Gefangene im Massen-Hungerstreik

Arnold Hottinger's picture

Gefangene im Massen-Hungerstreik

Von Arnold Hottinger, 18.04.2017

Weit über tausend Palästinenser in israelischen Gefängnissen protestieren mit einem Hungerstreik gegen ihre Behandlung.

„Ich war bloss fünfzehn, als ich zum ersten Mal ins Gefängnis kam. Ich war kaum achtzehn, als ein israelischer Ermittler mich zwang, meine Beine auszubreiten, während ich nackt vor ihm stand. Er schlug auf meine Genitalien. Ich wurde ohnmächtig vor Schmerz, und mein Sturz hinterliess eine Narbe auf meiner Stirn, die immer noch vorhanden ist. Der Ermittler lachte mich nachher aus und sagte, ich würde nie Kinder bekommen, weil Leute wie ich nur Terroristen und Mörder in die Welt setzten.”

Prominenter Häftling in der New York Times

So beginnt ein Meinungsartikel des palästinensischen Gefangenen Marwan Barghouti in der „New York Times“ vom 17. April, in dem dieser erklärt, warum er seine Mitgefangenen zu einem Hungerstreik aufgerufen hat. In der internationalen Ausgabe des Blattes, die in Paris erscheint, ist dieser Abschnitt ins Innere des Artikels gestellt. In der amerikanischen Ausgabe erscheint er am Anfang. Dafür ist in der amerikanischen Ausgabe eine Anmerkung der Redaktion angehängt, die besagt: „Dieser Artikel erwähnt die Verurteilung des Verfassers, aber er gibt nicht genügenden Zusammenhang, weil er nicht sagt, warum er verurteilt wurde. Es waren fünf Mordanklagen und Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation. Mr. Barghouti lehnte es ab, sich zu verteidigen und weigerte sich, die Legitimität des israelischen Gerichtes anzuerkennen.”

Marwan Barghouti ist der Palästinenser, dem allen Umfragen nach die überwiegende Mehrheit aller Palästinenser zustimmen würde, wenn er sich einer Wahl für die Nachfolge Arafats stellen könnte. Er ist aber fünf Mal lebenslänglich und für vierzig weitere Jahre zu Gefängnishaft in Israel verurteilt.

Fehlende Besuchsmöglichkeiten

Wie er in seinem Artikel erklärt, werden die meisten der gegenwärtig gegen 6’500 palästinensischen Gefangenen in Gefängnissen festgehalten, die sich auf israelischem Territorium befinden, nicht im bsetzten Gebiet Palästinas. Dies hat zur Folge, dass die Familien ihre gefangenen Angehörigen nur besuchen können, wenn sie eine Erlaubnis erhalten, die Grenze zwischen Israel und den besetzten Gebieten zu überschreiten. Eine solche Erlaubnis ist, wenn überhaupt, selten zu bekommen. Also sind so gut wie keine Familienbesuche bei Gefangenen möglich. Dies ist nach Barghouti einer der Gründe, warum er seinen Mitgefangenen nahegelegt habe, einen Hungerstreik zu beginnen.

Er sagt auch, jahrzehntelange Erfahrung lehre, dass das unmenschliche System militärischer und kolonialer Besetzung darauf ausgehe, den Geist der Gefangenen und der Nation, zu der sie gehören, zu brechen, indem es ihren Körpern Leid antue, sie von ihren Angehörigen und Gemeinschaften trenne und ihnen erniedrigende Massnahmen auferlege. Etwa tausend palästinensische Gefangene hätten beschlossen, in einen Hungerstreik einzutreten, der am 17. April begonnen habe.

Internationales Recht verletzt

Barghouti erklärt, ein Hungerstreik sei die friedlichste Art des Widerstands, weil er Schmerzen nur jenen bereite, die ihn durchführen – und ihren Angehörigen. Die Beteilgten hofften, mit ihrer Opferbereitschaft eine Botschaft aus ihren dunklen Zellen hinauszutragen. Er unterstreicht die „Illegalität” der israelischen Position, die seit siebzig Jahren in vielfacher Art der internationalen Legalität zuwiderhandle.

Barghouti zitiert die palästinensische Assoziation für Gefangene und Menschenrechte „Addameer” (das Gewissen), nach welcher in den letzten fünfzig Jahren – das ist seit der Eroberung der Besetzung der besetzten Gebiete – 800’000 Palästinenser durch die israelischen Gefängnisse hindurchgegangen seien. Das wären rund 40 Prozent der gesamten männlichen Bevölkerung.

