Kein Ei des Kolumbus
Journal21.ch will die Jungen vermehrt zu Wort kommen lassen. In der neuen Rubrik „Jugend schreibt“ nehmen Schülerinnen und Schüler des Zürcher Realgymnasiums Rämibühl regelmässig Stellung zu aktuellen Themen.
Nick Sempach wurde im Jahr 2000 geboren und lebt in Zürich. Er besucht die fünfte IB-Klasse des Realgymnasiums Rämibühl. Er ist Vizepräsident des Vereins “Solidarität“ des Realgymnasiums und erreichte das Schulfinale des Debattierwettbewerbs "Jugend debattiert".
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Vor gut einer Woche veröffentlichte die JUSO Zürich ein Positionspapier zu “Religion und Staat im Kanton Zürich“, in dem sie sich durch den zwanghaften Versuch zu provozieren das wohl grösste Osterei in der jüngeren Schweizer Politikgeschichte legte. Auch wenn die Aussage der JUSO, sie wolle Weihnachten und sämtliche andere christlichen Feiertage abschaffen, dazu führte, dass sie es als “Kinderschreck“ betitelt auf die Frontseite des grössten Boulevardblattes des Landes geschafft haben, schadet diese Publikation den Anliegen der Genossinnen und Genossen unabhängig von der medialen Empörung, die sie erzeugte, mehr, als sie ihnen nützt.
Doch der Reihe nach: Die JUSO erwähnt zuerst richtigerweise, dass kaum ein Monat vergehe, ohne dass konservative oder bürgerliche Politiker und Medienschaffende vor der drohenden “Islamisierung“ warnen, den “Zerfall unserer christlichen Werte“ heraufbeschwören oder die Bedeutung der “christlichen Leitkultur“ herausstreichen; alles Dinge, die die JUSO zurecht kritisiert. Die sogenannte “Islamisierung“ zum Beispiel ist ein Wort, das ursprünglich “die territoriale Ausbreitung der Islamischen Religionsgemeinschaft in ihrer Frühphase“ beschreibt, wie sogar Wikipedia weiss. Dieses Wort impliziert somit, dass die muslimischen Einwanderer, die in den letzten Jahren vermehrt in die Schweiz gekommen sind, dies einzig und alleine mit der Absicht getan haben, zu missionieren. Dabei wird vergessen, dass es sich bei der grossen Mehrzahl von ihnen um Flüchtlinge handelt, die verständlicherweise andere Prioritäten haben, als ihr Territorium auf unsere Kosten auszubreiten. Ebenso erwähnen die Jungsozialisten berechtigterweise die Angst vor dem Zerfall des Christentums und vor allem, dass dies hauptsächlich xenophobe Hintergründe habe. Es ist deshalb geradezu paradox, dass diese Ängste nur zwei Seiten später aufs heftigste und unnötigste von der JUSO selbst geschürt werden.
So fordert die JUSO doch tatsächlich, dass traditionelle christliche Feiertage durch vollständig nicht religiöse ersetzt werden. Fortan sollen anstelle von Ostern der Frauentag und anstelle von Weihnachten der Tag der Menschenrechte offizielle Feiertage sein. Eine Forderung, welche nicht nur den konservativen Rechten, die sich vor dem “Zerfall des Christentums“ fürchten, punktgenau in die Hände spielt, sondern in ihrer Absurdität noch nicht einmal originell ist: Bereits seit Anfang des 21. Jahrhundert fordern erzkonservative Stimmen in den Vereinigten Staaten die Abschaffung von Weihnachten. Das Ansinnen der JUSO ist also weder link noch originell, sondern ein billiger Aufguss von rechten Stimmen, die schon im mittleren Westen der USA ohne viel Echo verstummten.
