Geist gegen Ressentiment

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Geist gegen Ressentiment

Von Stephan Wehowsky, 01.04.2019

„Spielt nicht mit den Schmuddelkindern“, hiess es früher. Heute gehört es zum guten Ton, mit ihnen nicht einmal mehr zu reden.

Derzeit sorgt im Landesverband Thüringen ein Fall für heisse Köpfe, der in mehrerer Hinsicht grenzwertig ist. Ein ehemaliges AfD-Mitglied wechselte zur SPD und wurde im Frühjahr 2016 in die Landtagsfraktion aufgenommen. Nun hatte Oskar Helmerich, so heisst dieser Wechsler, die glänzende Idee, Thilo Sarazzin zu einer Buchpräsentation fünf Tage vor der Europawahl nach Erfurt einzuladen. Das ist natürlich zu dicke Post.

Aber es hat sich auch in weniger krassen Fällen eingebürgert, Diskussionen mit politischen Gegnern dann zu verweigern, wenn sie moralisch betrachtet „auf der falschen Seite stehen“. Mit Rechtspopulisten redet ein liberal oder links denkender Mensch nicht. Ähnliches gilt für die verschiedenen Lager in der Auseinandersetzung um Genderfragen, beim vermeintlichen oder tatsächlichen Rassismus oder beim Thema Umweltschutz.

Mehr und mehr sitzen Gleichgesinnte auf den Podien, und man fragt sich, was sie unter „diskutieren“ verstehen. Heisst diskutieren neuerdings, dass man sich gegenseitig Stichworte gibt, auf die der andere freudig einsteigt und sie mit Lust ergänzt und noch einmal so zurückwirft, dass jeder andere auf dem Podium auch noch etwas Bestätigendes anfügen kann?

Ohne es zu merken, verspiessert unsere Gesellschaft und hat den Glauben an den Wert intellektueller Auseinandersetzung verloren. Denn es ist spiessig, die eigene Meinung in der Weise als moralisch gut zu qualifizieren, dass jede Abweichung davon als moralisch unanständig disqualifiziert wird. Und es ist intellektuell feige. Man glaubt nicht mehr, dass die besseren Argumente stark genug sind, um in einer offenen Auseinandersetzung den Sieg davonzutragen.

Warum nicht mit Leuten wie Thilo Sarrazin in aller Härte in einem etwas anderen Setting als nun gerade in Erfurt vor der Europawahl diskutieren? Warum ihm nicht schonungslos seine mangelnde Sachkenntnis, seine Irrtümer, seine Verwechselungen und falschen Gleichsetzungen um die Ohren hauen? Solche Auseinandersetzungen sind intellektuell fordernd und anstrengend. Aber wenn die Demokratie nicht durch Shitstorms im Internet abgeschafft werden soll, dann brauchen wir Diskussionen, die auf den Geist gegen das Ressentiment setzen.

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Sarrazin würde sich freuen, wenn man ihm mal sachlich was "um die Ohren hauen" würde. Aber warum dann schon wieder diese aufgeladene Kampfrhetorik? Warum sofort Ressentiment satt ernste Besorgnis unterstellen? Weil man dann als Autor sofort in falschen Verdacht käme?

So ist es Herr Wolf. Ich habe den Artikel gelesen und gleichsam hatte ich dieselben Gedanken. Schade für die ansonsten interessante Einschätzung von Herr Wehowsky.

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