Die wundersame Wiedergeburt Saakaschwilis

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Die wundersame Wiedergeburt Saakaschwilis

Von Pierre Simonitsch, 02.06.2015

Der frühere Präsident Georgiens ist eine schillernde Figur - im Osten wie im Westen.

Am vergangenen Wochenende wartete der ukrainische Staatschef Petro Poroschenko mit einer Überraschung auf. Er ernannte den früheren Präsidenten Georgiens, Micheil Saakaschwili, zum Gouverneur des Oblasts (Gebiets) Odessa und verlieh ihm gleichzeitig die ukrainische Staatsbürgerschaft.

Politischer Hasardeur

Das klingt wie ein Treppenwitz der Geschichte. In seiner Heimat läuft gegen Saakaschwili ein Prozess wegen Amtsmissbrauchs. Saakaschwili musste 2013 nach zwei Amtsperioden als Präsident zurücktreten, weil er das Land in eine tiefe Krise gestürzt hatte und extrem unpopulär geworden war.

Seinen Aufstieg verdankte der politische Hasardeur vor allem dem früheren US-Präsidenten George W. Bush. Vorher arbeitete der Jurist in einer New Yorker Anwaltskanzlei, bis er 1995 noch unter Bushs Amtvorgänger Bill Clinton in die georgische Hauptstadt Tiflis katapultiert wurde. Dort diente er sich zunächst dem Präsidenten Eduard Schewardnadse an, betrieb dann aber aktiv dessen Sturz. 2004 wurde Schewardnadse von der „Rosen-Revolution“ Saakaschwilis hinweggefegt, der ihm als Staatschef nachfolgte.

George W. Bush-Strasse in Tiflis

Mit der Ukraine verbindet Saakaschwili einiges. Er hatte zur Sowjetzeit einen Teil seiner Studien in Kiew absolviert. Obwohl damals die Unterrichtssprache in der Ukraine Russisch war, lernte er Ukrainisch im täglichen Umgang. Ein weiterer Bezug zur Ukraine liegt darin, dass seine von den USA finanzierte „Rosen-Revolution“ in Georgien zum Muster der „orangen Revolution“ in der Ukraine wurde. Später trat Saakaschwili mehrmals auf dem Maidan in Kiew auf, um Stimmung gegen Russland zu machen.

Die zwei Achsen seiner Aussenpolitik waren der Beitritt Georgiens zur Nato und der EU. Militärisch wurde er von den USA und Israel unterstützt. Diese beiden Staaten lieferten modernes Kriegsgerät, Uniformen und Instruktoren. Saakaschwili bedankte sich, indem er eine Strasse in Tiflis nach George W. Bush benannte und mehrmals zu feierlichen Anlässen nach Israel reiste, wo ihm die Würde eines Ehrendoktors der Universität Haifa verliehen wurde.

Überraschungsangriff

Die Unterstützung der USA und Israel verleitete Saakaschwili aber zur Selbstüberschätzung. In der Nacht vom 7. auf den 8. August 2008, inmitten einer innenpolitischen Krise, traten die georgischen Streitkräfte zur Rückeroberung der abtrünnigen Provinz Süd-Ossetien an. Russland hatte dort seit 1992 mit Zustimmung der Uno „Friedenskräfte“ stationiert. Die georgische Armee belegte die Stadt Zchinwali mit starkem Infanteriefeuer, während gepanzerte Verbände vorrückten. Die Russen waren offenbar überrascht, denn sie benötigten zwei Tage, um Verstärkung herbeizuschaffen. Dann aber rückte die russische Militärmaschine bis zum Schwarzen Meer vor, während russische Kriegsschiffe die georgischen Häfen blockierten.

Am 16. August wurde unter Vermittlung des damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy ein Waffenstillstand vereinbart. Die Russen zogen ab. In Genf finden seither Verhandlungen über eine politische Lösung des Konflikts statt, die aber ausser einigen menschlichen Erleichterungen nichts brachten.

Oligarchen und Strippenzieher

Über die Kriegsschuld wird mächtig gestritten. Die einen machen das Abenteurertum Saakaschwilis für den Waffengang verantwortlich; die anderen wollen darin die Umsetzung eines bereits 2006 beschlossenen Plans des russischen Generalstabs sehen. Saakaschwili erklärte später, er habe fest mit einem Eingreifen der Nato gerechnet.

Für den georgischen Präsidenten war das militärische Debakel jedenfalls der Anfang vom Ende. Er verlor die Parlamentswahlen und kehrte nach New York zurück – bis zu seiner überraschenden Ernennung zum Gouverneur von Odessa.

Odessa ist die grösste ukrainische Hafenstadt mit mehr als einer Million Einwohnern, die überwiegend russisch sprechen. Von den Kriegswirren ist die Region weitgehend verschont geblieben. Was Saakaschwili dort vollbringen soll, ist unklar. Man liegt aber sicher nicht falsch, dahinter das Wirken lokaler Oligarchen und ausländischer Strippenzieher zu vermuten.

Russland scheint darauf angewiesen zu sein, die energiehungrige EU sicher mit Gas zu beliefern. Dazu braucht es aber sichere Pipelines in sicheren Durchleitungsstaaten.
Kann es sein, dass die Ukraine nicht nur das russische Gas nicht mehr bezahlen konnte, sondern das auch störende Elemente die Sicherheit der Pipelines bedrohen?
Wie würden z. B. die USA in vergleichbarer Situation handeln?
Solange es in dieser Weltregion mächtige Clan-Strukturen gibt, wird es dort zugehen wie in Europa vor dem Dreissigjährigen Krieg. Man kann sich also noch auf einiges gefasst machen!

Gegen Saakaschwili laufen in Georgien nicht nur Ermittlungen wegen Amtsmissbrauchs (darunter Veruntreuung von mehreren Millionen US-Dollar!), sondern sogar wegen Anstiftung zum Mord an politischen Gegnern. Er selbst äusserte sich bezeichnenderweise dazu, indem er sagte, diese Untersuchungen seien "politisch motiviert" – d.h. im Umkehrschluss, dass er die Tatbestände selbst wohl gar nicht abstreitet?

Es wirft ein bezeichnendes Licht auf Poroschenko und seine Unterstützer im Westen wenn ein solcher mutmasslicher Verbrecher und sogar (Vorbereitung und Beginn des geschilderten Angriffskrieges) Kriegsverbrecher derart hofiert wird – ausgerechnet in Odessa, wo das Massaker an über 40 Menschen, darunter mindestens eine Schwangere im Gewerkschaftshaus vom Mai 2014 bis heute nicht aufgeklärt ist!

Es ist einfach widerlich mit ansehen zu müssen, welche dubiosen bis kriminellen Gestalten "unsere" angeblich "demokratisch gewählten Volksvertreter" im Westen unterstützen!

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