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Paul Gauguin und der Sehnsuchtsort Südsee

Es ist das Ursprüngliche, das Gauguin in der Südsee vermutet, die damalige ethnografische Forschung hat die Angst vor dem Ungewissen genommen und die Neugier auf das Unbekannte geweckt. 1891 wandert er ein erstes Mal nach Tahiti aus. Doch statt des unberührten Paradieses, in dem er sich – von der wilden Natur inspiriert – weiterentwickeln kann, findet er einen weitgehend kolonialisierten, christianisierten und entzauberten »Sehnsuchtsort« vor. Sein Gemälde Ta matete von 1892 zeigt zwar einheimische Frauen, aber sie sind aller Traditionen beraubt. Nur noch eine von sechs abgebildeten Schönheiten trägt die traditionelle Kleidung der Einheimischen, während die fünf auf einer Bank angeordneten Frauen zwar bunte, aber züchtig zugeknöpfte Missionarskleider tragen. Viele seiner farbenprächtigen, naiv-mythisch aufgeladenen Gemälde zeigen eher das, was Gauguin in der Südsee vorzufinden erhoffte: junge Tahitianerinnen in einer unberührten Tropenlandschaft. Gemeint sind hier etwa die Idylle der ursprünglichen Dorfgemeinschaft auf Te raau rahi von 1891 oder die Konfrontation von Tradition und einfallender Moderne auf Nafea faaipoipo von 1892.

Vor allem die Naturmythologie Tahitis hatte es Paul Gauguin angetan. Die malerische Verarbeitung dieses Naturglaubens findet sich etwa auf dem Gemälde Hina Te Fatu von 1893 wieder, das die nackte Göttin Hina vor einer fast surreal anmutenden Naturlandschaft zeigt, aus deren Hintergrund uns ihr Sohn und Gott der Erde Fatu anschaut. Zentral für die Auseinandersetzung mit der maorischen Kultur ist Gauguins monumentales Gemälde D’où venons-nous? Que sommes-nous? Où allons-nous?, das er in den Jahren 1897-98, also während seines zweiten, finalen Tahiti-Aufenthalts angefertigt hat. Das sechs Meter breite und über zwei Meter hohe Gemälde bildet das Herzstück der Ausstellung. Es zeigt verschiedene Szenen eines Lebens und damit nicht nur den ewigen Kreislauf des Lebens, sondern bildet das Verhältnis des Menschen zur Natur und der Welt ab. In den oberen Ecken ist erkennbar, dass es auf einem goldenen Grund angefertigt wurde, unter der symbolisch vollen Oberfläche befindet sich also eine noch in die Tiefe gehende Symbolik.

Diese wird auf dem Gemälde Rupe Rupe sichtbar, das Gauguin ein Jahr später angefertigt hat und das einen Saal weiter seinen Platz gefunden hat. Zu sehen sind drei Frauenfiguren in einer paradiesischen Landschaft auf goldfarbenem Grund – Mensch und Natur ergeben hier ein harmonisches Ganzes. Im selben Jahr schrieb Gauguin in einem Brief an seinen Freund André Fontaines: »Sinnenreizende Gestalten stehen da, unbeweglich wie Statuen. Im Rhythmus ihrer Gebärden, selbst in ihrer Regungslosigkeit, offenbart sich Uraltes, Erhabenes – Religion. In ihren verschleierten, träumenden Augen – ein unergründliches Rätsel.« Tatsächlich bieten die Augen der von Gauguin gemalten Menschen Anlass zu rätseln. Ihr Blick zielt immer in die Ferne oder ins Leere. Was dort die unberührte Kindfrau Judith, Faaturuma, Madeleine Bernard oder das junge Mädchen Vaïte Goupil sehen, bleibt ihr Geheimnis. Vielleicht ist es der wehmütige Blick dahin, wo Gauguin selbst das Paradies vermutet, aber eine Kolonie des europäischen Hochmuts vorgefunden hatte.

