Expertenmaulkorb

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Expertenmaulkorb

Von Dieter Imboden, 02.03.2021

Die Wirtschaftskommission des Nationalrates will den Mitgliedern der Corona-Task-Force die freie Meinungsäusserung in der Öffentlichkeit verbieten. Man sollte diesen Gedanken zu Ende denken.

Der Pulverrauch hat sich fürs Erste verzogen, und man reibt sich die Augen. Aber es ist nur eine Feuerpause. Die von der Wirtschaftskommission des Nationalrates in Stellung gebrachten Geschütze sind noch immer geladen und auf ein Ziel gerichtet, das man – zumindest in diesem Land – bis vor kurzem fast so heilig und unantastbar wähnte wie ein mit dem roten Kreuz bemalter Krankenwagen.

Es ist verständlich, dass die Nerven wegen der seit einem Jahr unser Leben dominierenden Pandemie vielerorts blank liegen. Dass man in einer Zeit grosser Unsicherheit zusätzlich eine Meinungsvielfalt zwischen verschiedenen –  wirklichen und selbsternannten – Experten auszuhalten hat, wie dies eigentlich für eine lebendige Demokratie und ganz besonders für ein neues Problem wie die Covid-19-Pandemie normal ist, stellt zusätzliche Anforderungen an alle. Doch die Komplexität der Realität war der bürgerlichen Mehrheit besagter Kommission offenbar so sehr ein Dorn im Auge, dass sie nach einem Instrument zu greifen bereit war, das wir sonst nur in der Werkzeugkiste diktatorischer Staaten finden: Den Mitgliedern der wissenschaftlichen Task Force soll per Gesetz untersagt werden, sich in der Öffentlichkeit über die Pandemie und deren Bekämpfung zu äussern.

Überlegen wir für einen Moment, was eine solche Bestimmung in ihrer letzten Konsequenz zu bedeuten hätte: Einerseits gründet das politische System der Demokratie auf der Idee der Gleichheit aller mündigen Bürger und dem Recht der freien Meinungsäusserung, unabhängig davon, welches Wissen und welche Erfahrung diese mitbringen. Andererseits sind wir, Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, nicht nur Gleichberechtigte, sondern verfügen – zum Glück für unseren Staat – über ganz unterschiedliche Erfahrung und über spezielles Wissen. Die Demokratie ist darauf angewiesen, dass sich dieser Sachverstand in die öffentliche Debatte einbringt und so die Qualität des politischen Entscheides fördert. Darüber hinaus muss der Staat das vorhandene Fachwissen in Form von Expertisen und mittels Expertenkommissionen direkt nutzen, wobei allen Beteiligten klar ist, dass die Abwägung zwischen verschiedenen Aspekten eines bestimmten Problems letztlich in der Verantwortung der in einem demokratischen Prozess gewählten politischen Mandatsträger verbleibt.

Doch das Volk akzeptiert diesen politischen Abwägungsprozess letztlich nur dann, wenn alle Faktoren, welche für einen Entscheid eine Rolle gespielt haben, offengelegt werden. Das Wissen von Fachpersonen in einem beratenden Gremium quasi exklusiv durch die Politik zu pachten und die Öffentlichkeit von diesem Wissen auszuschliessen, ist dem Geiste der Demokratie diametral entgegen gesetzt. Die Vielfalt der Meinungen aushalten zu können – und seien sie noch so dissonant – und trotzdem zu entscheiden, ist die grosse Kunst der Politik und zugleich eine zentrale Anforderung an alle, welche ein politisches Amt ausüben.

Der Maulkorb hat in einer Demokratie nichts zu suchen. Einmal als Machtinstrument der Politik akzeptiert, würde er bald nicht nur den Virologen und mathematischen Modellbauern verpasst, sondern allen andern auch, welche sich aufgrund ihrer speziellen Erfahrung und ihres Wissens in irgend einer Frage Gehör verschaffen und politische Entscheide kritisieren: den Bauern, Bankern, Erdölhändlern, Tourismusfachleuten, Künstlerinnen, Sportfunktionären ... Wer wollte da noch als Experte sein Wissen dem Staat zur Verfügung stellen und sich in die Isolierzelle einer Expertenkommission sperren lassen?

Ich bin zwar Optimist und glaube nicht daran, dass der Vorschlag der Wirtschaftskommission die Diskussion im Parlament überleben wird, aber es ist schon ungeheuerlich genug, dass er überhaupt gemacht wurde.

Verdächtig - so einhellig sind hier die Meinungen. Tatsache ist Folgendes: Die Task Force hat sich bis neulich - als nicht gewählte, dem Bundesrat angediente Expertengruppe - sehr weit zum öffentlichen Fenster hinausgelehnt. Sie hat sich der bundesrätlichen Doktrin angeschlossen resp. sich mit ihrer einseitigen Sichtweise dem BR richtig gehend aufgedrängt. Dass nun die eher bürgerlich gesinnte Wirtschaftskommission dem "munteren" Treiben vehement entgegentritt, ist mehr als angebracht! Zudem dürfte es nun z.B. M. Salathé im privatrechtlichen sehr viel wohler sein als im vergangenen publik-privat-partnerschaflichlichem Rahmen Verantwortung zu übernehmen!

Sehr zutreffend, denn staatliche Stellen, Behörden, Instanzen, direkt Gewählte (Parlamentarier) sollen durchwegs als Privatpersonen, aber nicht als Beamte/Staatsangestellte usw ihre Meinungen äussern dürfen. Oder soll die Meinung eines Parlamentariers/Bundesrates mehr Gewicht kriegen als die Meinung eines Wahlberechtigten?