Zurzeit betrage die Zahl der Gefangenen rund 6’500, darunter auch Frauen, Kinder und ohne Verurteilung Eingekerkerte, sogenannte administrative Gefangene. Diese Zustände seien dadurch bedingt, dass in Israel eine „juristische Apartheid“ herrsche. Die israelischen Militärgerichte würden 90 Prozent der angeklagten Palästinenser verurteilen.

Weiter erklärt Barghouti, die Gefangenen litten unter „Folter, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung, medizinischer Vernachlässigung.“ Einige wurden in der Haft umgebracht. Nach der letzten Aufstellung des Clubs der Palästinensischen Gefangenen sind seit 1967 mehr als zweihundert palästinensische Gefangene als Folge solcher Behandlung gestorben. Palästinensische Gefangene und ihre Familien sind auch weiterhin ein bevorzugtes Ziel einer israelischen Politik der kollektiven Bestrafung. „Durch den Hungerstreik versuchen wir diese Missbräuche zu Ende zu bringen.“

Israel lehnt Verhandlungen ab

Der israelische Minister für öffentliche Sicherheit, Gilad Erden, hat erklärt, die Gefangenen seien „Terroristen und Mörder“ und sie bekämen, was sie verdienten. „Wir haben keinen Gund, mit ihnen zu verhandeln,“ sagte er, und weiter: „Der Hungerstreik wurde von Barghouti auf Anstiftung der palästinensischen Führung erklärt, und er schliesst unvernünftige Forderungen inbezug auf die Haftbedingungen der Gefangenen ein.“ Der Minister sagte auch, Barghouti sei in Einzelhaft genommen worden, weil der Aufruf zu einem Hungerstreik gegen die Gefängnisregeln verstosse.

Nach Isra Qaraqe, dem Chef der Behörde für Gefangene der Palästinensischen Verwaltung, befinden sich 1‘300 Gefangene im Hungerstreik. Der Club der Palästinensischen Gefangenen sagt, es seien 1‘500. Auf der Westbank und in Gaza gibt es Solidaritätsmärsche von Zehntausenden, die für die Gefangenen demonstrieren. Der Hungerstreik hat am 17. April – für die Palästinenser der „Tag der Gefangenen“ – begonnen. Wenn er andauert, dürfte er weiter von sich reden machen. Der Umstand, dass die Sicht des gefangenen Barghouti in der „New York Times“ veröffentlicht wurde, ist ohne Zweifel ein gewichtiger Erfolg für die Sache der Palästinenser.

Vielleicht sollte man überlegen, die "Hungerstreiker" in Gefängnisse im arabischen Raum zu stecken, damit sie mal sehen, was wirklich schlechte Haftbedingungen sind. Strafgefangene werden in Israel besser behandelt als Palästinenser in Jordanien oder Ägypten in Freiheit. Sie werden auch besser behandelt als Israelis in irgendeinem muslimischen Land. Die meisten dieser Mörder und Terroristen bekommen auch noch eine von Europas NGOs mitfinanzierte Leibrente, ihre Familien auch (PA salaries to terrorists and their familes).
Dass derartige PR-Aktionen in weiten Teilen Europas auf fruchtbaren Boden fallen, überrascht nicht. Man gönnt es halt den Israelis nicht, einfach ein ganz normaler unabhängiger Staat zu sein. Man könnte sich auch mal die Mühe machen, und israelische Gefängnisse mit englischen, griechischen oder türkischen Gefängnissen zu vergleichen...

Oh, eine interessante Weltsicht von B. Kerzenmacher: "Man gõnnt es halt den Israelis nicht, einfach ein ganz normaler und unabhāngiger Staat zu sein."

"Das elfte Gebot: Israel darf alles" So lautet der Titel eines viel beachteten Buchs der jüdischen Publizistin Evelyn Hecht-Galinski. Was Hottinger hier beschreibt, zeigt, wie recht sie hat. In jedem anderen Fall würde man sofort von "Unrechtssaat" reden und schreiben. Politische GegnerInnen (Männer Frauen und Kinder) ohne Anklage und Prozess ins Gefängnis werfen und foltern? Das kritisiert doch jetzt gerade alle Welt in Erdogans Türkei. In anderen Staaten (von Russland über Iran bis nach China) sowieso. Zivilisten vor Militärgerichte zu stellen und dort nach "kurzem Prozess" zu verurteilen, wird von der UNO als gängige Unsitte in Diktaturen verurteilt. Was aber passiert, wenn die Täter zu Israels Besatzungsarmee in Palästina gehören? Siehe oben. Eben. Besten Dank für Ihren Mut, Herr Hottinger! Niklaus Ramseyer

SRF Archiv

Newsletter kostenlos abonnieren