Installationsansicht der Ausstellung « Paul Gauguin » 1

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Installationsansicht der Ausstellung « Paul Gauguin », Fondation Beyeler, Riehen/Basel, 2015, mit den Werken: Aita tamari vahine Judith te parari (La femme-enfant Judith n’est pas encore dépucelée), 1893/94; Portrait de jeune fille (Vaïte Goupil), 1896; Madeleine Bernard, recto: La Rivière blanche, 1888; Faaturuma (Boudeuse), 1891 Privatsammlung; Ordrupgaard, Charlottenlund/Kopenhagen; Musée de Grenoble; The Nelson-Atkins Museum of Art, Kansas City, Ankauf durch den Nelson Trust | Foto: Mark Niedermann

Und doch ließ ihn die Südsee nicht mehr los. Nachdem er Tahiti vor allem aus finanziellen und gesundheitlichen Gründen 1893 verlassen hatte, brach er schon im Sommer 1895 erneut in die Südsee auf. Der Pariser Hektik entkommen, stellte er schon kurz nach seiner Ankunft fest: »Hier in der Einsamkeit kann man wieder erstarken. Hier löst sich die Poesie von ganz allein.« Doch alle Idylle kann von den finanziellen Nöten nicht ablenken. Enttäuscht vom ausbleibenden künstlerischen Durchbruch und schwer getroffen vom frühen Tod seiner Tochter Aline unternahm er 1898 einen Selbstmordversuch, von dem er sich nie mehr wirklich erholen sollte. Seine in intensive Rot-, Gelb und Grüntöne getauchten Gemälde während seines zweiten Tahiti-Aufenthalts haben nun einen nahezu gleichnishaften Charakter. Sie erzählen, zahlreiche Geschichten und Mythen der Region aufgreifend, vom einträchtigen Miteinander von Mensch und Natur und transportieren dabei vor allem Gauguins Vorstellung eines paradiesischen Lebens, in dem die Natur das göttliche Dasein des Menschen einfasst und rahmt, ja fast inszeniert (Le Cheval blanc, 1898).

Aber in den Verhältnissen auf dem zunehmend europäisierten Tahiti fühlte sich Gauguin unwohl, weshalb er im Herbst 1901 auf die 1500 Kilometer entfernte polynesische Insel Hiva Oa übersiedelte, wo er seine letzten Lebensjahre verbrachte. Auf den ausgestellten, dort entstandenen Gemälden wird zum einen Gauguins beißende Kritik an der Kolonialpolitik Frankreichs (Femme à l’éventail, 1902) sowie die Zerstörung des Paradieses (Cavaliers sur la plage, 1902) sichtbar, indem er entweder die französischen Farben explizit sichtbar machte oder aber stilistisch auf die Kolonialherren anspielte. Die Bilder zeigen auch seine Angst vor dem nahenden Tod, die Gauguin immer wieder im Alkohol zu ertränken versuchte. In Contes Barbares von 1902 zeigt er im Vordergrund das Mädchen Tohotaua, das sich auch auf anderen seiner Gemälden findet sowie eine in buddhistischer Manier sitzende Einheimische. Im Hintergrund hockt teufelsgleich der Maler Jacob Meyer de Haan, der Gauguin ursprünglich in die Südsee begleiten wollte, zu dem Zeitpunkt aber bereits gestorben war. Er symbolisiert den nahenden Dämon Tod, der Paul Gauguin am 8. Mai 1903 im Alter von 54 Jahren ereilen sollte.

Wenn man die Ausstellung verlässt, läuft man an einem der letzten Selbstporträts von 1903 vorbei, dass einen stolzen, aber auch desillusionierten, melancholisch ins Leere blickenden Künstler zeigt. Wie die Frauen auf seinen Bildern, hoffnungsvoll oder furchtsam ahnend, dass unter der Oberfläche mehr ist, als das, was man auf ihr sieht. »Die Malerei ist wie der Mensch: sterblich, aber stets lebendig im Kampf mit der Materie.« Von diesem Kampf mit der Materie, aber vor allem dem inneren Kampf Paul Gauguins mit den Geistern, die er rief, erzählt die Werkschau in Riehen bei Basel, die dort noch bis zum 28. Juni zu sehen ist (alle weiteren Informationen finden Sie hier). Der prächtig bebilderte, das Werk einordnende und darüber hinausführende Ausstellungskatalog ist bei Hatje Cantz erschienen.

WEB_00003958Hrsg. Fondation Beyeler, Riehen/Basel, Raphaël Bouvier, Martin Schwander: Paul Gauguin

Texte von Raphaël Bouvier, Isabelle Cahn, Lukas Gloor, Gloria Groom, Sam Keller, Martin Schwander, Alastair Wright, Gestaltung von Hans Werner Holzwarth

Hatje Cantz Verlag 2015

230 Seiten. 160 Abb. 68,- Euro

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