Tatjana Scherrer schickt uns folgenden Kommentar:
Ich finde es ungeheuerlich und unerträglich was sich die Wirtschaftskommission hier herausnimmt – man sollte der Kommission einen Maulkorb verpassen. Das würde vielleicht helfen, dass sich diese Rechenschaft darüber ablegt, was sie gerade hat vernehmen lassen. Ich bin eine ganz normale Bürgerin dieses Landes – und ich will informiert werden. Dazu gehört, wie Dieter Imboden schreibt, dass ich in diesen unruhigen Zeiten aushalten muss, dass ich nicht immer und jederzeit glasklare Informationen zur Verfügung habe. Aber ich will Informationen zur Verfügung haben, die nicht beschnitten, selektiert und deformiert sind, und die es mir ermöglichen, meine Meinung zu bilden und mir dabei das Gefühl vermitteln, dass die Politik mir als Bürgerin auch etwas zutraut. So sind wir bisher durch diese Pandemiezeit gegangen - und wir sind mit diesem bisher eingeschlagenen Weg nicht untergegangen.

Ein treffender Kommentar von Herrn Imboden. Es kann wirklich nicht angehen, dass den Mitgliedern der Corona-Task-Force ein Maulkorb angelegt werden soll. Interessant ist, dass die Verfechter eines solchen Maulkorbs bürgerlicher Provenienz sind; also die gleichen Kreise, die sich vor kurzem über den diktatorischen Kurs von BR Berset enerviert haben. Ein Beispiel mehr über die Verlogenheit solcher Volksvertreter. Ihnen geht es um etwas anderes: Die Task-Force soll nicht mehr wissenschaftliche Beweise mitsamt Empfehlungen öffentlich mitteilen dürfen, weil damit ein erneuter Lockdown oder teilweise Lockdown unter allen Umständen vermieden werden soll. Die wirtschaftliche Prämisse wird hiermit unmissverständlich kundgetan. Alle wirtschaftlichen Tätigkeiten sollen wieder uneingeschränkt möglich sein; am liebsten schon ab dem 22. März; auch weil der Bundesrat unter Druck gesetzt werden soll, weil die Öffentlichkeit nicht mehr wissen soll, zu was für wissenschaftlichen Schlüssen die Task-Force gekommen ist. Die gleichen Kreise, die immer davon schwafeln, man dürfe nicht am Volk vorbei politisieren, wollen dem Volk eine fundierte Meinungsbildung vorenthalten. So geht Demokratie nicht! Die Task-Force muss frei kommunizieren können; nur schon um gewissen Parlamentariern nicht einen Freipass zu erteilen.

Herr Imboden, ich würde sogar noch weitergehen. Getreu dem Grundsatz Audiatur et altera pars müsste die Experenrunde im öffentlichen Diskurs noch massiv erweitert werden. Nur dann ist eine offene Diskussion und Meinungsbildung wirklich möglich. Und schlussendlich sind ein paar Millionen Bürgerinnen und Bürger direkt betroffen von dem, was ein paar Experten und vorallem die paar Tausend Politiker bestimmen. Das geht so nicht.
Recht haben Sie natürlich, dass sogar gesetzliche Maukörbe in einer direkten Demokratie überhaupt nichts zu suchen haben. Woher diese Gesinnung der Wirtschaftskommission stammt, kann man vielleicht mit diesen Worten erkären: Follow the money.

Danke für diesen wichtigen und guten Artikel. Ich bin gleicher Meinung. Sogar noch zusätzlich. Den Experten sollte die Möglichkeit gegeben werden sich direkt an die Menschen zu wenden, via Podcast usw. entsprechend z.B. Christian Drosten, der sehr viel dazu beiträgt, dass Themen auch für Laien verständlich werden.

..."Christian Drosten, der sehr viel dazu beiträgt, dass Themen auch für Laien verständlich werden".
Aber Sie, sehr geehte(r) C Machand unterlassen zu erwähnen, dass Ch. Drosten sich in permanenten Widersprüchen unglaubwürdig gemacht hat. Solche Postcast's tragen wohl kaum zu einem echten Expertendialog bei. Zudem sei erwähnt, dass ein Dutzend internat. hochrangige Experten das sog. Drosten Papier, welches in wenigen Stunden von der WHO, ohne die gültigen IHR zu berücksichtigen, vom Präsidenten der WHO als sog. Goldstandard für Tests's deklariert wurde. Dabei hat Tedros Adhanom Ghebreyesus eindeutige interne Regeln missachtet. Diese Regeln wurden von allen Signatarstaaten der WHO als verbindlich erklärt. Da öffnen sich viele Fragen.

Man reibt sich wirklich die Augen ob dieses Ansinnens. Madamme Gössi hatte dann auch noch die Unverfrorenheit, im Interview zu bestreiten, dass es sich dabei um einen Maulkorb handelt.
Allein die Formulierung ist ja jenseitig "nur noch Parlament und Bundesrat" dürfen informieren- das schliesst beispielsweise dann auch das BAG aus und die gesamten wissenschaftlichen Fachleute.
Wäre die Angelegenheit nicht so ernst, könnte man sich zur Frage ermuntert sehen, was diese Damen und Herren der Wirtschaftskommisssion eigentlich geraucht haben.

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