»… er ward aufgehoben zusehends, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg. Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Kleidern, welche auch sagten: Ihr Männer von Galiläa, was stehet ihr und sehet gen Himmel? Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird kommen, wie ihr ihn gesehen habt gen Himmel fahren.« Apostelgeschichte 1, 9-11
Was gibt es Flüchtigeres als eine Wolke? Eben noch stand sie am Himmel, und im nächsten Augenblick steht sie nicht mehr da, aufgenommen von Kräften, die unsere Augen nicht sehen. Manchmal kann man ihr mit den Augen folgen, wie sie sich hebt, immer höher, bis sie verschwunden ist. Eben noch hatte der auferstandene Jesus mit seinen Jüngern gesprochen und sie gesegnet, und da, heißt es in der Apostelgeschichte, »ward er aufgehoben zusehends, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg.« Das ist alles. Nichts wird gesagt über das Wie und Wann. Die Jünger sehen staunend und schweigend das stille Wunder. Dazu gibt es nichts zu sagen, aber doch etwas zu merken. Heraklit sagt: »Der Gott spricht nicht, er schweigt nicht, er zeigt.«
Wir wissen heute alles über Wolken. Fast alles. Wir wissen, wie sie sich bilden, unterscheiden ihre Formen und haben Namen dafür, wir kennen ihre chemische Zusammensetzung und wissen, warum ihre zahllosen Moleküle aneinander haften, wissen auch, wie tonnenschwer selbst die luftigsten Gespinste sind. Aber unser ganzes auf- und abgeklärtes Wissen hindert nicht, daß wir in der Wolke immer noch, wie vor Urzeiten, ein Zeichen sehen: sie will uns etwas sagen, es ist etwas dahinter, von dem wir nicht, oder nicht mehr, wissen, was das ist, aber es kann uns immer noch ängstigen oder beglücken.
Im Alten Testament zeigt sich Gott Jahwe, der einmal ein Wettergott war, in der Wolke, die ihn zugleich verbirgt. Er ist der brausende Windgeist der Schöpfungsgeschichte. Beim Auszug der Kinder Israel aus Ägypten zieht Er tags in einer Wolkensäule, nachts in einer Feuersäule vor ihnen her. In der Wolke gibt Er Mose die zehn Gebote und das Gesetz. Seine Herrlichkeit und Sein Glanz zeigt sich in der Wolke, wie es in den Psalmen heißt, und man kann sich denken, wie die Menschen der Frühe zu dieser Vorstellung kamen, wenn eine majestätische weiße Cumuluswolke am Sommerhimmel steht, vom Licht der Sonne zum Leuchten gebracht. Aber auch Gottes Zorn, das Schnauben seiner Nase, wie es heißt, Drohung und Strafgericht kommen aus der Wolke. »Er neigte den Himmel und fuhr herab, und Dunkel war unter seinen Füßen. Und er fuhr auf dem Cherub und flog daher; er schwebte auf den Fittichen des Windes. Sein Gezelt um ihn her war finster und schwarze dichte Wolken, darin er verborgen war. Und er donnerte im Himmel, der Höchste ließ seinen Donner aus mit Hagel und Blitzen. Er schoß seine Strahlen und zerstreute sie; er ließ sehr blitzen und schreckte sie.« (Ps. 18) Auch das sind vertraute Wetterzeichen, sogar darin, daß sie uns heute noch schrecken.
Die Wolke ist als Bild des bilderlos gedachten Gottes das Zeichen seiner Ewigkeit, dieses Jetzt-und-immerdar der Choräle. Aber sie ist auch – das ist eins der großen Paradoxa der Bibel – das Bild der Vergänglichkeit, das Bild des Flüchtigsten, also unseres Menschseins. »Gedenke, daß mein Leben ein Wind ist«, sagt Hiob, »eine Wolke vergeht und fährt dahin.« Und im Jakobus-Brief steht: »Denn was ist euer Leben? Ein Rauch ists, der eine kleine Zeit währt, danach aber verschwindet.« Menschenleben und Wolken sind in ihrem Dahineilen, ihrer Flüchtigkeit einander verwandt. Darum vielleicht blicken wir immer noch und immer wieder fragend nach oben.
