Comic

Ermittlung mit Geschmack

Wer wäre für Ermittlungen in dieser Szene besser geeignet als einer, dessen Geschmacksknospen die Funktionen eines Echolots besitzen, wenn es darum geht, Verbrecher zu finden und Tatorte aufzuspüren. Tony Chu wird daher in die Sondereinheit für Nahrungsmittelverbrechen bei der amerikanischen Lebensmittelaufsicht (FDA) berufen, die unter den Vorzeichen der »Geflügel-Prohibition« zur weltweit größten Ermittlungsbehörde ausgebaut wurde. Dort arbeitet Chu mit dem abgeklärten Mason Savoy zusammen, der ebenfalls cibopathische Eigenschaften besitzt und Tony in die Feinheiten der gustatorischen Ermittlungsarbeit einführt. Allerdings steht Savoy mit einem Bein in der Schattenwelt des Verbrechens, so dass die gemeinsamen Ermittlungen im Fall eines ermordeten Hygiene-Inspektors manch überraschende Wendung nimmt und aus dem Ermittlerteam Savoy-Chu erbitterte Feinde werden. Ihnen in den Weg stellen sich Guerilla- und Untergrund-Gruppen mit Namen wie E.G.G. (egg, zu dt.: Ei) und Food-Crime (dt.: Nahrungskriminalität), dubiose Wissenschaftler und andere Fleischfanatiker.

Der Fanatismus findet hier aber nicht nur auf Seiten des Verbrechens statt, sondern auch bei den Gesetzeshütern. Die Art und Weise der Überwachung erinnert nicht zufällig an George Orwell und seinen Big Brother, das doktrinäre Hühnerverbot im Namen des Gesundheitsschutzes greift die Kritik des Briten an Obrigkeitsstaat und Diktatur auf.

Tony Chu ist in dieser Welt zweifelsohne ein komischer Kauz. Von einer seltenen Pedanterie ergriffen will er den Lesern nicht wirklich sympathisch werden. Es bleibt immer eine Distanz zwischen diesem in sich gekehrten, hageren Ermittler – sicher auch, weil man als Leser nicht mit ihm und tauschen möchte. Wer will schon gern von seinen Kollegen dazu aufgefordert werden, fremdes Blut zu lecken, um bei den Ermittlungen mal voranzukommen? Das -path des Cibopathen mag bei vielen Lesern – nicht ganz unabsichtlich – die morphologische Analogie zum Psycho-path-en aufrufen, damit erschließt sich aber nur ein Teil des Tony Chu. Ein nicht zu vernachlässigender Anteil seines Charakters besteht in der Em-path-ie, dem Mitgefühl für seine Umwelt. Auch daraus erklärt sich seine vegetarische Haltung.

Im zweiten Band der Serie setzt sich eine Geschichte fort, die im ersten Band nur am Rande stattfand. Die Gourmetjournalistin Amelia Mintz, hier Saboskriptikerin (hier scheint sich die Wortbildung an das lateinische sapio, zu dt.: schmecken, riechen, Geschmack empfinden anzulehnen), in die sich Tony Chu aufgrund ihrer Kritiken verliebt hat, wird dort in einem Flugzeug von einer unscheinbaren Gestalt entführt. Diese unscheinbare Gestalt ist der Gouverneur des Inselstaats Yamapalü, der unter den Vorzeichen der Hühner-Prohibition eine Frucht entwickelt, die nach Huhn schmecken soll. Die Gallusbeere (gallus, dt.: der Hahn), eine transgenetische Kreation aus Tintenfisch und Ananas, ist noch im Entwicklungsstadium und Amelia Mintz soll als Restaurantkritikerin die Schwachstellen der Beere finden. Und ausgerechnet Tony Chus Bruder Chow, ein renommierter Spitzenkoch, soll ihr Gerichte aus dieser Beere kochen.

Der Herkunft dieser in den USA angekommenen Beere geht auch Tony Chu nach. Dabei begegnet ihm die Top-Agentin des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums Lin Sae Woo, die unter mysteriösen Umständen ums Leben kommt. Logisch, dass sich Chu auch dieses Mordes annimmt. Unterstützung erhält er dabei von dem Polizeichef der Insel, Raymond Kolulu, der einem in die Jahre gekommenen Rocker gleicht.

Auch in CHEW 2, der unter dem Titel Reif für die Insel erschienen ist, mangelt es nicht an blutigen Szenen, zumal hier noch ein seltsamer Vampir sein Unwesen treibt. Zuweilen ist man als Leser durchaus der Meinung, dass das nun etwas viel des Guten ist. Geschmacksermittler, Fleischgurus, Blutsauger – kaum ein pseudoreligiöses, sektiererisches Phänomen findet hier nicht statt. Layman und Guillory bedienen sich dieser gesellschaftlichen Idiotien, weil sie perfekt in diese düstere und gewalttätige Scheinwelt der Doppelmoral passen, die ebenso die Nahrungsmittelindustrie wie auch die orwellschen Strukturen so manches Obrigkeitsstaats unter den Vorzeichen der internationalen Paranoia prägen.

CHEW ist nichts für schwache Gemüter. Die Serie fordert ebenso ein politisch-kritisches Bewusstsein wie auch die Fähigkeit, Ironie – auch in drastischen Strichen – zu verstehen. Daher ist diese Serie Nichts für Kinderhände, sondern eher Jugendlichen und jungen Erwachsenen ab 15 Jahren zu empfehlen. Sie enthält die typischen Elemente der Action- und Superheldencomics, hat aber durch den thematischen Anstrich durchaus einen aufklärerischen Charakter. Vielleicht erklärt sich gerade darin ihr Erfolg.

Nachtrag: Noch vor Weihnachten erscheint der dritte Band der Reihe unter dem Titel Eiskalt serviert in Deutschland. Darin treffen die einstigen Partner Mason Savoy und Tony Chu wieder aufeinander. Ein cibopathisches Duell nimmt seinen Lauf. Eines kann schon vorweg gesagt werden. Die gustatorischen Abenteuer des Tony Chu sind auch nach Teil drei noch nicht an ihrem Ende angelangt.

chew-bulle-mit-biss-1-leichenschmaus-7ebe0eefJohn Layman & Rob Guillory: CHEW. Bulle mit Biss! Leichenschmaus

Cross Cult 2011

128 Seiten. 16,80 Euro

Hier bestellen

 

 

chew-bulle-mit-biss-2-reif-fuer-die-insel-a9c6e3e4John Layman & Rob Guillory: CHEW. Bulle mit Biss! Reif für die Insel

Cross Cult 2011

128 Seiten. 16,80 Euro

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chew-bulle-mit-biss-3-eiskalt-serviert-a396dd58John Layman & Rob Guillory: CHEW. Bulle mit Biss! Eiskalt serviert

Cross Cult 2011

128 Seiten. 16,80 Euro

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