Die U-38-CSU

Heiner Hug's picture

Die U-38-CSU

Von Heiner Hug, 14.10.2018

Es kam, wie es die Demoskopen prophezeiten. Die CSU und ihr Spitzenpersonal erleiden ein Debakel.

Unter 38 Prozent: Die einst staatstragende CSU, die dem Freistaat Bayern über Jahrzehnte Wohlstand und wirtschaftlichen Aufschwung brachte, steht mit ihren unter 37,2 Prozent nun da wie der Kaiser ohne Kleider. Die Schuldigen hat man schon vor dem Urnengang gefunden: Es ist der egozentrische, profilsüchtige Horst Seehofer, der sich im Wahlkampf wenig souverän gab und nicht ertragen kann, dass ihm die Felle davonschwimmen. Das einzige, was ihm blieb, waren peinliche Rangeleien mit Angela Merkel und seinem Nachfolger Markus Söder. Doch auch dieser trägt Schuld am Debakel seiner Partei. Sein brüsker Schwenk nach Rechtsaussen und sein gescheiterter Versuch, die AfD rechts zu überholen, haben viele Christdemokraten erschreckt. Der Absturz der CSU könnte sogar als gutes Zeichen gewertet werden. Er zeigt, dass viele CSU-Wählerinnen und Wähler die rechtspopulistische Politik von Söder nicht goutieren.

Sowohl Seehofer als auch Söder haben viel Vertrauen verspielt und eine unglaubwürdige Hickhack-Politik geführt. Der Druck auf Seehofer, jetzt endgültig zurückzutreten, wird sicher zunehmen. Doch Angela Merkel kriegt dann ein Problem. Wer von der CSU wird Seehofer ersetzen? Es könnte alles nur noch schlimmer werden.

Söder wollte verhindern, dass die AfD der CSU Stimmen abgräbt. Das ist misslungen. In der CSU gab es schon immer eine sehr rechtsstehende Klientel – schon vor der AfD. Jetzt, da es die AfD gibt, fühlt sich dieser rechte Flügel bei der AfD gut aufgehoben. Die gut 10 Prozent der AfD sind auch deshalb beachtlich, weil die Partei tief zerstritten ist.

Natürlich hat auch die nicht immer glückliche Berliner Regierungspolitik nach Bayern ausgestrahlt. Die Grosse Koalition mit ihren Slalomläufen verliert in den Umfragen seit Monaten erheblich an Zustimmung; das wirkte sich auch auf Bayern aus.

Jetzt geht also auch in Bayern, wie in vielen Ländern, die Zeit der Volksparteien zu Ende. Die CSU steht allerdings mit ihren 37,2 Prozent immer noch besser da als die CDU mit ihren 26 Prozent im übrigen Deutschland.

Das Debakel der CSU verdeckt ein anderes Debakel. Die SPD, die stolze älteste Partei Deutschlands, ist mit knapp 10 Prozent zur Krümelpartei geworden. In Bayern war sie schon lange nicht mehr stark, doch ein Minus von knapp 11 Prozent kommt einer tiefgreifenden Erschütterung gleich. Die SPD sollte sich wohl gut überlegen, ob sie sich als Koalitionspartnerin noch mehr die Finger verbrennen will.

Jetzt geht das Gerangel um die Bildung einer Regierungskoalition in München los. Allein regieren wie bisher kann die CSU nicht mehr. Eine Koalition CSU/Grüne wird schwierig. Die CSU weiss, dass sie den Grünen, die sie lange Zeit verteufelte, schmerzhafte ideologische Konzessionen machen müsste. Söder sagte am Abend: „Unsere Positionen sind denkbar weit entfernt voneinander.“ Rein rechnerisch hätte eine CSU/Grüne-Koalition eine komfortable Mehrheit. Ein knappe Mehrheit hätte ein Bündnis zwischen CSU und Freien Wählern (FW). Möglich wäre auch eine Dreierallianz CSU/FW/FDP, sofern die FDP dann den Einzug ins Parlament definitiv schafft.