Eine Wetterwolke ist es auch, die uns als erstes in den Sinn kommt, wenn wir an den Propheten Elija denken. Er hatte gegen König Ahab gewettert, weil der den heidnischen Baal-Kult wieder eingeführt hatte, und verheißt als Strafe, »Es soll diese Jahre weder Tau noch Regen kommen, ich sage es denn.« Und so geschieht es, über drei Jahre währt die Dürre. In Felix Mendelssohns großem Oratorium ›Elias‹ singt der Chor: »Hilf, Herr! Hilf, Herr! Willst du uns denn gar vertilgen? Die Ernte ist vergangen, der Sommer ist dahin, und uns ist keine Hülfe gekommen! Will denn der Herr nicht mehr Gott sein in Zion? Die Tiefe ist versieget! Und die Ströme sind vertrocknet!« Aber erst, nachdem in einem Gottesgericht die Baal-Priester vernichtet sind, wendet sich Elija an Gott: »Schaue nun vom Himmel herab und wende die Not deines Volkes: öffne den Himmel und fahre herab; hilf deinem Knecht, o du mein Gott!« Dreimal schickt der Prophet einen Knaben aus, um zum Meer zu schauen, ob der Herr sein Gebet erhört hat, doch der Knabe singt: »Ich sehe nichts; der Himmel ist ehern über meinem Haupte.« Dann: »Ich sehe nichts: die Erde ist eisern unter mir.« Zum dritten Mal: »Ich sehe nichts.« Die Spannung in der Musik steigt. Dann: »Es geht eine kleine Wolke auf aus dem Meere, wie eines Mannes Hand: der Himmel wird schwarz von Wolken und Wind; es rauscht stärker und stärker!« Und dann hört man den Regen prasseln im Orchester. Die kleine Wolke – das Hoffnungszeichen.
Aber das Regenwunder hilft dem Propheten nicht, er wird weiter verfolgt und weitergeschickt, ein ewiger Wanderer vor dem Herrn, der sich ihm schließlich am Berg Horeb offenbart, in einer rätselhaften Weise, die Mendelssohn auch, als Chor, komponiert hat: »Der Herr ging vorüber. Und ein starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, ging vor dem Herrn her, aber der Herr war nicht im Sturmwind. Der Herr ging vorüber. Und die Erde erbebte, und das Meer erbrauste, aber der Herr war nicht im Erdbeben. Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer, aber der Herr war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles sanftes Sausen. Und in dem Säuseln nahte sich der Herr.« Im Hebräischen heißt das: »Es kam die Stimme der Stille zart.« Martin Buber schreibt dazu, »daß der eifernde Sinaigott nicht in Sturm und Feuer, sondern in ›verschwebendem Schweigen‹ west, das Elia, obgleich es nicht Flüstern oder Säuseln, sondern eben Schweigen, Stille ist, ›vernimmt‹.« Es ist vielleicht diese Offenbarung mitgedacht, wenn die Jünger sprachlos und stumm, im Schweigen dem Wunder der Himmelfahrt mit den Augen folgen.
Aber Elijas Weg ist noch nicht zu Ende. Erst soll er noch einen reichen Mann, Elisa, als seinen Nachfolger zum Propheten salben. So geschieht’s und die beiden ziehen eifernd für Gott durch die Wüste, bis es heißt, daß Jahwe Elija »im Wetter gen Himmel holen« will. So geschieht es denn auch: »da sie miteinander gingen und redeten, siehe, da kam ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen, die schieden die Zeichen voneinander; und Elia fuhr also im Wetter gen Himmel. Elisa aber sah es und schrie: Mein Vater, mein Vater, Wagen Israels und seine Reiter, und sah ihn nicht mehr.«
Die Theatralik des Verschwindens im Feuerwagen hat die Tradition sich nicht entgehen lassen. Die leibliche Himmelfahrt des Propheten wurde als Vorschein und Ankündigung der Auffahrt Christi gesehen, obwohl beider Umstände doch grundverschiedene sind. Erst wenn Elia wiedergekommen ist, sagen die Schriftgelehrten, kann der Gesalbte erscheinen und gen Himmel fahren. In Georg Philipp Telemanns Oratorium zum Fest der Himmelfahrt Christi hört sich das so an: »Elias: / Es kommt die Zeit heran, ich soll / Nunmehr zu Gott gen Himmel kommen.« »Elisa: / Der Donner kracht, / Ein Feuer fährt hernieder. / Du scheid’st, ich sehe dich, / Ja doch nicht wieder. ... Du jagst mit flammenden Rossen davon, / Du fährst gen Himmel auf feurigen Wagen, / Dich träget ein rollendes Wetter von hier. / Ach, Israels Wagen! Ach, Israels Reuter! / Mein Vater!« Jetzt der Chor der Engel und Menschen: »Gott fähret auf mit Jauchzen, / Und der Herr mit heller Posaune, / Lobsinget Gott, lobsinget unserm Könige!« Wann immer also Christi Himmelfahrt mit Jubelgesängen und Posaunenklängen gefeiert wird, dann stammt das aus der Elias-Überlieferung, obwohl – oder vielleicht – sie im Lukas-Evangelium und in der Apostelgeschichte so anders und so karg geschrieben steht.
