Kein Thema bewegt die Deutschen derzeit so sehr wie die Einwanderung. In den hitzigen Debatten lösen Mythen und Legenden zunehmend die Fakten ab. Aktuelle Bücher bieten nun die Gelegenheit, sich mit der Wirklichkeit in Deutschland und der an den Grenzen Europas zu konfrontieren.
»Die deutsche Bevölkerung ist zunehmend verunsichert angesichts einer ständigen ungeregelten Zuwanderung, für deren Bewältigung sie kein politisches Konzept erkennen kann. Die sich daraus ergebenden Ängste schlagen sich – wie aus meinem Briefeingang hervorgeht – nicht selten in mehr oder weniger heftigen Beschuldigungen gegen die Ausländer nieder und belasten damit die Stimmung auf beiden Seiten. Die Gefahr der Eskalation ist nicht von der Hand zu weisen.« Diese alarmierenden Worte schrieb die FDP-Politikerin Lieselotte Funcke an Helmut Kohl, als sie im Juni 1991 nach mehr als zehn Jahren frustriert von ihrem Amt zurücktrat.
Es ist beschämend, dass Funckes Mahnung heute noch genauso aktuell ist wie vor 25 Jahren. Damals war von »Ausländerschwemme« und »Asyltourismus« die Rede, heute schwadronieren die geistigen Brandstifter der Republik von der angeblichen »Armutszuwanderung«, stempeln Schutzsuchende als »Wirtschaftsflüchtlinge« ab und geißeln den »massenhaftem Asylmissbrauch«, den sie dort ausmachen. Die gesellschaftliche Stimmung beim Thema »Einwanderung und Asyl« ist vergiftet, daran ändern auch leider die vielen Helfer nichts, die in den Kommunen helfen, Schutzsuchende willkommen zu heißen. Verantwortlich dafür sind auch Politiker der etablierten Parteien, die diese Vorwürfe anführen und damit die nationalchauvinistischen und menschenfeindlichen Töne hoffähig machen, derer sich PEGIDA und Co. bedienen. Sie tragen mit dazu bei, dass die Hemmschwelle der Enttäuschten und Frustrierten sinkt, ihrem Unbill vor Flüchtlingskundgebungen lautstark Luft zu machen oder gar zu drastischeren Maßnahmen zu greifen. Wir können die Augen nicht verschließen, vor und in den Unterkünften von Schutzsuchenden brennt es wieder.
Während die Existenznot der Schutzsuchenden so sichtbar wie noch nie ist, wächst die Wut, die ihnen hierzulande entgegenschlägt. Es ist die Wut der Zukurzgekommenen, die nun die Angst verfolgt, eine Gruppe noch bedürftigerer Menschen vorgesetzt zu bekommen. Viele Fragen, die sich im Kontext der Ausländerpolitik stellen, seien deshalb soziale Fragen, die die gesamte Gesellschaft betreffen, schreibt Karl-Heinz Meier-Braun in seiner Faktensammlung Die 101 wichtigsten Fragen zum Thema Einwanderung und Asyl. In diesem gibt er Antworten auf Fragen wie »Werden in Zukunft mehr Flüchtlinge und Migranten zu uns kommen?« »Findet eine Einwanderung in die Sozialsysteme statt?« »Brauchen wir ein Einwanderungsgesetz?« Oder: »Wird Deutschland islamisiert?« Es seien die ausbleibenden Antworten der Politik auf diese und andere Fragen, die die Gemüter in Deutschland derzeit so erregen würden, schreibt er im Vorwort zu seinem Buch. Darin präsentiert er viele Daten und Fakten, zur dringend benötigten Versachlichung der Diskussionen beitragen.