Die Absicht der JUSO ist klar: Provozieren, gegen scheinbare religiöse Ungerechtigkeit vorgehen, und das Volk vor dem Opium Religion schützen. Als Atheist halte ich alle Religionen für gleichermassen sinnlos. Und Provokation finde ich durchaus gut, vor allem da das beinahe der einzige Weg zu sein scheint, auf dem sich Jungparteien Gehör verschaffen können. Dennoch verfehlt dieses Positionspapier dadurch, dass es nicht nur viele “besorgte Bürger“ in ihrer Furcht bestätigt, das eigentliche Ziel, sondern beinhaltet ausserdem noch einen anderen groben Fehler.
So sagt die JUSO, dass sie sich gegen den Mythos der “christlichen Leitkultur“ wehre. So weltoffen das klingen mag: Aus historischer Sicht ist es komplett unsinnig. Laut Duden bedeutet Leitkultur “ führende, zentrale Kultur“. Wer nun also behauptet, es sei ein Mythos, dass die zentrale Kultur der Schweiz christlich sei, hat irgendetwas sehr Grundsätzliches komplett falsch verstanden: Immer noch ist ein überwiegender Teil der Schweizer Bevölkerung christlich. Immer noch ist unsere Kultur vorwiegend römisch-christlich geprägt.
Es braucht kein Geschichtsstudium, um zu wissen, dass das Wort “Leitkultur“ ein rechter Kampfbegriff ist. Dennoch ist es genauso falsch zu sagen, die christliche Leitkultur sei ein Mythos, wie es falsch ist zu sagen, dass alle Muslime Terroristen sind.
Letztlich vergisst die JUSO, dass weder Weihnachten noch Ostern wirklich in ihrem christlichen Sinne gefeiert werden. Es sind vielmehr heidnische und - Stein des Anstosses hin oder her - kapitalistische Bräuche, wie man momentan an der ganzen penetranten Osterwerbung erkennen kann. In der Bibel steht weder etwas von in Gold verpackten Schokohasen noch von überteuerten Geschenken unter einem Nadelbaum. Weihnachten wird in Zürich genauso religionsneutral gefeiert wie die Böögg-Verbrennung am Sechseläuten und das Schaufenster-Einschlagen am Ersten Mai.
Die JUSO hat in diesem Papier ihre eigentlich guten Ansätze durch die Provokation mit der Abschaffung von traditionellen Feiertagen völlig zunichte gemacht. Niemand wird sich an die eigentlichen Inhalte erinnern: Schade! Damit haben sie sich selbst ein Ei gelegt.
Nach diesem “Wermuthstropfen“ bleibt wohl nur “ein neuer Aufbruch für die Juso“. Ansonsten werden die Genossen und Genossinnen bald nichts mehr zu feiern haben; allenfalls noch den ersten April.
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Die Schülerinnen und Schüler wählen die Themen, die sie im Journal21.ch behandeln, selbst.
Verantwortlich für die Betreuung der jungen Journalistinnen und Journalisten von „Jugend-schreibt“ ist der Deutsch- und Englischlehrer Remo Federer (r.federer@rgzh.ch)
Das Realgymnasium Rämibühl (RG, bis 1976 Realgymnasium Zürichberg) ist ein Langzeitgymnasium. Es ist neben dem Literargymnasium die einzige öffentliche Schule des Kantons Zürich, die einen zweisprachigen Bildungsgang in Verbindung mit dem International Baccalaureate anbietet, wobei die Fächer Geographie, Biologie und Mathematik auf Englisch unterrichtet werden. Zu den berühmten Schülern gehören Max Frisch und Elias Canetti.
Weitere Informationen finden sich auf der Homepage www.rgzh.ch
Völlig schwachsinnige, pseudo politisch-korrekte Langeweile-Idee der jungen Juso-Schnufies - ABER richtig lesenswerter, pointierter Artikel! Liest sich gut und macht schmunzeln. Das ist fast mehr als die Idee verdient.
