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16. Februar 2021

Flüchtende

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Flüchtende

Von Christoph Kuhn, 03.03.2016

Wie uns die Sprache manipuliert

Immer wieder faszinierend und gut für endlose Erörterungen oder Diskussionen sind die Versuche, manipulative Elemente in unserer Sprache auszumachen. Sprachempfindlich, in unterschiedlichem Mass, sind wir alle. George Orwell hat in seinem 1948 geschriebenen satirisch-finsteren Roman „1984“ die Messlatte für solche Sprachforschungen sehr hoch gelegt. Das „newspeak“, das er erfindet, ist eine dem Volk aufgedrängte Kunstsprache, die das Vokabular vereinfacht, die Bedeutungen einzelner Begriffe einschränkt. So soll das Volk via Sprache vom Regime manipuliert und kontrolliert werden. Jetzt hat eine Hamburger Sprachforscherin, Elisabeth Weling, aktuelles Sprachverhalten, gängige Begriffe untersucht und zeigt auf, was solche Wörter mit uns anrichten können. Was allgemein bekannt sein dürfte: Einzelne Wörter setzen in unseren Köpfen und Herzen Gedanken und Gefühle frei, manchmal heftigster Art. Elisabeth Weling findet in verschiedenen Gebieten erstaunliche Beispiele für das, was für sie in Richtung Manipulation weist. So nimmt sie beispielweise den zur Zeit allgegenwärtigen „Flüchtling“ aufs Korn, der a priori negative Empfindungen wecke, wie alle Begriffe mit der „-ling“-Endung, die immer klein mache und abwerte. „Flüchtende“ schlägt sie als Alternative zu Flüchtlingen vor. Hat sie nicht Recht? Oder ist sie sprachüberempfindlich? Und wie steht es mit den zwei Begriffen, mit denen man uns in den vergangenen Wochen gelöchert hat? Ausschaffungsinitiative, Durchsetzungsinitiative. Wenn das nicht „newspeak“ ist!

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Es ist keinesfalls die Sprache selbst die manipuliert, sondern allenfalls eine mögliche Motivation, welche die Wortauswahl begleitet. Sprache wurde bisher gerne nur als reines Mitteilungsinstrument verstanden.Doch geht Sprache weit darüber hinaus. Sprache stellt für viele Menschen auch eine Möglichkeit dar, eigene verborgene oder auch offene Emotionen auszudrücken. Somit können einzelne Worte durchaus unbewusst manipulierend wirken.

Den meisten Artikel oder Berichte werden ständig in der Gegenwartsform geschrieben, obwohl das Geschriebene bereits der Vergangenheit angehört. Damit wird ständig in der Gegenwart etwas festgelegt, das die unmittelbare Zukunft beeinflusst.

Die Quantenphysik hat längst aufgezeigt und zu verstehen gegeben, dass der Mensch mittels Denken in der Gegenwart auf das Umfeld einwirkt. Angesicht dieser Tatsachen, könnte es sinnvoll sein darauf zu achten, in welcher Zeitform das Geschriebene der Wahrheit entspräche.
Allein eine Wahrheit in der Vergangenheit auszusprechen, bewirkt auf körperlicher Ebene eine Entlastung für sich Betroffen fühlende.
Dies selbst zu ergründen wäre sehr einfach möglich.

Schade dass der Arikel so kurz gefasst worden war, denn er hätte das Potential eine geniale sachliche Betrachtung und Kommunikation auszulösen.

Die Achtsamkeit für das im Artikel aufgeführte Beispiel, hat schon lange Einzug in Therapieformen erhalten. Für den mündigen Leser mag dies ein kleines Detail sein. Für Berichte zu "emotionalen Themen" stellt es kein unwesentliches Werkzeug dar.

Ja, newspeak ist beispielsweise, Mitteldeutschland als Ostdeutschland zu benennen. Ostdeutschland ist Schlesien, Pommern, Ostpreussen. Es gibt immer noch den Mitteldeutschen Rundfunk in Leipzig!
Oder "Entwicklungszusammenarbeit",dabei ist das Ganze seit 55 Jahren Geld aus der ersten in die dritte Welt. Oder "Arbeitgeber": falsch, der eine, der Arbeiter gibt seine Arbeit, der Empfänger der Arbeit gibt Lohn.

Dans ce pays les plutôt maigres
sont normalement les petits noirs.
Cette poésie ne rime pas trop?
D' accord, y manque und petit mot.
Les mots pourtant sont vite changés
Plus dur se change la réalitée.

Dieses kleine Gedicht habe ich einer welschen Kollegin vor Jahren aus Tansania auf einer Postkarte geschickt. Ich wollte damit den schon damals und bis heute grassierenden Unfug des newspeak und political correct talk ironisieren. Es ist nämlich so, dass irgendwann ein Schläuling gemerkt hat, wie billig und einfach es doch ist, für üble Vorgänge einfach neue beschönigende Wörtchen zu erfinden, statt den Missstand zu beheben, den sie bezeichnen. So finden heute weltweit unzählige schlimme Kriege statt, in denen brutale ("westliche") Besatzungstruppen das Wenige, was die verarmte Bevölkerung noch hatte zusammenschlagen (Afghanistan, Irak, Jemen, Palästina, Kurdistan) und teils die Zivilbevölkerung massakrieren. Doch das wird in unseren Medien (vorab auch im Gebührenradio SRF) dann als "humanitäre (!) Intervention" gegen "Terroristen" beschönigt. Und da gebe es halt auch "Kollateralschäden".
Das nützt dem Kind, dem die "humanitäre" Bombe ein Bein abgerissen hat ebenso wenig, wie die Bezeichnung "African American" einem Mann in den USA hilft, den ein Polizist über den Haufen schiesst, wie ehedem einen "Nigger", ohne irgendwelche Konsequenzen befürchten zu müssen.
Eine drangsalierte Minderheit hat das üble Spiel mit dem Wörtlein-Wechseln durchschaut: Die Schwulen. Sie haben irgendmal gesagt: Wir wollen nicht Homosexuelle oder Gleichgeschlechtliche oder irgend ein Newspeak-Wesen wein, sondern Schwule. Aber jetzt behandelt uns gefälligst anständig. Recht hatten und haben sie. Niklaus Ramseyer

Newspeak ist auch, dass unter "Sanierung des Gotthard-Strassentunnels" (Einzahl) der Bau eines neuen Strassentunnels verstanden wird.

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