Das Ende einer französischen Mär

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Das Ende einer französischen Mär

Von Ulrich Meister, 02.02.2012

Ulrich Meister, Paris In der Auseinandersetzung über die Nuklearenergie - Ausstieg, Reduktion oder Bau neuer Sicherheitsreaktoren - haben alle französischen Regierungen, linke und rechte, immer argumentiert, dass der Atomstrom die billigste Energie sei und Frankreich dank seiner 58 Reaktoren die günstigsten Strompreise anbiete. Es war eine Mär.

Ein Gutachten des staatlichen Rechnungshofes in Paris hat nun dieser Mär ein Ende bereitet. Das Gegenteil wird der Fall sein: Die Kosten für Atomstrom werden in den nächsten Jahrzehnten stark ansteigen, während bei alternativer Energie mit zunehmender Amortisierung Kostensenkungen denkbar sind.

Extrem teuer käme aber auch eine Reduktion der Atomenergie zu stehen, geschweige denn der Ausstieg, den in Frankreich ausser den Grünen niemand fordert. Das Kommissariat für Atomenergie schätzt die Aufwendungen für den Ausstieg auf 530 bis 772 Milliarden Euro, das Dreifache dessen, was seit den sechziger Jahren an Investitionen für die Nuklearenergie aufgewendet wurde, nämlich 228 Milliarden Euro. Nicht mit eingerechnet sind dabei die Verluste von Arbeitsplätzen, welche das EDF, die staatliche Elektrizitätsgesellschaft, auf 1 Million bezifferte. Diese Zahlen sind, vor allem wenn sie von interessierter Seite kommen, zwar mit höchster Vorsicht zu geniessen, geben aber doch den Eindruck einer respektablen Grössenordnung. Zuverlässige Kostenvoranschläge über die Stilllegung der Reaktoren und die Finanzierung der Endlagerung von radioaktivem Abfall liegen noch keine vor. Sie wurden jetzt in Auftrag gegeben.

Strompreis steigt auf das Doppelte

Aufgrund der getätigten Investitionen käme eine Megawattstunde auf 50 Euro zu stehen, sie wird aber durchschnittlich für 30 Euro verkauft. Atomstrom wird in Frankreich somit regelrecht subventioniert. Diese Tiefpreispolitik wird jedoch nicht weitergeführt werden können. Nach der Katastrophe von Fukushima müssen die Sicherheitsvorkehren in den französischen Reaktoren massiv verbessert werden. Dies wird Kosten von 5 bis 10 Milliarden Euro verursachen und den Strom um mindestens 10 Prozent verteuern. Verbessert werden muss aber auch der Unterhalt der Reaktoren. Dazu kommen die Kosten für den Umbau der Reaktoren für eine längere Lebenszeit (40 Jahre und länger), die auf 25 bis 50 Milliarden Euro geschätzt werden. Das Kommissariat geht deswegen von einer Verdoppelung des Atomstromtarifs von 62 Euro (errechnet für 2025) aus.

Frankreich steht damit vor ebenso schwierigen, wie dringenden Entscheidungen über die künftige Ausgestaltung seiner Stromversorgung. Denn Ende 2020 werden 22 der auf 30 Jahre konzipierten 58 Reaktoren 40 Jahre alt sein. Eine Lebensverlängerung über 40 Jahre (bis 60) gilt als möglich, aber auch als problematisch. Vom neuen Typ von Druckwasserreaktoren ist bisher nur einer im Bau und sind keine weiteren bisher eingeplant.. In dieser zeitlichen Zwangslage scheint auch der Vorschlag des sozialistischen Präsidentschaftskandidaten Hollande, den Atomanteil bis 2025 auf 75 bis 50 Prozent zu reduzieren, als zu optimistisch. Denn die Voraussetzungen für einen rasch wachsenden Anteil an alternativer Energie - etwa Windstrom, der auf starke lokale Opposition stösst - sind nicht ideal. Frankreichs Stolz, 75 Prozent des Strombedarfs nuklear zu decken, wird langsam zum Unbehagen, vor allem nach den schrecklichen Erfahrungen in Japan.

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@ Tristan H.....sehr richtig, ich sehe es auch so und dazu noch dies...... Die innere Sicherheit möglicherweise ausstrahlend bis in ferne Länder und über ganze Kontinente hinweg. Schon daran gedacht? Verdrängt?Aus einem konventionellen Krieg könnte ganz schnell und ohne Atombomben ein Nuklearkrieg werden. Von den ( auch in der Schweiz ) nicht speziell kriegsgesicherten Atom- Mülllagern und ihrer Strahlkraft möchte eigentlich auch niemand reden und schon gar nicht mal daran denken.. Sollte hoffentlich nie, in fernen Zeiten, z.B. in Frankreich ein solches Werk dummerweise von einer Panzerfaust getroffen werden, dazu noch Westwind ,.......wäre mit "Freude herrscht" vorbei. Die ganze Sache scheint mir eher ein Tanz auf dem Vulkan und nicht nur ein Leben unter gut überwachten Vulkanen. Wir alle sollten so schnell wie nur möglich davon wegkommen und diese bedrohlich dösenden Monster durch Gezeitenkraftwerke und durch alles andere das wir zur Verfügung haben ersetzen.

Zitat: «Eine Lebensverlängerung über 40 Jahre (bis 60) gilt als möglich, aber auch als problematisch.»

Sagen das nicht dieselben Leute, die auch früher kein Problem in der Atomkraft gesehen haben?

Das Gutachten des frz staatlichen Rechnungshofes ist keine Überraschung an sich. Jeder, der etwas nachdenkt und nicht alles glaubt, was ihm Lobbyisten so servieren, wäre zu diesen Ergebnis gekommen. Atomstrom kann "billig" verkauft werden, weil er an zig Ecken staatlich subventioniert wird. Das ist auch in der Schweiz so.

Wenn man die Rückbau- und Entsorgungskosten ehrlich in den Preis einrechnen würde, dann wäre Atomstrom nie (auch vor 30 Jahren nicht) konkurrenzfähig gewesen.

Frankreich kann heute 60 Mrd oder auch 2000 Mrd in die Modernisierung seiner Atomanlagen stecken - das Risiko bleibt und der Preis wird immer weiter steigen. Denn eines Tages müssen die Dinger abgebaut werden und dann werden die riesigen Kosten, die heute gescheut und am liebsten auf den St. Nimmerleinstag verschoben werden, anfallen.

Das ist doch der Grund für diese elende Verlängerungsdebatte. Man will die Rückbaukosten künftigen Generationen aufbürden, nur nicht sich selbst heute. Das ist feige.

Auch das Arbeitsplätzeargument ist unredlich. Frankreich wird Energie verbrauchen und diese zum grossen Teil selbst herstellen müssen. Wenn nicht mit Atom, muss sie anders hergestellt werden und das braucht/schafft Arbeitsplätze. Auf die in der Atomindustrie kann man daher bedenkenlos verzichten.

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