Sogar eine Viererkoalition unter Ausschluss der CSU und der AfD wäre rechnerisch möglich. Fest scheint einzig zu stehen, dass niemand mit der AfD ein Bündnis eingehen wird.

Der Schwächeanfall der CSU und der SPD hat auch ausser-bayerische Konsequenzen: zunächst für die Wahlen in Hessen, die in zwei Wochen anstehen – und dann für die Regierungspolitik in Berlin. Seehofer und Söder haben nicht nur der CSU schweren Schaden zugefügt, sondern auch der CDU, in der es schon länger rumort. Natürlich haben jetzt Untergangspropheten Konjunktur, die das Ende der Ära Angela Merkel voraussagen. Sie sei nicht mehr „so unbestritten“ wie einst, sagte CDU-Bundestagspräsident Schäuble am Sonntag. Es gehe jetzt auch „um das Ansehen der Kanzlerin“. Doch wer soll an ihre Stelle treten? Andere überzeugende Kräfte müssen erst noch gefunden werden. Merkel verfügt immer noch über viel Vertrauen. Regierungschefs vieler anderer Länder würden sich die Finger lecken, wenn sie über solch hohe Zustimmungswerte verfügten. Sicher ist allerdings: Frau Merkel geht unruhigen Zeiten entgegen.

Ähnliche Artikel

Immerhin hat diese größte Partei Bayerns doch noch mehr als einen Drittel Wähleranteil. Das sieht mit der ganzen Parteienvielfalt einfach auch viel demokratischer aus so. Und wenn sich diese christliche soziale Union nun ganz back to basics in praktizierter Nächstenliebe mit den am nächsten stehenden Humanen, Guten und Basisdemokratischen, den Grünen zu einer Koalition zusammenfindet, sind die Bayern und die Welt noch nicht verloren. Also vom Feeling her habe ich ein gutes Gefühl.

Die CSU hat jetzt die Möglichkeit mit den Freien Wählern eine Koalition zu bilden. Die Grünen hatten sich das anders erhofft. Die CSU hat jetzt vier Jahre Zeit, verlorengegangene Wähler zurückzugewinnen. Die SPD allerdings muss sich auf eine Zukunft als Kleinpartei auch bundesweit einrichten. In Bayern sind sie es schon geworden.

Die SPD spielte in Bayern nie eine Rolle. Sie hetzte stets hinter der "Kaiser-Partei", der CSU hinterher. Dass die CSU, die seit Jahrzehnten Bayern regiert, jetzt abstürzt und eine Zeitenwende einleitet, DAS ist das Hauptthema dieser Wahl.

Bleiben wir doch bei den Fakten. Einerseits ist die CSU mit haushohem Abstand stärkste Partei in Bayern geblieben, stellt weiterhin den Ministerpräsidenten, muss die Regierungsmacht künftig aber mit einem bürgerlichen Junior-Partner teilen. Andererseits ist die bis anhin zweitstärkste Partei in Bayern, die SPD, mehr als halbiert worden und damit auf Platz 5 zurückgefallen. Wenn das kein Debakel ist!

Wenn im Haupttitel schon fett von der U-38-CSU" die Rede ist, hätte zumindest auch halbfett in einem Untertitel auf die "U-10-SPD" verwiesen werden sollen. Das war aus meiner Sicht das grösste Phänomen, das diese Bayern-Wahl offen gelegt hat. Und was die "peinlichen Rangeleien (Seehofers) mit Angela Merkel" anbetrifft, wäre immerhin ein Quervergleich mit Nachbarland Österreich angebracht gewesen. Dort steht der neue Kanzler, Strahlemann Sebastian Kurz, in vielen Bereichen Seehofer deutlich näher als Merkel, insbesondere in Sachen Migrationspolitik und Zukunft der EU. Schliesslich noch ein Vermerk zur SED/PDS-Nachfolgepartei "Die Linke": Während vielen Jahren brüsteten sich die etablierten Parteien, niemals mit dieser Partei ein Regierungsbündnis einzugehen. Und heute...!

SRF Archiv

Newsletter kostenlos abonnieren