
Mit diesem Porträt von Richard Strauss und seiner Frau Pauline begann die Idee, einen Film zu machen. Bevor ich mich eingehender mit Strauss’ Biografie beschäftigte, hatte ich beim Stichwort Strauss vor allem Erinnerungen an unvergesslich intensive Opernabende im Kopf: Die verführerische Salome, die zu verstörenden Klängen das abgeschlagene Haupt des Täufers liebkost, Elektra, die vom unstillbaren Hass getrieben wird, ihre eigene Mutter zu ermorden, die alternde Marschallin, die am Ende des ›Rosenkavaliers‹ so ergreifend auf ihren Octavian verzichtet – um es kurz zu machen: In fast allen seiner fünfzehn Opern hat Strauss großartige und psychologisch fein ausgeleuchtete weibliche Hauptfiguren geschaffen. Ein Frauenversteher. Aber wendet man sich dann seinem Leben zu, ist man überrascht: Über ein halbes Jahrhundert lang waren Richard und Pauline glücklich verheiratet, lebten einigermaßen spießig in einem bayerischen Dorf, keine Affären, keine Kräche, stattdessen eine Ehe, in der meistens Pauline die Hosen anhatte. Woher nahm Richard Strauss die Inspiration für seine Frauenfiguren? Wie aktuell waren diese Rollen in ihrer Zeit, änderte sich doch am Anfang des 20. Jahrhunderts das Bild der Frau radikal? Und was war das Geheimnis dieser Pauline, von der man immer nur hört, dass sie eine rechte Xanthippe war, und für die Strauss doch am Ende seines Lebens die schönste Liebeserklärung schrieb, die man sich denken kann, das Lied ›Im Abendrot‹: »Wir sind durch Not und Freude / gegangen Hand in Hand …?«

Ein Besuch bei Strauss’ letzten lebenden Enkel, dem über 80jährigen Christian, in der Villa seines Großvaters, die nicht öffentlich zugänglich ist. Als sich die schmiedeeisernen Tore öffnen und wir wenig später im Eingangsbereich stehen, bekommt das Rätsel Strauss eine weitere Facette: Wie kann man in so einem Haus, das auf bedrückende Weise vollgestopft ist mit bayerischer Sakralkunst und Jagdtrophäen, noch dazu hinter vergitterten Fenstern, Opern wie den ›Rosenkavalier‹ oder ›Die Frau ohne Schatten‹ schreiben? Es wird ein denkwürdiger Vormittag mit Christian Strauss, voller Anekdoten und Geschichten. Die beiden berührendsten: Als die Amerikaner 1945 vor der Garmischer Villa stehen und Strauss’ Sohn seinem 81jährigen Vater schonend beizubringen versucht, dass sie nun das Gebäude räumen müssten, erwidert der: »Das werden wir schon sehen!«, humpelt zur Tür und herrscht die GIs auf Englisch an, er sei der Komponist der ›Salome‹ und des ›Rosenkavaliers‹. Und er bleibe! Basta! (Glücklicherweise kannte der amerikanische Hauptmann Strauss’ Musik). Und dann, ebenso bewegend, wie Christian Strauss die Bedeutung seiner Großmutter für seinen Großvater beschreibt: »Der Großpapa wäre nicht vorstellbar ohne die Pauline. Sie war seine Muse, seine Geliebte, seine Feindin, sie war eigentlich alles, und hat ihn unglaublich beschützt und bewahrt vor Äußerlichkeiten. Und hat ihn auch vor sich selbst bewahrt. Er wäre eher der Typ, der dann sitzenbleibt oder auch eine ganze Schachtel Zigaretten raucht, zu viele Süßigkeiten isst, im Alter natürlich. Sie war da wie ein Cerberus, aber in Liebe. Sie wird sehr verkannt, die Frau.«
Hausbesuch in einem Vorort von Wien bei einer der berühmtesten Strauss-Sängerinnen, Christa Ludwig. Strauss, der Komponist, den die Sängerinnen lieben. Ich werde später noch Brigitte Fassbaender, Renée Fleming und Dame Gwyneth Jones interviewen, jede von ihnen wunderbare, einzigartige Strauss-Interpretinnen; aber vielleicht ist der Humor und die Leichtigkeit, mit der die 86jährige Christa Ludwig über ihre Liebe zu Strauss spricht, am eindrucksvollsten – und darüber, was es für eine Sängerin bedeutet, Strauss zu singen. ›Die Frau ohne Schatten‹ zum Beispiel. 1966 sang Walter Berry, Ludwigs damaliger Mann, den Färber, sie die Färberin, ihr Debüt an der Metropolitan Opera, ein Triumph. Jahre später sollte sie noch einmal mit Berry in derselben Rolle singen, von dem sie mittlerweile geschieden war – und brachte die Liebesszene nicht mehr über sich. Wie Strauss (und Hofmannsthal, sein Librettist) eine Sängerin begleiten können, vom Beginn ihrer Karriere bis zum Ende, davon erzählt Ludwig zum Abschluss des Interviews: Nein, sie singe nicht mehr, auch nicht privat, sie vermisse es überhaupt nicht; aber an ihre Lieblingsrolle, die Marschallin, müsse sie oft denken. »Schauen Sie, wenn sie da redet über ihr Alter und sie sagt: ›Ich bin doch immer die gleiche geblieben. Die kleine Resi. Ich bin doch immer die gleiche. Wie macht denn das der liebe Gott?‹ Und dann kommt sie zum Schluss, dass man dazu da ist, ›dass man’s erträgt‹. Und in dem WIE, da liegt der ganze Unterschied. Sehen Sie, ich bin jetzt auch alt, und in dem WIE, da liegt der Unterschied zu anderen, die nicht so denken.«
Schnitt in Berlin. Über ein Jahr Dreh, zig Stunden Material, aus dem 52 Minuten werden sollen. Eine Dramaturgie für ein Leben finden, für eine Ehe. Für eine Epoche. Zum xten Mal den Schluss des ›Rosenkavaliers‹ hören. Wie alle im Schneideraum verstummen. Lauschen.

Risiken abzusichern ist ihr Geschäft. Doch sie verstrickt sich in Unsicherheiten, trügerische Phantasien und Ängste. Brillant, packend und raffiniert erzählt Thomas von Steinaeckers großer Zeitroman von unserer Welt, in der alle Sicherheiten endgültig abhanden gekommen sind und unsere Sehnsüchte in die Irre führen. Ein schlau-präzises und gespenstisch-surreales Porträt unserer Gegenwart.