, kosmische und verkorkste, komische und garstige, lösbare und unendlich vertrackte usw., wem wäre dafür die Schuld zu geben, der Welt oder dem Gedicht?
Das wird sich nicht so leicht klären lassen, doch es erübrigt sich vielleicht auch, wenn jedes der Fragmente, in die die Welt zerfällt, eine Welt ist.
Daraus lässt sich mit Sicherheit kein poetisches Ideal zimmern, es ergäbe aber eine vorsichtige Prämisse der Berührung mit diesen radioaktiven Trümmersprachen, bei denen immense Energien in die einzelne Formulierung fließen, und von der Formulierung wieder zurück in die Vorstellung, die wie ein leicht entflammbarer Kater um die heiße Glut der Begriffe schnurrt. Ist der Ofen einmal angeworfen, trifft Alchemie auf Budenzauber, Traumbild auf historische Wirklichkeit. Metaphorische Felder werden ineinandergeschoben im Augenblick ihres Keimens, Gegenstände straucheln über ihre Beschreibung, Brückenbauer stolpern über die eigenen Beine, Pointen werden in hypnotischen Formeln ausgebremst. Das Ganze ist von einer fast schon bedenklichen Kopflastigkeit und lebt doch von jenen Momenten, in denen („Shuttles sein“!) das Wörtlich-, ja Körperlichnehmen des Gesagten über das Abstraktum triumphiert. Etwas daran erinnert mich sogar an Martina Hefters Handbuch „Vom Gehen und Stehen“, sonst ganz unverwandt, wenn es den virtuellen Anteil körperlicher Impulse auskostete, das Gehirn beweglich hielt in einem prolongierten „So tun als ob“. Als könnte man das Denken zum Tanz auffordern, ohne sich von der Stelle bewegen zu müssen. Dann ist es die Stelle selbst, die sich bewegt, die innere Position, die aktiviert oder neu verhandelt wird. Was will man mehr?
Sehr subtil, wie der Autor auf zehn Zeilen den "Schneefall" assoziativ umkreist, sein "archaisches Gleissen" ebenso wie sein Landen und Liegen. Dazwischen sinniert er über "das Kunststück Versunkenheit", umgibt sie mit den Begriffen "schwebend", "latent", "namenlos", "farblos", "atemlos". Zudem mit dem Verb "abheben", das plötzlich den Hörer ins Spiel bringt. Doch über die Assonanz "krass" / "gelassen" führt der Gedankenweg zurück zur eigentlichen Charakteristik des Schneefalls, die hier für das (meditierende) Subjekt in Anspruch genommen wird: "Dabei gelassen liegen / ungehoben und unbetreten - gelandet / wie aus dem All, eines der Shuttles sein." Das ist kühn und zart, überraschend und stimmig zugleich.