Bravo, Frau Maurer! Denen haben Sie nun mal voll eine rein gehauen, diesen Jusos. Und Ihre sehr stringente Argumentation ist "richtig lesenswert". Besonders das Killer-Argument mit den "Schnufies". Nur ist leider knapp verfehlt halt auch daneben : Es hiesse wenn schon "Schnuffis" (www.schnuffisfashion.de). Sorgen brauchen Sie sich dennoch nicht. Sie beweisen nur, dass auch unflätig im Netz herum proleten kann, wer noch nicht mal seinen Schlötterlig richtig auf die Reihe bringt. Macht erst recht "etwas schmunzeln". N. Ramseyer, BERN
Sehr guter Kommentar. Merci! Die Juso (ZH) haben natürlich übers Ziel hinaus geschossen. Doch hat ihr Vorschlag eben schon etwas: Wir sollten endlich die Privatvereine namens Kirchen und Religionsgemeinschaften vom Staat total trennen. Dies insbesondere, weil allen Religionen (die sich ja der rationalen Argumentation verschliessen) stets das Abdriften ins Extreme und Totalitäre droht: Wir sind die erlösten - die anderen des Teufels! Wie aber sollen wir gegen solchen Unfug politisch vorgehen, wenn bei uns Kantone für den Hokus-Pokus Steuern einziehen und schon kleinen Kindern in der Schule jedweder religiöse (kreationistische) Quatsch hochoffiziell verzapft wird? Eben. Noch mehr auf dem Holzweg, als seine Jusos ist jedenfalls SPS-Chef Christian Levrat mit seiner Forderung, nun auch noch den Islam Staatlich zu anerkennen. Genau das Gegenteil tut not: Keine Anerkennung mehr für gar keine religiöse Unvernunft. Und klar hätte schon Garibaldi die katholische Hokus-Pokus--Zentrale in Rom (Vatikan) niemals als Weihrauch-vernebelten, rechtsfreien Raum stehen lassen dürfen. Etwas Gutes jedoch könnte der Papst jetzt doch machen: Weihnachten und Neujahr um einen Monate nach hinten verschieben! Vor den Fenstern draussen herrscht jetzt nämlich (bald Ende März) immer noch bitterkalter Winter. Und der Schnee auf den Bergen in den Skiregionen ist (ohne Kanonen) wunderbar. Und es ist nun fast jedes Jahr so. Eine hochkarätige Kommission könnte also im Vatikan Monate lang forschen in Archiven graben und beraten. Und dann einen Bericht veröffentlichen mit dem Resultat: Da ist vor Tausenden von Jahren ein Irrtum passiert. Weihnacht und Neujahr wären in Tat und Wahrheit (!) einen Monat später. Dann würde die UNO ein spezielles Schaltjahr mit dreizehn Monaten (2027 etwa) verkünden und festlegen. Und ab 2018 wären wir (klimatisch, religiös und wintersportlich) wieder auf Kurs. Und auf die unsinnige Sommerzeit würden wir dann auch noch gleich verzichten. Niklaus Ramseyer, BERN
"Privatvereine namens Kirche u. Religionsgemeinschaften endlich vom Staat total trennen", ist ihr sehnlichstes Anliegen, Herr Ramseier, nicht wahr? Sind Sie demnach auch bereit unsere Nationalbank, die sich arbeitsteilig mit den Banken der "privaten" Herstellung unseres Geldes erfreuen, sich wie ein Privatverein benehmen, wieder sauber und total von den Interessen der Finanzwirtschaft zu trennen?
Diese Frage im Sinne der Vollgeld-Initiative mit JA zu beantworten wäre volksdienlicher, als sich in reinen Glaubenssachen einseitig zu positionieren. Spitzbübisches der JUSO ZH ist mir wirklich zu blöde.
"Sehnlichstes Anliegen" wäre nun auch wieder übertrieben. Und für die Vollgeldinitiative bin ich sowieso. Hat aber nichts mir religiösem Hokus-Pokus zu tun. N. Ramseyer
Für all jene, die nicht an Jesus glauben, ist Weihnachten und Ostern bedeutungslos. Also konsequenterweise: abschaffen und durch Sinnvolleres ersetzen.