Anything goes - Hauptsache, man versteht sich
Dass viele Junge heute ihre SMS und E-Mails auf Schweizerdeutsch schreiben, trägt vielleicht nicht zur Aufrechterhaltung einer puristischen deutschen Sprache bei.
Doch puristisch wollen wir nicht sein. Dennoch tut es gut, sich immer wieder einmal mit der Sprache zu befassen. Die neueste, 14. Auflage des Vademecums der NZZ ist eine Fundgrube.
Die Sprache ist im Fluss, nie gab es so viele neue Wortschöpfungen. Immer mehr gleicht sich die Sprache der gesprochen Sprache an. Immer mehr auch wird das Deutsche von (teils falsch übersetzen) englischen und französischen Ausdrücken geprägt. Die Schriftweise der internationalen Nachrichtenagenturen wird mehr und mehr spürbar. Gerade fremdländische Namen, Ausdrücke und Ortschaften kann man oft so oder so schreiben.
Einige deutsche und schweizerische Medien gehen mit der „Verdeutschung“ von Ausdrücken weiter als andere: Al Jazeera oder Al Dschassira, Jihad oder Dschihad, Jihadisten oder Dschihadisten?
Hier eine kleine Auswahl der Richtlinien des Vademecums:
„Aus allen Herren Ländern“ (das Dativ-n nicht vergessen)
Der Bernina (der Berg heisst nicht die Bernina, trotz J.C. Heers „König der Bernina“
„Bisher fehlen dazu Ideen“ ist falsch. Bisher fehlten dazu Ideen. Das Adverb verweist auf einen zurückliegenden Zeitraum. Das verbundene Verb muss also in der Vergangenheit stehen.
Die CIA, nicht der oder das CIA
Deutschschweizerisch betrifft die deutschsprachige Schweiz, deutsch-schweizerisch (mit Bindestrich) ist das Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz.
Doppelpunkt: Wir haben die Angewohnheit, nach Doppelpunkten klein weiterzuschreiben. Folgt aber ein vollständiger Satz nach einem Doppelpunkt, schreibt man den Satzanfang gross.
Euro-Austritt, Euro-Exit: falsch. Man tritt nicht aus der Währung Euro aus, sondern aus der Euro-Zone.
Falsche Redewendungen: „Beschlüsse treffen“, Beschlüsse werden gefasst. „Entscheid fassen“ – falsch, Entscheide werden getroffen. „Politik führen“ – falsch, Politik wird betrieben.
Fluglinie: Falsche Übersetzung aus dem Englischen („airline“). Richtig: Fluggesellschaft.
Und man sagt wieder Gemse, Greuel und aufwendig.
„Humanitäre Katastrophe“: „Humanitär“ bedeutet menschenfreundlich, wohltätig, mildtätig. Eine Katastrophe ist also sicher nicht humanitär.
„Irak“ immer mit Artikel: im Irak; Iran immer ohne Artikel: in Iran.
Kosovo ohne Artikel: Die Entwicklung in Kosovo. Eine Reise nach Kosovo.
Libanon immer ohne Artikel: Krieg in Libanon. Der Libanon ist ein Gebirge.
Letzendlich, schlussendlich sind Pleonasmen, letztlich, endlich oder schliesslich genügt
Luftschlag, übersetzt aus dem Englischen (airstrike): Bedeutet auf Deutsch: Schlag in die Luft. Deshalb Luftangriff.
Die SMS
Umweltschützerisch nicht umweltschützlerisch (ohne -l).
Wiedereröffnung/Wiederöffnung: Man beachte: Die Eröffnung hat etwas Feierliches oder ist zumindest mit einem gewissen Zeremoniell verbunden (Eröffnung einer Sitzung). Wird aber eine vorübergehend geschlossene Strasse für den Verkehr wieder freigegeben, so handelt es sich um eine blosse Wiederöffnung.
Winken, gewinkt (nicht gewunken)
Wörter/Worte: Wörter sind Redeteile im grammatikalischen Sinn: Fremdwörter, Fürwörter. Bei Worten denkt man an den Inhalt: Dichterworte, Vorworte, Worte Gottes. Ausnahme: Sprichwörter. Schlagworte sind Parolen als Propagandamittel, Redensarten; Schlagwörter sind Wörter in Karteien, Verzeichnissen.
