Nachtessen

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Nachtessen

Von Heiner Hug, 24.07.2015

Elke, eine deutsche Kollegin ruft aus Frankfurt an. Ob ich sie zum Nachtessen einladen dürfe, frage ich. Sie lacht laut.

Weshalb sie denn lache, will ich wissen. Das würde ich dann beim Nachtessen erfahren, sagt sie.

Wir treffen uns um 20 Uhr in einem Zürcher Restaurant. Also, sagt sie: „Ich gewöhne mich nie an die schweizerischen Ausdrücke. In Deutschland gibt es kein ‚Nachtessen‘. Bei uns heisst es ‚Abendessen‘“.

Aha. Via Smartphone konsultieren wir den Duden. Tatsächlich: Dort steht: „Nachtessen, das, Substantiv, Neutrum, besonders süddeutsch, schweizerisch“.

Aber: Wikipedia sagt, die Nacht beginne mit dem Sonnenuntergang. Wir bestellen so gegen 20.27. Sonnenuntergang war zehn Minuten vorher, also assen wir in der Nacht, also: Nachtessen.

Doch so einfach ist es nicht. Die Welt ist sich offensichtlich nicht einig, wann der Abend beginnt und aufhört – und wann die Nacht beginnt.

In Italien beginnt der Abend schon ab Mittag. Ab dann sagt man „buona sera“. Bei uns beginnt er nach landläufiger Meinung nach „Feierabend“, also etwa um 17.00 Uhr.

Doch die Kernfrage für unsere Diskussion ist: Wann hört der Abend auf, wann beginnt die Nacht? Wenn es dunkel wird, sollte man meinen, wenn es Nacht wird, wenn „die Nacht hereinbricht“.

Selbst Wikipedia widerspricht sich. Unter „Nacht“ steht: „Die Zeit zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang“. Doch unter „Abend“ steht: „Der Tagesabschnitt von Nachmittag bis Mitternacht“.

Jetzt nimmt das Gespräch mit Elke skurrile Züge an: Wenn wir im Sommer um 19.30 Uhr essen, dann ist es ein Abendessen – denn die Sonne ist noch nicht untergegangen. Wenn wir aber im Winter um 19.30 Uhr essen, dann tun wir es bei Dunkelheit, also: Nachtessen.

Und die Spanier, die nicht vor 22.00 Uhr essen, tun dies ja wohl nicht am Abend, sondern eben schon in der Nacht. Das leuchtet Elke ein.

Vielleicht liegt der Unterschied darin, sagt sie, dass die Deutschen früher zu Bett gehen als die Schweizer. Die Deutschen essen früh: nach der Tagesschau ab ins Bett, damit man früh aufstehen und sich zu Tode arbeiten kann. Die Schweizer seien geniesserischer, lebensfreudiger, gehen später zu Bett. Obwohl ich an der Richtigkeit dieser Argumentation meine Zweifel habe, nicke ich als Schweizer natürlich eifrig.

Jetzt kommt plötzlich eine andere Frage auf: Schreibt und sagt man: „Wir assen gemeinsam zu Abend“? Klingt gestelzt. Wieder der Duden: „zu Abend essen“ ist richtig. „Gehen wir abendessen?“ „Hast Du schon abendgegessen?“ Alles richtig, aber sperrig. Immerhin besser als: „Hast Du schon genachtmahlt?“ Oder: „Hast Du schon abendgetafelt?“ Auch richtig.

Abendessen oder Nachtessen? Wir können uns nicht einigen.

Ich könnte Elke das nächste Mal zum ‚Dinner‘ einladen, doch ich versuche Anglizismen zu vermeiden.

Italiener und Franzosen haben es wieder einmal einfacher als Deutsch Sprechende. Keine Abend-oder-Nacht-Diskussion: Andiamo a cenare insieme? On va dîner, on va bouffer?

Das nächste Mal werde ich Elke weder zum Abendessen noch zum Nachtessen einladen. Sondern zum Z‘nacht.

 

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>Ich könnte Elke das nächste Mal zum ‚Dinner‘ einladen,
>doch ich versuche Anglizismen zu vermeiden.

Das ist wohl besser so, denn dabei lauert schon die nächste Gefahr. Einst hatte ich nämlich gelernt (UK-Englisch): Dinner = Mittagessen, Supper=Abend-/Nachtessen
In den USA erlebte ich dann aber: Lunch = Mittagessen, Dinner = Abend-/Nachtessen

Des Rätsels Lösung: Dinner steht prinzipiell für die tägliche Hauptmahlzeit, unabhängig vom Zeitpunkt, zu der sie eingenommen wird (Mittag oder Abend/Nacht).

Am besten Sie bleiben beim Z'Nacht. Ich bin sicher, ihre Freundin Elke wird auch noch ein entsprechendes hessisches Dialektwort beisteuern und für neuerlichen Gesprächsstoff ist gesorgt.

Endlich mal wieder etwas Relevantes im Journal. Hätten wir damals in der Pfadizeitung... "warum sagen wir Znüni?" usw

Alle Tageszeiten sind männlich, nur die Nacht ist weiblich. :)

Was nach Duden korrekt ist, ist nicht in allen (deutschsprachigen) Breitengraden gleich verständlich. Ich musste mich vor ein paar Tagen von einem Schweizer News-Portal belehren lassen, dass < der Platten > (m, Singular) - für einen platten Reifen - nach Duden korrekt ist, in der Mehrzahl also < die (drei) Platten >. Für mich hat ein Kochherd drei oder vier Platten, oder der DJ spielt fünf alte Platten. Aber < der Platten >, auch wenn es der Duden als korrekt erklärt.
Ein anderes Beispiel: Den < Alptraum > erklärt der Duden als korrekt, er empfiehlt jedoch < Albtraum > - wie ich (Jg 1944) es ursprünglich gelernt habe. Soll ich nun vom < Alptraum > schreiben (Traum von oder auf der Alp / Alm), oder doch eher vom < Albtraum > (Angsttraum) ? Je nach dem, was ich sagen will; wobei beides nach Duden korrekt ist.
Und hier gleich noch der < Einlegeboden >, in der Schweiz und im Süden Deutschlands < Tablar > (in einem Schrank) genannt; französisch i.d.R. < rayon >. Ich habe in einem europäischen Normierungsgremium der Möbelbranche (CEN TC 207) mitgehört, wie die professionellen Simultan-Dolmetscher deutsch - franz. den < Einlegeboden > übersetzt haben mit < Parkettboden mit Einlegearbeiten (Intarsien) > (von mir auf Deutsch zurückübersetzt). Wäre es nicht ein Beispiel für die (technischen) Kommunikationsschwierigkeiten, wäre es Stoff für eine Kabarett-Nummer gewesen. Ähnlich wie Abend- oder Nachtessen - oder schweizerisch eindeutig Z'Nacht.
Peter Röthlin, 8123 Ebmatingen

..... oder Sie laden Elke - zwecks weiterem Gesprächsstoff - um 10 Uhr morgens zum Z'nüni ein.

....... oder Sie, Herr Hug, laden Elke um Mitternacht zu einer Mehlsuppe ein, zwecks Stärkung bis zur Dämmerung.

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