Allerdings erscheint Elija auch in den Evangelien. Als Jesus einmal mit drei Jüngern unterwegs war, wurde er »verklärt«, wörtlich übersetzt »verwandelt« vor ihnen, »und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, da erschienen ihm Mose und Elia; die redeten mit ihm... Und siehe, da überschattete sie eine lichte, eine leuchtende, helle Wolke und eine Stimme aus der Wolke sprach: »Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe; den sollte ihr hören!’« (Matth. 17, 2-5) Die Stimme nimmt also gewissermaßen den Elia-Bezug zurück. Jesus braucht sein Wiedererscheinen nicht, und damit ist Christi Himmelfahrt aus seinem Verweis auf das Alte Testament gelöst. Wenn es denn eines Vorläufers bedarf, so war das Johannes der Täufer. Dennoch bleibt der gekündigte Bezug in der Überlieferung erhalten. Im tiefsten Jammer, kurz vor dem Kreuzestod, schreit Jesus »Eli, Eli, lama asabthani« und der Psalmvers wird sofort übersetzt – »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« –, »Etliche aber, die dastanden, da sie das hörten, sprachen: Der ruft den Elia.« Andere sprachen: »Laß sehen, ob Elia komme und ihm helfe. – Aber Jesus schrie abermals laut und verschied.«
Auf den Tod folgt nach drei Tagen die Auferstehung Jesu, danach zeigt er sich den Jüngern in leiblicher Gestalt, spricht und ißt mit ihnen. Danach die Himmelfahrt im Jetzt einer Wolke, in Stille und Schweigen. Vielleicht ist damit an den zweifachen Schrei Jesu – »mit lauter Stimme« – erinnert. Nach solchem Todesschreien ist nichts mehr zu sagen. Nur noch Schweigen und Stille. Das Wunder der Auffahrt, gegen alle Kausalität, ist nur ein Moment im Hier und Jetzt, wie wir ihn vielleicht selbst erfahren haben, wenn etwas den Gang der Dinge, das Gewohnte, das Tagtägliche, jäh unterbricht, unverhofft, dieses Flüchtige in einem Blick, einer Geste, etwas, das uns innehalten läßt.
Der flüchtige Augenblick der aufsteigenden Wolke ist für den Blick voller Sehnsucht, voller Geheimnis, voller Hoffnung, vielleicht auch in Erinnerung an den ungeheuren Satz im 1. Korintherbrief: »Wir werden alle verwandelt werden und dasselbe plötzlich, in einem Augenblick.« Der Flüchtige, der sprachlose Augenblick, kann ein Vor-Schein von Ewigkeit sein im Hier und Jetzt. »Doch diese Wolke«, heißt es im schönsten Liebesgedicht von Brecht, »doch diese Wolke seh ich wirklich immer, und als ich aufsah schwand sie schon im Wind.«
Predigt an Himmelfahrt im Berliner Dom am 25. Mai 2017

Was fasziniert die Menschen an den Wolken? Wollen sie uns etwas sagen? Göttliche Drohungen? Oder sind es rein thermische Gebilde? Wolken sind ständig in Bewegung: Das macht es schwer, sie in den Griff zu bekommen – und zugleich zu einem Sinnbild für das Gestaltlose, Ungreifbare, Begriffslose. Klaus Reichert nähert sich in seinem neuen Buch den Wolken von mehreren Seiten: der Bildenden Kunst, der Musik, der Dichtung. Durch Befragung der Meister wie u.a. Turner, Constable, Ruskin, Goethe, Ligeti, durch eigene Beobachtungen, Lektüren und Erinnerungen versucht er, ihrem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Entstanden ist ein faszinierender, zwischen Wissenschaft und Literatur changierender Text, der das Unmögliche unternimmt: das Nicht-Darstellbare darzustellen.