Wissenschaftler/Wissenschafter. Wissenschaftler habe einen leicht abschätzigen Beiklang. Deshalb empfiehlt die NZZ Wissenschafter (ohne –l). Für den Duden ist diese Form (ohne -l) österreichisch und schweizerisch.
Schade, dass im Vademecum einige arabische Namen fehlen. Schreibt man al-Qaeda, al-Qaida, al-Kaida oder Al-Kaida oder Al Kaida? Schreibt man den ägyptischen Präsidenten al-Sisi, al-Sissi, al Sisi, as-Sisi, as-Sissi?
Man muss nicht mit allem, was das Vademecum vorgibt, einverstanden sein, einiges wirkt pingelig. Doch für jene, die Freude an der Sprache haben, ist das 175 Seiten dicke Büchlein auch Unterhaltung, Bettlektüre mit Lerneffekt.
Vademecum - Der sprachlich-technische Leitfaden, der "Neuen Zürcher Zeitung", 14. Auflage, 25 Franken
Ich lese jeden Tag verschiedene deutsch- und französischsprachige Medien und bin immer wieder erstaunt, dass auch Journalisten mit Grammatik und Orthografie auf Kriegsfuss stehen.
Meine Entdeckung heute : Journal 21 . Grund eine Diskussion im Dreieck Uruguay, Schweiz, Spanien zu Demostrationen, davon kaum welche in der Schweiz, meine Erinnung Metzgerstreik der Frauen und Aufstand gegen "Rubateller", ueber den BR bei euch gelandet, wunderbar.
Nun aber zum Thema. Erinnere mich gut an NZZ Korrektoren, Fretz druckte die beiden Quartier Anzeiger die ich als Redaktor und Herausgeber verantwortete. Die waren hart gegenueber mir als Auftraggeber ! Und heute kennt kaum ein junger Journalist Unterschied zwischen schwer und schwierig, traurig der oft sorglose Umgang mit Sprache . . .
brunopego@live.de
Ich begrüsse diese Bemühungen um eine korrekte Sprache, auch weil ich viele Sätze in der NZZ selber zweimal lesen muss, weil sie so verdreht sind. Auch bei anderen Zeitungen habe ich oft den Eindruck, dass neuerdings mit Einzahl/Mehrzahl, Fall und Präposition "Karussell gefahren" gefahren wird. Es kommt mir vor wie ein Wettlauf um den verschrobensten Satz. Wenn so etwas einmal vorkommt, merkt man sich das besser als sonst. Das versucht ja die Werbung manchmal auszunutzen. Wenn aber alles gemacht wird, was man ändern kann, so muss sich der Leser abmühen und ärgert sich.
Danke an HH für die Exkursion in das 'Vademecum' (auch wenn man selbst einer NZZ nicht zwingend immer alles glauben muss; viel Sach- und Sprachlogik steckt alleweil drin).
Ergänzung: Ich weiss nicht, ob das 'Vademecum' auch den "police officer" behandelt. In Agenturmeldungen wird dieser unabhängig von Grad oder erkennbarer Funktion fast immer als "Polizei-Offizier" dargestellt. Dabei handelt es sich meistens einfach um einen Beamten in Uniform; eben ein Polizeibeamter oder "Polizist". Die Eile bei der Übersetzung und Verbreitung von Agenturmeldungen lässt kein langes Nachdenken zu - "time is money". Zum Glück empfiehlt HH ein 'Vademecum' als Bettlektüre mit Lerneffekt. Es könnte an vielen Orten den Wert einer präzisen Kommunikation steigern.
Peter Röthlin, 8123 Ebmatingen
Schon gut und recht, allein, wir stellen in allen deutschschweizerischen Presseerzeugnissen fest, dass die Medienschaffenden weder deutsch noch englisch beherrschen, aber umso mehr in krudem Swinglish schreiben. Am ausgeprägtesten im Blick. Muss offenbar ein Berufserfordernis sein, weder korrekt deutsch noch korrekt englisch zu schreiben.
@Richard Scholl: Ich unterschreibe!
Bin aber verunsichert: Weshalb 'Swinglish' (gross geschrieben), aber 'deutsch' und 'englisch' (klein geschrieben)? Keine Streitfrage - einfach mein Unwissen; ohne beim Blick zu arbeiten.
Peter Röthlin
p_roethlin@bluemail.ch