Überbordende Filmoper
Die sechsstündige Filmoper «River of Fundament» des amerikanischen Multimedia-Künstlers Matthew Barney und des Komponisten Jonathan Bepler hatte im Basler Theater ihre Schweizer Premiere. Vorläufig ist kein weiterer Schweizer Aufführungsort bekannt.
Das verwundert kaum, wenn man den über sechsstündigen Film erst einmal gesehen hat. Dieser ist, um es vorwegzunehmen, von einer abstossenden Faszination und in der dreimaligen Aneinanderreihung von Barneys grossen Freiluftperformances rund um drei personalisierte Automobile ausserordentlich komplex und in Worten schwer fassbar.
Auferstehung und Wiedergeburt
Ausgangs- und Mittelpunkt des Filmes ist eine Totenwache. Sie findet – unter Beteiligung vieler heute prominenter Künstler und Persönlichkeiten – statt im nachgebauten Wohnhaus des amerikanischen Schriftstellers Norman Mailer in den Brooklyn Heights. Mailer, der in Barneys Film zweimal wiedergeboren wird, ist real nach einem exzessiven Leben und fünf teilweise von Gewalt geprägten Ehen 2010 gestorben. Aber die Welt lässt ihn offenbar nicht los. Nun ist er uns im Film wieder auferstanden.
Auferstehung und Wiedergeburt sind denn auch die Hauptthemen der Filmoper. Die Reinkarnation betrifft jedoch nicht nur Norman Mailer, sondern auch sein Alter Ego, ein anthropomorphes Automobil, Anbetungsobjekt amerikanischer Träume (Mailer selbst hat ja schliesslich «An American Dream» geschrieben).
Jedem Akt ist ein eigener Wagen zugeordnet. Im ersten Akt wird ein schon halb zerstörter 1967er (Barney ist 1967 geboren!) Chrysler Imperial als Norman I zu seiner letzten Ruhestätte in der Tiefgarage des Autohauses geleitet. Akt II wird von einem goldenen Schneewittchensarg für Norman II, einem 1979er Pontiac Firebird beherrscht, und im dritten Akt wird ein Polizeiwagen, ein 2001er Ford Crown Victoria Police Interceptor, an einer New Yorker Tankstelle vergoldet. Alle diese Wagengeschichten sind Teile der grossen Live-Performances von Barney.
Anklagender Grundton
Im menschlichen Bereich jedoch ist die zentrale Figur der ägyptische Edelmann Menenhetet I aus Norman Mailers Roman «Ancient Evenings» (Frühe Nächte) von 1983, der versucht, dreimal seine Wiedergeburt im Schosse der eigenen Frau zu erleben, um Pharao zu werden und sie damit zu seiner eigenen Mutter zu machen. Bei jedem Versuch einer Wiedergeburt muss er jedoch den stinkenden Fluss der Fäkalien durchqueren. Der Stoff, der aus dem Leben kam und das Leben gibt – River of Fundament eben.
Diese Szenen sind schonungslos abstossend gestaltet, und auch die vielen geschlechtlichen Anspielungen und Annäherungen dürften ganz in Mailers Sinne sein. Matthew Barney hat mit diesem Film, wenn man so will, Mailers grössten Erfolgstitel, «Die Nackten und die Toten», personalisiert. Doch tut er dies mit einem unbestechlichen, schonungslosen Blick auf unsere heutige Gesellschaft, wie ein träge anhaltender, lästiger, über allem liegender, anklagender Grundton, der von der Musik Jonathan Beplers extrem unterstützt wird: auch hier ein River of Fundament.
Barneys Nähe zu Mailer
Vor der Basler Premiere stellten sich Barney und der Komponist den – wegen der gleichzeitig laufenden Eröffnung der ART Basel recht zahlreich erschienenen – Journalisten. Matthew Barney ist als bildender Künstler in Basel ja kein Unbekannter. 1998 zeigte er hier in der Öffentlichen Kunstsammlung Teil I seines Kunstfilms «Cremaster» und installierte 2010 im von der Laurenz-Stiftung getragenen Schaulager Basel die Einzelschau «Prayer Sheet with the Wound and the Nail». Die internationale steile Karriere des 1967 in San Francisco geborenen Künstlers wurde 2002/2003 durch eine grosse Präsentation seines «Cremaster Cyklus» sowohl im Musée d’art moderne in Paris als auch im New Yorker Solomon R. Guggenheim Museum vorläufig gekrönt.
Barney wirkte im Basler Gespräch nachdenklich und konzentriert. Für ihn ist Norman Mailer ein amerikanischer Künstler wie er selbst, aus den gleichen Wurzeln schöpfend, und ihm künstlerisch in Vielem nahe. Er bezeichnete die Tatsache, dass er als heutiger Künstler sich so fliessend und problemlos zwischen den Medien bewegen könne, als Chance.
Atonale Klänge mit traditionellen Elementen
Als solche sieht auch der in Berlin lebende amerikanische Komponist und Installationskünstler Jonathan Bepler die Zusammenarbeit mit Matthew Barney. So wie der Film sich szenisch in drei verschiedenen Landschaften mit ihren speziellen Ausprägungen bewege (Los Angeles, Detroit und New York), so habe auch er seine musikalischen Mittel den jeweiligen kulturellen Ausformungen der Landschaft angepasst.
Die Klangprozesse, die Bepler hier in Bewegung setzt, sind grossteils atonal, oft rhythmisch akzentuiert, mit Einsprengseln von lokal-traditionellen Gesängen, ausgeführt von bemerkenswerten Musikerinnen und Musikern. Die elektronische Abmischung ist raffiniert und liess in ihren Höhepunkten den ganzen Zuschauerraum erbeben.
Jonathan Bepler führt anlässlich dieser Filmpremiere an der Basler Hochschule für Musik einen Workshop für Musikstudierende durch. – Weitere Aufführungen in der Schweiz sind derzeit nicht in Sicht, doch spricht man von Interesse in Paris und Amsterdam.