Comic

Erotik im Comic ­– Ein Versuch, das Ungreifbare zu greifen

Ein unterschätztes Genre

Man müsste Seiten füllen, um der vielfältigen Welt der Erotik- und Sex-Manga auch nur annähernd gerecht zu werden. Oft tragen die deutschen Erscheinungen so plakative Titel wie Schulmädchenreport oder HighSchool DxD, Gezieltes Verlangen oder Vernasch mich, Hungry Hearts oder Sex-Philes oder Der beste Liebhaber oder Manga Love Story. Davon darf man sich nicht abschrecken lassen, um Augenöffner wie Shinagowa oder Furious Love von Kazuo Kamimura zu entdecken. Der Großmeister des Sex-Mangas ist aber zweifellos Gengoroh Tagame, seine Gay-Mangas Strotzen vor Testosteron und Virilität.

Der deutsche Antityp zu Tagame ist Ralf König mit seinen allzeit bereiten, ironisch gezeichneten Muskelprotzen. Wenn es einen deutschen Comicautoren gab, den man mit der Befreiung des Erotischen und der Sexualität aus der protestantischen Prüderie der Nachkriegsgeneration in Verbindung bringen kann, dann ihn. Grundsätzlich ist die deutsche Comicszene aber schwach aufgestellt, wenn es um Erotik oder Sexualität geht. Die meisten der freizügigen Alben deutscher Autoren sind wie die Porno-Reihe Alraune von Toni Greis und Rochus Hahn so klischee- und männerphantasiebehaftet, dass man geneigt ist, sie sofort wegzulegen, kaum dass man danach gegriffen. Aber auch in Sanni Kentopfs aus weiblicher Sicht geschriebene Erzählung Honigfeigen bleiben die Figuren steif und ohne Entwicklung.

Gengeroh Tagame

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© Gengeroh Tagame

Wer auf- und anregende, verspielte und experimentierfreudige Text-Bild-Erotika von deutschen Autoren sucht, greife zur Indipendent-Anthologie Bettgeschichten. In der von Reinhard Kleist und Naomie Fearn herausgegebenen Geschichtensammlung wechseln nicht nur weibliche und männliche Perspektiven, sondern auch sexuelle Orientierungen und Gelüste in einem kunterbunten Reigen aus Slapstick, Märchen und Halbrealem. Maria Hens im Frühjahr publizierte Geschichte Das Schwein ist eine Art Epilog zu diesem leider ausverkauften Füllhorn an Lieb- und Leidenschaften, in den auch Ulli Lusts Selbsterfahrungs-Reportage aus dem Berliner Kit-Kat-Club hineingepasst hätte. In Es war ein ganz zauberhafter Abend, Liebling, erschienen im Strapazin-Magazin #106, hat sich die Wahlberlinerin als Teil des lustvollen Treibens in dem berüchtigten Klub, der sich dem Hochleben des Hedonismus verschrieben hat, inszeniert – neugierig, ironisch und gelassen.

Genau darin liegt das Geheimnis erotischer Comics: sie dürfen sich nicht zu ernst nehmen. Die Alben, in denen sich aalglatte Protagonisten mit pennälerhaftem Stellungswechsel dem Höhepunkt entgegenkeuchen und die absolute Nacktheit zum Tempel der Lust erklärt wird, lassen kalt. Erotische Comics müssen sich wie die Erotik selbst etwas Ungreifbares bewahren, und damit das Gegenteil des Expliziten.

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Dieser Beitrag erschien in ähnlicher Form im Comicmagazin ALFONZ 2-2014

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