Karl-Heinz Meier-Braun ist hauptberuflich Leiter der Redaktion von SWR International und Integrationsbeauftragter des Südwestrundfunks, ehrenamtlich ist er im Vorstand vom Rat für Migration und im Redaktionsbeirat der Zeitschrift Kulturaustausch aktiv. Er bringt also ausreichend Expertise im Themenfeld mit. Diese fließt auch erkennbar ein, wenn er mit wenigen Sätzen erklärt, was sich hinter Begriffen wie Migrationshintergrund, Duldung oder zirkuläre Migration verbirgt oder er auf drei Seiten erklärt, welche Etappen ein Asylantrag durchläuft, worum es beim »Kopftuchstreit« geht oder warum die »Sarrazin-Debatte« Deutschland geschadet hat. Ob Fragen wie »Hatte Goethe türkische Vorfahren?« (Ja) oder »Ist die multikulturelle Gesellschaft tot?« (Nein) zu den 101 dringendsten gehören, darf man angesichts der Abwesenheit von Schlagwörtern wie Racial Profiling oder der Frage, warum die Behörden bei der Versorgung der Schutzsuchenden eigentlich derart versagen, sicherlich anzweifeln. Aber in seinen Antworten macht der Autor deutlich, dass eine Kulturgesellschaft mehr als eine kulturelle Strömung braucht und Vielfalt zur Kultur gehört.
Angesichts der sich überschlagenden Kontroversen, Gesetzesinitiativen und politisch-administrativen Anpassungsmaßnahmen auf den verschiedenen Ebenen einen morgen noch relevanten Überblicksband zum Thema »Einwanderung und Asyl« zu schreiben ist eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Meier-Braun bewältigt diese souverän, wenngleich angesichts der gebotenen Kürze nicht ohne Schwächen und Lücken. So verleitet ihn die Pflicht zur Klarheit zur problematischen Verkürzung der Fakten bei einzelnen Fragen – etwa wenn er die höhere Erwerbslosigkeit unter Migranten anspricht, ohne auf die deutlich stärkere Diskriminierung von Migranten im Bewerbungsverfahren und am Arbeitsmarkt einzugehen. Und bei aller Objektivität wünscht man sich eine klarere Positionierung bei der Ausrichtung von Frontex als »Grenzschutz«-Agentur oder dem politischen Geschacher um die sogenannten sicheren Herkunftsstaaten.
Vor dem Hintergrund, einen für sich sprechenden Faktenband zu Einwanderungs- und Asylfragen vorzulegen, hat Meier-Braun aber auch eine Menge richtig gemacht. Sein Buch ist von einer bestechenden Aktualität, selbst das erst am 2. Juli im Bundestag verabschiedete »Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung« hat hier schon Reflektion gefunden. Die historische Einordnung des gegenwärtigen Migrationsgeschehens – ob bei der deutschen Auswanderungsgeschichte oder der Entwicklung der weltweiten Flüchtlingszahlen – macht dem alarmierenden Sensationalismus von Medien, Behörden und Politik ein Ende und ermöglicht die sachliche Analyse. Aufmerksame Leser werden zwischen den Zeilen immer wieder ethische Einordnungen der Fakten finden, etwa wenn der Autor bei der Zahl der Flüchtlinge weltweit von einer »traurige Rekordmarke« spricht oder den »Mythos der Armutsmigration« aufdeckt. Und wenn er Flüchtlinge als »Menschen, die vor Kriegen fliehen oder ihre Heimat aus anderen Notlagen heraus verlassen müsse und in einem anderen Land Schutz und Zuflucht suchen« definiert und nicht auf den sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention ableitenden Rechtsbegriff eingeht, ist das ein fachlicher Lapsus, den er aber möglicherweise dezidiert gewählt hat, um den Betroffenen und deren Notlage Raum zu geben.
[…] hinein – womit es dann schon wieder seinen Zweck erfüllt. Denn natürlich haben die vielen Flüchtlinge, die nach Europa kommen, auch ein Recht auf Glück, für viele wird die Abwesenheit dieses Glücks auch ein Grund sein, […]
[…] Außengrenzen fernhalten. Aufgenommen wurde dieses bleibende Bild im Hafen von Lampedusa, einem Hotspot der Einwanderung nach Europa. Es ist zentral in Gianfranco Rosis famosem Wettbewerbsbeitrag, dem Dokumentarfilm Fuocoammare. Der […]