Was für ein Jahr
Was für ein Jahr? Gefühlt besser als 2016. Es gab keinen neuen Trump, keinen zweiten Brexit, keine neue Flüchtlingskrise. Statt Le Pen gab es Macron. Das war der sonnige Höhepunkt des Jahres. Die EU ist nicht zerbrochen, sondern aus ihrer Midlife Crisis erwacht. Die Weltwirtschaft boomt geradezu, Digital first. Mein Europabuch kam rechtzeitig zur Europakonjunktur heraus. Viele von den Leuten, die vor einem Jahr noch über meinen Europaoptimismus gelacht haben, sind heute schon wieder so überoptimistisch, dass einem bange um Europa werden kann.
Trotzdem, der Trend, für den Trump und der Brexit stehen, hat sich 2017 fortgesetzt. Trump demontiert mit jedem Tag die einstmals führende westliche Demokratie und den Westen an sich. Auch wenn bisher nicht alle seine Pläne umgesetzt sind, blieb doch allerhand hängen. Ein Einreiseverbot aus muslimischen Ländern wurde verhängt, seine Steuerreform macht die Reichen noch reicher, Jerusalem ist als Hauptstadt Israels anerkannt, die USA sind aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen. Jeden Tag lügt er unverschämt, beschimpft Medien und Richter, bezeichnet Neonazis als ganz ordentliche Bürger, stänkert unverantwortlich in der Welt herum und regiert mehr über Twitter und seinen Familienclan als durch seine Regierung. Trump steht für eine andere Klimawende, eine Wende zu einem Klima von Lüge, Nationalismus, Rassismus, Nepotismus, Extravaganz und schlechtem Geschmack. Das Problem ist, dass Amerika bei vielem der Vorreiter von Entwicklungen ist, die dann im Rest der Welt kopiert werden, wie einst Freiheit, Rock 'n' Roll, Fastfood, Digitalisierung, endlose Fernsehserien, Schulmassaker, Globalisierung und Neoliberalismus. Wird sich Trump wie einst Fastfood über die ganze Welt ausbreiten?
In Osteuropa gibt es schon ein paar Trumps. Und es bildet sich eine ganz neuartige Österreich-Ungarn-Allianz heraus. Sachsen und Bayern finden darin vielleicht sogar eine attraktive Alternative zu Deutschland. Der Osten wird Europa jedenfalls in der nächsten Zeit ziemliche Bauchschmerzen bereiten. Kann man das mit einer Rohkost-Diät angehen, oder mit Beruhigungspillen oder braucht es Omas gutes altes Abführmittel?
Brexit hat 2017 gewankt, aber er ist nicht gefallen. Egal ob die britische Premierministerin eine sicher geglaubte Abstimmung über sich und den Brexit ganz ordentlich vergeigt hat, ihre Minister sich dauernd als inkompetent, machtgierig, sexistisch und korrupt outen und die britischen Banken Asyl in Frankfurt und Paris suchen, Brexit wird umgesetzt, egal auf welche Kosten. Aber 2018 könnte eine neue europäische Bewegung in Großbritannien entstehen, vielleicht sogar eine britische Europa-Partei. Why not? Immerhin war es ja Churchill, der einst die Vereinigten Staaten von Europa ausgerufen hat und nicht Schulz.
Apropos Schulz, in Deutschland ist Frau Merkel nicht mehr alternativlos, was okay wäre, wenn es eine gute Alternative gäbe. Deshalb macht sie wahrscheinlich weiter, mit einer neuen Regierung oder auch ohne. Wenn der Schulz erst nach der Wahl erkennt, wofür er wirklich steht, dann kann man ihm jedenfalls nicht Deutschland anvertrauen.
Wenn es dann irgendwann mal eine neue Merkel-Regierung gibt, sollte die sich an den Macron-Effekt ranhängen und mit unverschämtem Optimismus Europa gestalten, statt immer nur zu kritisieren, was die anderen alles falsch machen. So kann man etwas ganz Konkretes tun, damit sich Trumps Fastfood-Nationalismus nicht weiter in Europa und der Welt verbreitet.
And one more thing, Digital ist zwar first was unsere Aufmerksamkeit, unsere persönlichen Daten, staatliche Überwachung und private Profite angeht, aber es formt sich eine Gegenbewegung. Europa fängt an, Big Data Business zu regulieren und fällige Steuern einzufordern. Der Sinn von künstlicher Intelligenz wird hinterfragt und Obergrenzen eingefordert. Eine analoge Gegenbewegung formt sich in Hipster-Cafés, Kneipen, Klubs, Literatur und Schulen. Sogar Facebook hat jetzt schon ein Analog-Lab. Ist 2018 das Jahr, in dem wir anfangen werden, die realen Risiken und Nebenwirkungen des Digitalwandels ernstzunehmen?
Was für ein Jahr wird 2018? Ich habe auch keine Ahnung. Was ich mir wünsche, ist ein Europa, das sich an Macrons Mut ein Beispiel nimmt und mit Selbstvertrauen und Optimismus seine Zukunft gestaltet, statt immer nur pessimistisch die Realitäten zu analysieren, die gerade wieder von anderen geschaffen werden. Ich wünsche mir, dass die Amerikaner Trump abschütteln und dann wieder ein Modell für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und vielleicht sogar guten Geschmack werden. Ich wünsche mir, dass eine neue europäische Bürgerbewegung in Großbritannien entsteht und vielleicht sogar eine Inspiration für ganz Europa wird. Ich wünsche mir, dass Menschen wieder zuerst selbst denken und dann »Digital« machen, und nicht umgekehrt. Ich wünsche mir, dass Leute meine Bücher lesen und diese in andere Sprachen übersetzt werden. Und mehr Zeit für Yoga und Skat, wünsche ich mir. Zumindest bei letzteren bin ich mir sicher: Wir schaffen das.
Happy New Year!

Andre Wilkens, bekannt durch seinen Bestseller ›Analog ist das neue Bio‹, hat ein kluges, witziges und optimistisches Buch zu Europa geschrieben: ›Der diskrete Charme der Bürokratie. Gute Nachrichten aus Europa‹.
Wir haben Europa viel zu verdanken: Freiheit, positive Utopien, grenzenloses Reisen. Andre Wilkens erzählt die Geschichten dazu. Von Europa, von Menschen in Europa, von sich selbst. Nicht abstrakt, sondern selbst erlebt. Es geht um Fußball, Musik, Architektur und vieles mehr – selbst Habermas und Angelina Jolie kommen zu Wort. Denn Europa muss neu erzählt werden, besser, spannender, moderner, persönlicher, im Guten wie im Bösen, mit Höhen und Tiefen. Mit all den Zutaten eben, die gute Storys auszeichnen.
Ein wichtiger Beitrag zur Europa-Debatte – informativ und kurzweilig.