Nur eins ist klar, die diesjährige US-Präsidentschaftswahl ist wahrscheinlich die größte Reality-TV-Show aller Zeiten. Sie kostet Milliarden in der Produktion, wird von hunderten Millionen Menschen täglich verfolgt, jeder kennt die Akteure und kann mitdiskutieren. It’s entertainment, stupid, um den berühmt gewordenen Satz des Ehemannes der Präsidentschaftskandidatin etwas umzumünzen.
Dabei geht es nicht mehr nur darum Politik unterhaltsam, sondern Unterhaltung mit Politik zu machen. Was wir erleben ist eine riesige Show, in der es auch um Politik geht. HauptdarstellerInnen sind ein verrückter Bauunternehmer und die etwas farblose Frau einer politischen Dynastie. Beide wollen die Show gewinnen. Der Preis ist, Präsident des mächtigsten Landes der Welt zu werden; quasi der König der Welt. Sie sind die letzten zwei KandidatInnen einer Vorauswahl, die auch schon andere mehr oder weniger unterhaltsame Charaktere verschlissen hat, so wie einen ziemlich alten, aber erstaunlich junggebliebenen Che-Guevara-Verschnitt.
Die KandidatInnen haben alles gegeben. Sie waren omnipräsent, sie haben debattiert, manipuliert, vertuscht, haben sich gestylt, trainiert, die Schwächen der anderen Seite genutzt und sich gegenseitig Beine gestellt, wo sie nur konnten. Nun kommt es zum Countdown. Einer muss gehen. Wird es der schmierig-unterhaltsame Bauunternehmer sein, der die politische Korrektheit ignoriert und eine Anti-Establishment-Kampagne fährt, obwohl er genau aus diesem Establishment herkommt? Oder die solide ältere Dame, die dafür steht, dass alles so bleibt, wie es ist? Die Zuschauer in den USA können entscheiden. Der Rest der Welt guckt zu.
Politik als Show, in der die besten Schauspieler, Regisseure und Produzenten gewinnen. Ist es das, was wir erleben? Die Trump-Show als die Zukunft der Demokratie? Wir wählen die Politiker, die uns am besten unterhalten, weil wir sowieso nicht mehr verstehen, worum es überhaupt geht. Brauchen wir dafür überhaupt noch Politiker? Oder einfach nur Schauspieler, die ihre jeweils zugeteilte Rolle spielen.
Wahrscheinlich wissen die Akteure gar nicht, dass sie nur Schauspieler einer Show sind. Sie glauben, das sei alles real. So wie der Versicherungsangestellte Truman Burbank in dem Film »Die Truman Show«, der dachte, er führe ein selbstbestimmtes Leben, dabei spielte er die Hauptrolle einer akribisch produzierten TV-Show und war den ganzen Tag von Schauspielern und Statisten umgeben. Sein Leben lief nach Drehbuch ab, bis das Ganze aufflog und die Show platzte.
Die Trump-Show, bei der es mehr ums Gewinnen als um Politik geht, hat Amerika gespalten wie vorher schon die Boris-Johnson-Show die Briten. Dort hat die Show keine Lösungen geschaffen, sondern viele neue Probleme, bis hin zur möglichen Selbstauflösung des Vereinigten Königreiches. So wird es in Amerika auch sein, egal wer die Trump-Show letztendlich gewinnt.
Will man der Wahl in Amerika eine gute Seite abgewinnen, dann vielleicht, dass sich Europas gegenwärtige Probleme im Vergleich relativieren. Woanders is‘ auch scheiße, sagen die Leute im Ruhrgebiet so schön. Bisher. Meist schwappen ja Trends aus den USA mit ein paar Jahren Verzögerung auch hierher. Oder ist dieser amerikanische Trend schon längst hier? Mit Berlusconi hatte Europa schon mal einen Trump. Jetzt haben wir den Orban und einen Kaczyński. Es ist keine Zeit, sich zurückzulehnen.

Harald Welzer, Andre Wilkens und Alexander Carius geben zusammen den Debatten-Band ›Die offene Gesellschaft und ihre Freunde‹ heraus. Die Frage, welches Land wir sein wollen, ist zu wichtig, um zwischen parteipolitischem Kalkül zerrieben zu werden. Wir müssen die Debatte führen: Wollen wir eine offene Gesellschaft sein, geleitet von Freiheits- und Menschenrechtsidealen, oder eine exklusive Gesellschaft, die ihre Identität vor gefühlten äußeren Bedrohungen sichert? Und wenn wir eine offene Gesellschaft sein wollen: Was sind wir bereit, dafür zu tun? Zum ersten Mal debattiert eine Gesellschaft über sich selbst und über diese Frage, analog, vor Ort.
Lesen Sie nun die wichtigsten Beiträge!