Zu Beginn der Party, bevor ich fünf von diesen Bechern leere, bin ich noch mein normales, nüchternes Ich: ein Körper mit einem Kopf, in dem eine kleine Diktatorin herummarschiert.
Die Diktatorin möchte mich in meine idealste Version transformieren. Rings um meinen Körper hat sie Kameras aufgestellt – die Bilder werden direkt auf die Innenseite meines Schädels projiziert. Sie verfügt auch über eine Sprechanlage, durch die sie die ganze Zeit Kritik und Befehle abfeuert.
Wenn jemand in einem Gespräch etwas Lustiges sagt, dann brüllt sie: »Jetzt musst du lachen! Aber nicht zu laut!« – noch bevor mein Mund die Chance bekommen hat, von sich aus in Aktion zu treten.
Sagt mein Gesprächspartner etwas Interessantes, so befiehlt sie prompt: »Nicken! Und stell eine höfliche Frage, die dein Interesse beweist!« Brav wiederhole ich die Frage, die sie sich ausgedacht hat.
Die Diktatorin in meinem Kopf hasst Tanzen. Jeden Tanzschritt, den ich ausprobiere, projiziert sie vergrößert auf den Bildschirm in meinem Hinterkopf, und dazu den Untertitel: »LÄCHERLICH«.
»Schau dich an«, ihre Stimme übertönt die Musik, »schau, wie du hier stehst, du plumpes Kalb!«
Erst wenn sie merkt, dass alle anderen ebenfalls tanzen und ich durch mein Stehenbleiben aus dem Rahmen zu fallen drohe, dann befiehlt sie: »Schau mal nach rechts, siehst du, wie das hübsche Mädchen neben dir tanzt? Tanz wie sie, ohne dass es auffällt!«
Nie gehe ich über die Straße, ohne von oben auf eine Lize zu schauen, die über die Straße geht und die Arme etwas vom Körper abspreizt, weil sie der Diktatorin zufolge dann weniger dick wirken.
Alkohol ist das Klebeband auf dem Mund der Diktatorin. Mit drei Gläsern, weiß ich, klebt es gerade fest genug. Ich höre noch ein bisschen Gebrummel, bin aber in der Lage, es zu ignorieren. Mein Körper ist einfach mit Reden beschäftigt, mit Lachen über das, was er lustig findet, mit Tanzen. Er glüht, wird warm. Ich trinke noch ein bisschen.
Betrunken schicke ich eine Nachricht an jemanden, den ich beruflich kenne. Ich weiß, die Diktatorin würde das missbilligen, ja sogar verbieten, aber ich hoffe, ihr das Gegenteil zu beweisen: dass Verwegenheit nichts schaden kann.
Nach einer weiteren halben Stunde Tanzen wird mein Körper allmählich müde, meine Füße schmerzen, mein Kopf wird schwer.
Ich verlasse das Gebäude, stolpere über eine Stufe, lande im Zickzack zum Hotel im richtigen Bett, ohne zu wissen, wie ich das geschafft habe. Wanke zu den Vorhängen, erschrecke über die Dunkelheit – alles dreht sich. Ich will, dass das Drehen aufhört, stoße an den Nachttisch. Ich will die Kameras wiederhaben, die Kontrolle. Ich vermisse die Diktatorin. Gehe schlafen in der Hoffnung, dass der Alkohol rasch verfliegt.
Meine Kater bestehen nie aus Kopfschmerzen und Übelkeit, aber dafür aus Scham.
Scham ist die Diktatorin, die sich, während ich schlief, das Klebeband vom Mund gepult hat, vor Wut kochend, weil ich sie ein paar Stunden lang ignoriert habe. Zur Strafe möchte sie, rückwirkend, den ganzen Abend mit mir durchgehen. Sie sieht sich die Bilder an, die noch da sind. Sie rekonstruiert die von meinem Körper geführten Gespräche, zählt laut auf, was alles falsch lief, was für eine schlechte Figur ich abgegeben habe. Sie analysiert meine lächerlichen Tanzschritte, befiehlt mir, die Nachricht an den Bekannten noch fünfmal zu lesen, bis ich einsehe, wie dumm ich mich darin anhöre. Sie zieht die Fäden besonders fest an, bis die Scham körperlich wehtut.
»Welche Farbe hatten die Wände auf dieser dämlichen Fete?«, fragt sie schließlich.
»WELCHE FARBE?«
»Schwarz?«, antworte ich unsicher.
»Richtig«, sagt die Diktatorin. »Setz dich hin. Nimm einen Stift und schreib: »Die Wände sind schwarz, und den Wein gibt es in geriffelten Plastikbechern.«
Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen

Ein Buch, das alles gibt und alles verlangt.
Mit geschlossenen Augen hätte Eva damals den Weg zu Pims Bauernhof radeln können. Sie könnte es heute noch, obwohl sie viele Jahre nicht in Bovenmeer gewesen ist. Hier wurde sie zwischen Rapsfeldern und Pferdekoppeln erwachsen. Hier liegt auch die Wurzel all ihrer aufgestauten Traurigkeit. Dreizehn Jahre nach dem Sommer, an den sie nie wieder zu denken wagte, kehrt Eva zurück in ihr Dorf – mit einem großen Eisblock im Kofferraum. Die junge Bestsellerautorin Lize Spit wagt sich mit ihrem ersten Roman »Und es schmilzt« an die Grenzen des Sagbaren.